Entstehung des Lebens: Blitzartig erweckt

Laut einer neuen Studie könnten Funkenentladungen in der Natur maßgeblich zum Beginn der Evolution beigetragen haben.

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(Bild: Johannes Plenio / Pexels)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Neel V. Patel
Inhaltsverzeichnis

Die Suche nach Leben auf anderen Planeten lässt sich ein wenig mit Kochen vergleichen. Selbst wenn alle Zutaten vorhanden sind – Wasser, warmes Klima, eine ausreichend dichte Atmosphäre, die richtigen Nährstoffe, organisches Material und eine Energiequelle –, müssen auch die Bedingungen stimmen und die richtigen Prozesse ablaufen, damit aus den Rohmaterialien etwas Neues entsteht.

Manchmal braucht das Leben also einen Funken Inspiration – oder besser gesagt mehrere Billionen davon. Laut einer neuen Studie, in Nature Communications veröffentlicht, könnten Blitze bei der Entstehung des Lebens vor etwa 3,5 Milliarden Jahren eine Schlüsselrolle gespielt haben, und zwar indem sie Phosphor bereitstellten. Phosphor ist ein wesentlicher Bestandteil der Erbsubstanzen DNA und RNA, ebenso wie von Adenosintriphosphat (ATP), der Energiequelle allen bekannten Lebens, und anderen biologischen Komponenten wie Zellmembranen.

"Die Studie eröffnet ganz neue Perspektiven bei der Suche nach Leben auf erdähnlichen Planeten", sagt Hauptautor Benjamin Hess von Yale University . Dabei sind Blitze nicht zum ersten Mal als mögliche Helfer bei der Entstehung des Lebens im Gespräch. Laborexperimente haben gezeigt, dass sie organisches Material erzeugen können, das bestimmte Grundbausteine wie Aminosäuren enthält. Körpereigene Eiweiße sind aus solchen Aminosäuren aufgebaut.

Die neue Studie betrachtet die Rolle der Blitze jedoch aus einem anderen Blickwinkel. Schon lange rätseln Wissenschaftler darüber, wie das frühe Leben auf der Erde an Phosphor herankommen konnte. Obwohl vor Milliarden von Jahren reichlich Wasser und Kohlendioxid zur Verfügung standen, war Phosphor in unlöslichen, nicht reaktiven Gesteinen eingeschlossen. Mit anderen Worten: Der Phosphor war im Grunde genommen für immer weggeschlossen.

Wie bekamen Organismen Zugang zu diesem essenziellen Element? Die vorherrschende Theorie besagt, dass Meteoriten Phosphor in Form eines Minerals namens Schreibersit auf die Erde brachten. Das auch als Glanzeisen bekannte, seltene Mineral löst sich in Wasser und wäre damit für Lebewesen leicht verfügbar. Der Haken bei dieser Theorie ist jedoch, dass die Meteoriteneinschläge in jener Epoche vor über 3,5 bis 4,5 Milliarden Jahren, in der das Leben begann, exponentiell abnahmen. Der Planet aber hätte eine Menge phosphorhaltiges Schreibersit gebraucht, um Leben zu entwickeln und zu erhalten. Zudem entwickeln Meteoriteneinschläge meist eine so zerstörerische Kraft, dass entstehendes Leben gleich wieder vernichtet würde (ein Schicksal, das viele Jahrmillionen Jahre später ja auch die Dinosaurier ereilte). Darüber hinaus wäre wohl ein Großteil des mitgelieferten Schreibersits beim Aufprall schon gleich verdampft.

Hess und seine Kollegen glauben, nun die Lösung gefunden zu haben. Schreibersit kommt auch in Fulgurit vor: Röhrenartigen Strukturen, die sich bei einem Blitzeinschlag in Gestein oder Sand bilden. Durch die extreme Hitze von bis 30.000 Grad Celsius verglasen deren Wände, weil das Gestein schmilzt. Während dieses Prozesses nehmen sie Phosphor aus irdischem Gestein auf. Und sie sind in Wasser löslich.

Die Autoren der neuen Studie sammelten Fulgurite, die durch auf die Erde auftreffende Blitze in Illinois im Jahr 2016 entstanden waren. Zunächst wollten sie nur die Auswirkungen der extremen Blitzerhitzung untersuchen. Dabei fanden sie heraus, dass die Fulgurit-Proben zu 0,4 Prozent aus Schreibersit bestanden. "Eigentlich beruht unsere Studie auf dieser zufälligen Entdeckung", so Benjamin Hess.

Von da an war es nur noch eine Frage der Mathematik, wie viel Schreibersit durch Blitze vor Milliarden von Jahren erzeugt worden sein könnte, also etwa zu der Zeit, als das erste Leben auf der Erde entstand. Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich damit, den früheren Gehalt an atmosphärischem Kohlendioxid zu schätzen – ein Faktor, der zu Blitzeinschlägen beiträgt. Mit dem Wissen, wie die Kohlendioxid-Konzentration mit Blitzeinschlägen korreliert, bestimmte das Team, wie viele Blitze es damals gegeben haben muss.

Hess und Kollegen ermittelten, dass Billionen von Blitzeinschlägen jedes Jahr 110 bis 11.000 Kilogramm Schreibersit produziert haben könnten. Im Lauf der entsprechenden Zeitspanne sollte durch Blitze ausreichend Phosphor freigesetzt worden sein, um lebende Organismen zum Wachsen und zur Fortpflanzung anzuregen – weit mehr als durch Meteoriteneinschläge entstanden wäre.

Das ist interessant für das Verständnis der Erdgeschichte, eröffnet aber auch eine neue Sicht auf mögliches Leben anderswo. "Dieser Mechanismus könnte auch auf Planeten funktionieren, auf denen nur noch selten Meteoriten einschlagen", sagt Hess. Allerdings beschränkt sich das Modell auf Regionen mit flachen Gewässern. Denn der durch die Blitze entstandene Fulgurit muss sich zwar auflösen können, um Phosphor freizusetzen. Es darf aber auch nicht in einer großen Wassermenge verloren gehen.

Aber diese Einschränkung hat auch ihre guten Seiten. Während sich die Astrobiologie derzeit vor allem auf Ozeane konzentriert, lenkt die Studie den Fokus wieder auf Orte wie den Mars, die nicht von riesigen Gewässern dominiert werden. Um es klar zu sagen: Die Studie suggeriert nicht, dass Meteoriteneinschläge nicht auch beitragen können, Phosphor für das Leben zugänglich zu machen. Außerdem, so betont Hess, brauchen andere Mechanismen wie hydrothermale Schlote nicht unbedingt Meteoriten oder Blitze, um frühes Leben zu entwickeln.

Hinzu kommt, dass die Erde vor über 3,5 Milliarden Jahren nicht so aussah wie heute. Es ist nicht sicher, ob genügend Gestein der Luft ausgesetzt war und überhaupt von Blitzen getroffen werden konnte. Denn nur dann entsteht Schreibersit und könnte Phosphor freisetzen. Die Beantwortung dieser Fragen will Hess anderen Wissenschaftlern überlassen, da sie nicht sein eigentliches Arbeitsgebiet betreffen. "Aber ich hoffe, dass die Leute durch unsere Studie auf Fulgurite aufmerksam werden und deren Möglichkeiten weiter erforschen", sagt er. "Unsere Forschungen tragen hoffentlich bei, auch in flachen Gewässern nach Leben zu suchen, so wie wir es derzeit auf dem Mars tun." (bsc)