Ärger wegen Waffen und Moneten: Höhenflug der Grünen vorerst vorbei

Umweltschutz füllt die Spitzen-Grünen inzwischen nicht mehr aus. Sie wollen Weltpolitik machen - und das nicht unbedingt gewaltfrei.

Ach echt, die Grünen sind für Waffenlieferungen? Im Prinzip nicht, aber irgendwie vielleicht doch. Für Verluste in Umfragen könnte es noch andere Gründe geben

Nachdem mehrere Tage rauf und runter diskutiert wurde, ob die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sich gemäß formaler Bildungsabschlüsse Völkerrechtlerin nennen darf und ob sie ohne Bachelor überhaupt einen britischen Master-Abschluss erlangen konnte (ja, konnte sie dank Vordiplom), geht es endlich ans Eingemachte: Wie stehen die Grünen wirklich zu Waffenexporten in Krisengebiete, und was halten sie so von Entspannungs- und Friedenspolitik?

Die Antwort ist ernüchternd für alle, die aus irgendeinem Grund bis jetzt geglaubt haben, die Grünen seien immer noch die netten Ökos von nebenan, die sich für gewaltfreie Konfliktlösungen einsetzen. Ein bisschen was von diesem Image hätte Baerbock dann doch gerne behalten, schließlich will sie nicht nur bisherige SPD-, FDP- und CDU-Wähler ansprechen, sondern auch noch das traditionellere Grünen-Spektrum, das vielleicht nach wie vor ein paar Friedensbewegte im Freundeskreis hat. So versuchte sie am Mittwochabend in einer Talkshow zu reparieren, was ihr Ko-Vorsitzender Robert Habeck kurz vor einem Besuch an der Frontlinie der Ostukraine verbockt hatte. So ganz gelang ihr das nicht.

"Frau Baerbock versucht jetzt mit fadenscheinigen Argumenten die außenpolitische Geisterfahrt von Robert Habeck zu rechtfertigen", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Donnerstag den Zeitungen der Funke Mediengruppe mit Blick auf ihren Auftritt in der ARD-Sendung "Maischberger. Die Woche".

Habeck hatte sich am Dienstag für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. "Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung kann man meiner Ansicht nach, Defensivwaffen, der Ukraine schwer verwehren", hatte er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk gesagt. Einen Tag später wollte er damit zum Beispiel "Nachtsichtgeräte, Aufklärungsgeräte, Kampfmittelbeseitigung, Medevacs" - also Flug- und Fahrzeuge zur medizinischen Evakuierung - gemeint haben.

Auf seine ursprüngliche Forderung nach Waffenlieferungen wurde Baerbock bei Maischberger angesprochen. Sie behauptete prompt: "Hat er so nicht gesagt." Ihr Ko-Vorsitzender habe eine Unterstützung der OSZE-Mission in der Ukraine verlangt und dies am Mittwochmorgen auch präzisiert. "Robert Habeck hat heute Morgen ja genau klargestellt, dass es nicht um Defensivwaffen geht, sondern - wie wir auch schon vor kurzem deutlich gemacht haben - um Munitionsräumung, um die Bergung von verwundeten Personen, Zivilisten, mit gepanzerten Fahrzeugen und auch um die Frage Unterstützung der OSZE-Mission", so Baerbock. Habeck hatte in dem Radiointerview vom Mittwochmorgen die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aber gar nicht erwähnt.

"Wortklaubereien und Täuschungsversuche"

"Das Schlingern der Grünen in der Außenpolitik ist unsouverän", so Klingbeil. "Angeblich sei alles ganz anders gemeint gewesen." Dies seien irritierende Signale für eine Partei, die ins Kanzleramt einziehen wolle. "Außenpolitik braucht gerade in diesen turbulenten Zeiten Verlässlichkeit und Substanz. Was wir bei den Grünen erleben, ist allerdings Selbstfindung auf der internationalen Bühne", befand er.

Die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, warf Baerbock "Wortklaubereien und Täuschungsversuche" vor. "Statt der Forderung ihres Co-Vorsitzenden Robert Habeck nach militärischer Aufrüstung der Ukraine eine unmissverständliche Absage zu erteilen, verschleiert die Grünen-Kanzlerkandidatin mit frei erfundenen Zitaten ihre grundsätzliche Bereitschaft, Waffen in Kriegsgebiete wie den Osten der Ukraine zu exportieren."

