Klarträume: Zwiegespräche mit Träumenden

Ein internationales Forscherteam hat luziden Träumern Mathematik- sowie Ja-Nein-Fragen gestellt und dabei oft korrekte Antworten erhalten.

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(Bild: K. Konkoly)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Klarträume sind besondere Ereignisse: Die Träumenden sind sich bewusst, dass sie sich sozusagen in einem Holodeck-Programm ihres Gehirns befinden. Sie können ihr Kopfkino oft aktiv verändern und für manche sind die auch luzide genannten Träume eine Möglichkeit, künstlerisch kreativ zu sein oder Probleme zu lösen.

Der ehemalige Programmierer Garry Kessler etwa löste früher regelmäßig Coding-Probleme in seinen Klarträumen. Wenn er sich beim Zubettgehen auf das Dilemma konzentrierte, konnte er sich im Traum damit beschäftigen und fand oft eine Lösung. Weckte er sich dann auf, konnte er die wesentlichen Programmzeilen im Gedächtnis verankern. „Die Lösungen waren spezifisch und detailliert. Sie bestanden nicht nur aus Algorithmen, sondern aus vollständig ausgearbeitetem Code“, sagt Kessler. Paul McCartney wiederum soll Teile der Melodie von „Yesterday“ im Traum gehört haben.

Die Erforschung von luziden Träumen ist jedoch nicht einfach, nicht zuletzt, weil sich nicht alle so gut an die Trauminhalte erinnern. Deshalb entschieden sich vier Forschungsgruppen dafür, mit Klarträumern direkt beim Träumen in Kontakt zu treten. Wie sie im Fachjournal "Current Biology" schreiben, können luzide Träumer tatsächlich mit der Außenwelt interagieren, ohne dabei aufzuwachen.

Die Studie umfasste insgesamt 36 Probanden aus Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und den USA. Einige wie die deutschen Testpersonen waren geübte Klarträumer oder gerieten, wie ein französischer Proband mit Narkolepsie, oft automatisch in diesen Traumzustand. Die US-Probanden wiederum wurden von den Forschern mithilfe einer frei herunterladbaren App darauf trainiert, beim Hören einer bestimmten Melodie damit zu beginnen.

Die Forscher stellten ihnen verschiedene Aufgaben wie einfache Mathematik- oder Ja-Nein-Fragen. Das war bei weitem nicht trivial, denn die Fragen wurden nur teilweise gesprochen. Im deutschen Studienteil übermittelten die Forscher die Aufgaben etwa über geklopfte oder per Licht erzeugte Morse-Zeichen. „Wir wussten nicht, ob gesprochene Sprache unverfälscht ankommt oder die Probanden die Fragen vielleicht einer Traumfigur und nicht uns zuschreiben“, sagt Kristoffer Appel von der Universität Osnabrück und dem Institute of Sleep and Dream Technologies in Hamburg. Deshalb entschied er sich stattdessen für die Morse-Zeichen, „weil diese Signale seltener im echten Leben und in Träumen vorkommen und daher leichter als Nachricht zu erkennen sind“.

Tatsächlich berichteten Probanden nach dem Aufwachen, dass sie die Nachrichten aus der Wachwelt oft korrekt identifizieren konnten. Dabei bauten sie die Frage teilweise in ihren Traum ein. Licht-Morsezeichen wurden zu blinkenden Deckenlampen oder rhythmischen Wolkenbewegungen vor der Sonne. Gesprochenes ertönte etwa aus dem Radio oder dem Telefon.

In einem Viertel der untersuchten Schlafperioden konnten die Probanden mit wiederholten horizontalen Links-rechts-Augenbewegungen signalisieren, dass sie einen Klartraum hatten, sich also ihres Traumzustandes bewusst waren. Daraufhin wurden ihnen interaktiv Fragen gestellt. Insgesamt gaben die Testpersonen in 18 Prozent der Fälle eine richtige Antwort.

Dabei sollten sie, wie vorab instruiert, entweder ebenfalls mit Augen- oder mit willkürlichen Gesichtsmuskelbewegungen antworten. Insgesamt gaben die Testpersonen in 18 Prozent der Fälle eine richtige Antwort. Bei der Rechenaufgabe „8 minus 6“ zum Beispiel kommunizierten sie etwa mit zwei Links-Rechts-Augenbewegungen die Lösung „2“. Für Ja-Nein-Fragen sollten sie verschiedene Gesichtsmuskel anspannen.

Die Ergebnisse sind nicht nur deshalb ungewöhnlich, weil die beteiligten Labore mit leicht unterschiedlicher Methodik erstmals gezeigt haben, dass Träumer auch bewusst mit der Außenwelt interagieren und Fragen korrekt beantworten können. Sondern auch, weil die vier Gruppen ursprünglich getrennt voneinander geforscht hatten und sich für eine kollaborative Publikation ihrer Ergebnisse entschieden, anstatt miteinander zu konkurrieren.

Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse neue Möglichkeiten zur Erforschung von Träumen und allgemein der Bedeutung des Schlafes für das Gehirn eröffnen. „Schlafkognition ist wahrscheinlich wertvoll für das Speichern und die kreative Nutzung von Erinnerungen, und auch für das Lösen von Problemen“, sagt der US-Studienleiter Ken Paller. Möglicherweise lassen sich in luziden Träumen auch Fähigkeiten üben und verbessern. Menschen könnten mit ihrer Hilfe auch lernen, mit Albträumen besser umzugehen.

Auch Appel kann sich vorstellen, dass man mit luziden Träumen „im Schlaf lernen“ und sie für künstlerische Kreativität nutzen kann. „Es könnte auch Richtung Entertainment spannend werden, ähnlich wie bei der virtuellen Realität. Vielleicht wird es also irgendwann möglich, dass man eine Story in den Traum bekommt und dann in ihr handelt.“ Nicht zuletzt hoffen die Forscher, dass von Therapeuten beeinflusste Klarträume auch bei der Behandlung von Angststörungen oder der Traumabewältigung helfen können.

(vsz)