Reform des BND-Gesetzes: Experten haben starke verfassungsrechtliche Bedenken

Die Kritik am Regierungsentwurf zur Novelle des BND-Gesetzes bezieht sich etwa auf breite Befugnisse zum staatlichen Hacking und eine unzureichende Kontrolle.

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Torhäuser der BND-Zentrale

(Bild: BND)

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Sachverständige haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der Kompetenzen des Bundesnachrichtendienstes (BND) in einer Bundestagsanhörung am Montag kontrovers diskutiert. Während Staatsrechtler überwiegend davon ausgehen, dass die Reform den jüngsten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) größtenteils gerecht werde, vor allem zur Kontrolle des Auslandsgeheimdienstes aber noch nachgebessert werden könne, brachten Verfassungs- und Verwaltungsrechtler, Techniker und Anwälte erhebliche Einwände vor.

Nora Markard, Professorin für Internationales öffentliches Recht und Menschenrechtsschutz an der Uni Münster, wandte sich gegen die vorgesehene breite Erlaubnis zum Hacken von "ausländischen Vermittlungsanlagen, Telekommunikationsinfrastruktur" oder vergleichbaren IT-Systemen von Providern sowie für heimliche Online-Durchsuchungen. Es sei völkerrechtlich problematisch, wenn nicht "nur" konventionell abgehört werde, zumal das vom BVerfG aufgestellte Computer-Grundrecht zur Vertraulichkeit und Integrität auch im Ausland gelte.

Hier drohten Übergriffe auch auf deutsche Staatsangehörige, warnte Markard. Würde der BND massive Schwächen in Programmen über Zero-Day-Exploits ausnutzen, seien alle anderen Nutzer solcher Systeme gefährdet. Die Weitergabe an ausländische Dienste beruhe auf Kooperationsabkommen, die genauso wie Suchbegriffe für den BND-Datenstaubsauger nicht vorab kontrolliert werden könnten. Ein effektiver Filter oder eine manuelle Kontrolle seien nicht vorgesehen.

Beim Schutz der Vertraulichkeitsbeziehungen von Journalisten sehe die Regierung zwar eine relativ hohe Eingriffsschwelle vor, überlasse eine Definition erfasster Medienvertreter aber dem BND. Die Regierung zitiere nicht einmal das Recht auf Pressefreiheit aus Artikel 5 Grundgesetz.

Anlass für die Reform ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai zur verdachtsunabhängigen BND-Massenüberwachung in Form der strategischen Fernmeldeaufklärung. Das Gericht erklärte die dafür eingesetzten Mittel für verfassungswidrig. Der Schutz der Grundrechte beschränke sich nicht auf das deutsche Staatsgebiet.

Die Regierung schaffe mit ihrem Reparaturvorschlag "neue und noch problematischere Rechtslagen", beklagte Klaus Landefeld aus dem Vorstand des eco-Verbands der Internetwirtschaft. Schon die Datenerfassung werde nicht begrenzt. Mit der Klausel, wonach die Agenten bis zu 30 Prozent aller rund 20.000 Telekommunikationsnetze weltweit abfischen dürften, könnten letztlich anhand großer Überkapazitäten "99,9 Prozent der weltweiten Datenverkehre" überwacht werden. Wirksame Schranken fehlten. Die Regeln zu Filtern entsprächen etwa nicht der BVerfG-Linie: Sie müssten "als elementares Schutzinstrument dem Stand der Wissenschaft und Technik genügen".

Als "äußerst problematisch" wertete Landefeld auch die geplante "gesetzliche Fiktion der Aufhebung des Personenbezugs" von Daten bei Maschine-zu-Maschine-Kommunikation. In der Praxis würden so "millionenfach Lebenssachverhalte" erfasst etwa beim Online-Banking, Hotelbuchungen sowie GPS- und Bewegungsdaten von Mobilfunknutzern. Diese Informationen könnten nicht anonymisiert werden, solange ein Merkmal auf einer Seite bekannt werde. Zugleich könnte der BND Daten etwa aus der Cloud von Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft & Co. sammeln, wodurch solche von Bundesbürgern mit erfasst würden. Verschlüsselte Informationen dürfen quasi ewig gespeichert werden.

Das staatliche Hacking lasse einen sehr kritischen Zugriff auf Bestands-, Verkehrs- und Inhaltsdaten zur "politischen Unterrichtung der Bundesregierung" zu, ergänzte der Kölner Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas. Dies würde auch das im BND-NSA-Skandal oft kritisierte "Ausspähen unter Freunden de jure ermöglichen". Selektoren für den Datenstaubsauger müssten geprüft, die parlamentarische Kontrolle sei zwingend auszubauen. Die von der FDP und den Grünen vorgelegten Anträge brächten dazu viele gute Ansätze.

Nötig sei ein einheitlicher Rechtsrahmen für alle Geheimdienste mit ganzheitlicher Prüfung und Kontrolle etwa nach kanadischem oder britischem Vorbild, mahnte Thorsten Wetzling von der Stiftung Neue Verantwortung eine umfassendere Reform an. Derzeit könnte etwa die Bundeswehr bei einem automatisiertem und kennzeichnungsfreiem Informationsbezug von einer "unterschiedlichen Kontrolldichte profitieren". Das Auswerten von Daten durch den BND sollte zumindest teils genehmigungspflichtig werden. Für die vorgesehene gerichtsähnliche Kontrolle brauche es zudem einen "Gegner, der die Position der anderen Seite einnimmt".

Die Regierung bewege sich "ziemlich nah entlang der Doktrin des Verfassungsgerichts" und bleibe damit "überraschungsfrei", meinte der Bonner Staatsrechtler Klaus Gärditz. Mit der geplanten Besetzung des neuen Unabhängigen Kontrollrats (UKR) agiere sie aber "an der Grenze zur Satire", wenn dieses nur mit Richtern des Bundesgerichtshofs, nicht jedoch mit ausgewiesenen Experten etwa aus Verwaltungsgerichten besetzt werden dürfte. Ein Defizit sei auch der "unzureichende Schutz von Inländern ohne deutsche Staatsangehörigkeit".

Jan-Hendrik Dietrich von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung sprach von einem "Erste-Hilfe-Kit" für eine verfassungskonforme Arbeit des BND, das dessen Leistungsfähigkeit nicht tangiere. Dieser könne weiter "anlasslos" überwachen, die notwendige Grundreform des Rechts der Geheimdienste stehe weiterhin aus.

Sein ebenfalls an der Verwaltungsschule lehrender Kollege Markus Löffelmann vermisste einen Schutz besonders gefährdeter Personen im Ausland wie Regimegegner oder Whistleblower. Generell erfordere die Anwendung der "sperrigen Materie" ein "hohes Maß an juristischer Vorbildung", was sie nicht gerade für alle BND-Mitarbeiter praktikabel mache. Bei der Kontrolle und beim Zeugnisverweigerungsrecht etwa von Journalisten empfahl auch er Korrekturen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber brachte in einer Stellungnahme "erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken" vor und kritisierte den "engen Zeitplan" für die Reform, bei der für manche neue Entwürfe nur wenige Tage zum Kommentieren geblieben seien. Dies werde der "hohen Grundrechtsrelevanz" des Vorhabens nicht gerecht. Die vom BVerfG geforderte Schwelle für den Transfer von Daten zur Gefahrenfrüherkennung würden etwa beim Einsatz von Staatstrojanern unterlaufen, der Passus zur angeblichen Maschinenkommunikation sei gefährlich.

(anw)