Habeck hat das Land auf Einladung des prowestlichen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj besucht, während Teile der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk entlang der russischen Grenze seit 2014 unter der Kontrolle prorussischer Milizen stehen.

Ein Kommentator der taz, die traditionell als Leib- und Magenblatt von Grünen-Wählern gilt, bezeichnete Habecks Äußerungen vom Dienstag als "falsch und gefährlich". "Robert Habeck wollte in der Ukraine wohl zeigen, dass die Grünen ihr pazifistisches Erbe wirksam entsorgt haben. Doch das ging komplett schief." Letzteres darf bestritten werden, denn er hatte genau das sehr deutlich gezeigt. Unglücklich gelaufen war dies nur mit Blick auf eine Zielgruppe, die bisher die Grünen in erster Linie als Umwelt- und Klimapartei oder als Partei "gegen Rechts" wahrgenommen hat, selbst eher militärkritisch eingestellt ist und die außenpolitischen Positionen der Grünen bisher weitgehend ausgeblendet hat.

Zu dieser selektiven Wahrnehmung und einer gewissen Beißhemmung von Linken hat sicher auch beigetragen, dass Baerbock seit ihrer Nominierung oft aus den falschen Gründen und noch dazu niveaulos "kritisiert" und attackiert wurde. Als Reaktion auf sexistisches Baerbock-Bashing verhielten sich "woke" Linke, als sei es den Grünen hoch anzurechnen, dass sie 16 Jahre nach der CDU auch eine Frau zur Kanzlerkandidatin gemacht haben. Ohne die teils frauenfeindlichen Attacken gegen Baerbock wäre in linken Kreisen wohl stärker problematisiert worden, dass sie mitten in der Corona-Krise gezielte Investitionen in die Bundeswehr gefordert hatte und Habeck schon Monate vor der Bundestagswahl ein Bekenntnis zur Nato zur Bedingung für mögliche Koalitionspartner machen wollte. Insofern hat die niveaulose "Kritik" den Grünen eher genützt als geschadet.

Aktuell nicht stärkste Kraft

Mittlerweile sind die Grünen allerdings laut "Sonntagsfrage" des Meinungsforschungsinstituts YouGov nicht mehr stärkste Kraft: Die Unionsparteien führen demnach mit 26 Prozent, für die Grünen würden sich noch 22 Prozent der Stimmberechtigten entscheiden.

Schwer zu sagen ist, woran es hauptsächlich liegt, dass der Höhenflug der einstigen Friedens- und Ökopartei vorerst vorbei ist. Die Irritationen um Baerbocks Abschlüsse wirkten künstlich aufgebauscht in einem Land, in dem ein Bankkaufmann und Politologe Gesundheitsminister ist - abgesehen davon, dass der erste grüne Außenminister Joseph Martin "Joschka" Fischer nur einen Taxischein vorzuweisen hatte.

Mit Blick auf soziale Gerechtigkeit und Transparenz könnte es jedenfalls mehr Wahlberechtigte ärgern, dass Baerbock unlängst der Verwaltung des Bundestags Sonderzahlungen von mehr als 25.000 Euro nachmelden musste, die sie als Bundesvorsitzende von ihrer eigenen Partei bekommen hatte. Nach ihren Worten war es ein "blödes Versäumnis", diese nicht früher angegeben zu haben. Bei "Maischberger" räumte sie ein, am Beschluss über diese Sonderzahlungen selbst beteiligt gewesen zu sein.

Den Großteil machte dabei Weihnachtsgeld aus. Darunter war aber auch eine coronabedingte Sonderzahlung aus dem Dezember 2020 in Höhe von 1.500 Euro. "Ich habe mich natürlich selbst über meinen Fehler tierisch geärgert", sagte Baerbock in der Talksendung, bekräftigte aber zugleich, das Weihnachtsgeld sei immer korrekt versteuert worden. Sie habe aber nicht auf dem Schirm gehabt, dass sie es auch dem Bundestagspräsidenten hätte melden müssen.

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