Corona bringt vertikale Landwirtschaft voran

Indoor-Farming galt lange als unwirtschaftlich – bis Covid-19 kam. Vorreiter ist Singapur. Das flächenarme Land möchte sich von Importen unabhängiger machen.

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(Bild: VertiVegies)

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Von
  • Megan Tatum

Singapur hat die dritthöchste Bevölkerungsdichte der Welt. Um fast sechs Millionen Menschen auf einer Fläche so groß wie Hamburg unterzubringen, hat das Land vieles geopfert, einschließlich einer eigenen Nahrungsmittelproduktion. Singapur ist damit – was Lebensmittel angeht – eines der verletzlichsten Länder der Welt. Nun bringt die Corona-Pandemie einen Anschub für neun Anbaukonzepte, wie das Magazin Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 2/2021 schreibt (jetzt am Kiosk oder hier zu bestellen).

Wie prekär die Situation schon 2008 war, zeigte sich wenige Monate vor Ausbruch der globalen Finanzkrise. Schlechtes Wetter, steigende Treibstoffkosten und das Bevölkerungswachstum ließen weltweit die Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen. Importierte Lebensmittel verteuerten sich innerhalb von zwölf Monaten um 55 Prozent. Es kam zu Aufständen und politischen Unruhen. Der Staat war gezwungen, Kostensteigerungen bei Grundnahrungsmitteln wie Speiseöl, Brot und Milch aufzufangen.

Seitdem ist das Thema Lebensmittelsicherheit auf der Tagesordnung nach oben gerückt. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 rund 30 Prozent des eigenen Bedarfs selbst decken zu können – statt wie bisher nur 10 Prozent. Dazu müsste Singapur seine Produktion in den nächsten zehn Jahren verdreifachen. Und da es an Land mangelt, setzt Singapur auf Techniken wie Hydroponik in Containern, Lagerhäusern oder Parkdecks. Dabei ersetzt eine wässrige Lösung die Pflanzerde. Sensoren messen laufend deren elektrische Leitfähigkeit und ermitteln dadurch das Verhältnis zwischen den Nährstoffen.

Ernährungssicherheit ist nicht nur in Singapur ein drängendes Thema, sondern auch fast überall sonst. Die Weltbevölkerung wird bis 2050 um ein Viertel auf 9,7 Milliarden Menschen wachsen. Je nach Schätzung bedeutet das einen um 25 bis 70 Prozent höheren Bedarf an Nahrungsmitteln. Es ist unwahrscheinlich, dass konventioneller Freiland-Anbau den zusätzlichen Bedarf decken kann, zumal er bereits den Klimawandel zu spüren bekommt – in Form von Wetterkatastrophen, die durch die globale Erwärmung verschärft werden.

Allerdings war Indoor-Farming bisher stets zu teuer. Um den Preis zu senken, muss man skalieren. Und dazu muss man den Massenmarkt bedienen. Und dazu braucht man niedrige Preise. In diesem Henne-Ei-Dilemma steckten Indoor-Farmen bis jetzt weltweit. Aber im Jahr 2020 haben wir einen Wendepunkt erreicht, glaubt Wirtschaftswissenschaftler Per Pinstrup-Andersen, Emeritus der Cornell University: „Vor zehn Jahren war Indoor-Farming noch ein Wunschtraum. Aber jetzt ist es aufgrund der effizienteren LED-Beleuchtung und besserer Managementpraktiken sehr nahe daran, mit Gewächshäusern und der Freilandproduktion von Gemüse wirtschaftlich konkurrieren zu können. Es brauchte nur noch einen Tritt in den Hintern.“

Im April lieferte die Pandemie diesen Tritt. Nur zwei Tage nach dem ersten Lockdown sagte die Regierung von Singapur einen Eilzuschuss von umgerechnet knapp 23 Millionen US-Dollar für Projekte zur Verbesserung der lokalen Versorgung mit Eiern, Gemüse und Fisch zu. „Es finden jetzt jeden Tag Gespräche statt“, sagt Ankesh Shahra vom Start-up VertiVegies. „Mit einem Wimpernschlag gibt es jetzt plötzlich all diese Innovationen und diese riesige positive Bewegung, die ich mir 2017, als ich zum ersten Mal einen Blick darauf warf, noch nicht vorstellen konnte.“ Während Shahra und sein Team an einer neuen großen Farm arbeiten, produzieren sie auf einer 140 Quadratmeter großen Pilotfläche bereits bis zu 250 Kilogramm Gemüse pro Woche.

(grh)