Immunitätsausweis ohne klare Gültigkeitsdauer

Digitaler Impfpass kommt bis Ende Juni. Wie lange er gilt und Grundrechte sichert, kann das Gesundheitsministerium aber nicht sagen

Das Bundesgesundheitsministerium hält ungeachtet einer entgegengesetzten Einschätzung des Deutschen Ethikrates und trotz fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Wirkdauer von Impfungen gegen das neuartige Corona-Virus Sars-CoV-2 an der Einführung eines digitalen Impfausweises fest, dessen Inhabers bestimmte Grundrechte zurückerhalten sollen.

In dem Dokument können nach Angaben des Ministeriums zentrale Informationen wie Impfzeitpunkt und Impfstoff digital gespeichert werden; betreffen würde das auch die in der EU zugelassenen Corona-Impfungen. Während das Vorhaben eines solchen Immunitätsausweises vorangetrieben wird, versucht das Gesundheitsressort unter Leitung von Jens Spahn (CDU) Aussagen zur Wirkdauer der Corona-Impfungen zu umschiffen.

Man gehe aktuell davon aus, dass ein digitaler Impfpass "zum Ende des zweiten Quartals 2021 bereitgestellt werden kann", heißt es in Fragen und Antworten des Ministeriums zum Thema. In dem Online-Interview vom 18. März haben sich die ministerialen Fachleute eine zentrale Frage aber nicht gestellt: Wie lange die zugelassenen Corona-Impfungen wirken und – in Konsequenz – wie lange ein Corona-Impfnachweis Gültigkeit haben wird.

Gestellt hat diese Frage der Linken-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexperte Achim Kessler – und bekam diese Woche immerhin eine klare Antwort:

Derzeit kann allerdings noch keine gesicherte Aussage zum möglichen Zeitpunkt einer Abschwächung der Immunität bzw. zum Wiederauftreten von Infektiösität (sic!) nach einer COVID-19-Impfung getroffen werden. Hierzu liegen dem Robert-Koch-Institut derzeit noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten vor.

Gesundheitsministerium am 20.04.2021 auf Nachfrage des Abgeordneten Kessler

Freiheiten für Geimpfte – nur wie lange?

Das bedeutet konkret: Das Gesundheitsministerium will in den nächsten neun Wochen – bis Ende Juni – Immunitätsausweise einführen, mit denen vollständig Geimpfte bestimmte Freiheiten zurückbekommen sollen, kann aber nicht sagen, wie lange diese Personengruppe die zurückgewonnenen Freiheiten genießen kann. Dabei ist dieses Thema von erheblicher Bedeutung, denn in den selbstgestellten "Fragen" und selbstgegebenen "Antworten zum digitalen Impfnachweis" heißt es explizit:

Mittlerweile hat die Europäische Kommission auch einen Verordnungsentwurf zur Regelung eines EU-weiten Anerkennungsrahmens für (digitale) Zertifikate für Impfungen, Tests und für Personen mit COVID-19-Heilstatus vorgelegt, um die Reisefreizügigkeit zu erleichtern.

Im Ministerium scheint man sich der mangelhaften wissenschaftlichen Erkenntnis und der daraus resultierenden fehlenden Rechtssicherheit für künftige Inhaber eines digitalen Impfpasses im Klaren zu sein.

Denn während das Gesundheitsressort in der Antwort auf die parlamentarische Frage des Abgeordneten Kessler das Problem eingestand, wich die Pressestelle einer entsprechenden Anfrage von Telepolis inhaltlich aus. Auf die Anfrage nach der Gültigkeitsdauer "entsprechender Ausweise deutscher Behörden und/oder der EU nach Impfung" sandte das Ministerium lediglich kopierten Passagen aus den "Fragen und Antworten zum digitalen Impfnachweis", ohne auf das konkrete Thema einzugehen.

Der Deutsche Ethikrat hatte sich im vergangenen September gegen die Einführung eines Nachweises zur Immunität gegen Sars-CoV-2 "zum jetzigen Zeitpunkt" ausgesprochen. Der "aktuelle naturwissenschaftlich-medizinische Sachstand" spreche nach Auffassung aller Ratsmitglieder dagegen, heißt es in einer damaligen Stellungnahme. Anfang April dann erneuerte Gesundheitsminister Spahn einen entsprechenden Vorstoß in einem Interview mit der BILD am Sonntag.

Seine Position stütze er dabei auf "eine Auswertung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse durch das Robert-Koch-Institut". Tatsächlich hatte der Chef des ministeriumsnahen Instituts, Lothar Wieler, lediglich eine zweiseitige Kurzeinschätzung verfasst. Darin verwies Wieler unter anderem auf eine israelische Kohortenstudie zur sogenannten sterilen Immunität, also der Weitergabe des Erregers durch Geimpfte. Dieses zwölfseitige Papier ging allerdings nur auf das Vakzin BTN162b2 von Biontech und Pfizer ein und war zum Zeitpunkt der Einschätzung noch nicht in einem üblichen Peer-Review-Verfahren bestätigt worden.

Damit ist klar: Der Immunitätsausweis wird kommen, ohne dass die Wirkung der Impfungen auf die Virusübertragung gesichert oder die Wirkdauer Vakzine bekannt sind.

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