Konzerte & Co.: Bayerische Polizei soll Helfer und Besucher durchleuchten dürfen

CSU und Freie Wähler haben sich auf eine Änderung des Bayerischen Polizeigesetzes geeinigt. Kritiker warnen vor chinesischen Verhältnissen.

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(Bild: laolaopui/Shutterstock.com)

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In Bayern soll das seit Jahren umkämpfte Polizeiaufgabengesetz (PAG) weiter verschärft werden. Die Regierungsfraktionen von CSU und Freien Wählern haben sich auf einen Änderungsantrag für einen neuen Artikel 60a für eine "Zuverlässigkeitsüberprüfung" verständigt. Demnach soll die Polizei bei Anlässen wie Konzerten oder Fußballspielen, "die mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden sind", personenbezogene Daten einer Person "mit deren schriftlicher oder elektronischer Zustimmung bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen erheben, übermitteln und anderweitig verarbeiten".

Voraussetzung für die breite Befugnis soll sein, dass die Maßnahme "für die Tätigkeit der betroffenen Person erforderlich und angemessen ist". Um dies festzustellen, sollen die Ordnungshüter schon vorab eine Gefährdungsanalyse durchführen. Als Beispiele, in denen die entsprechende Sicherheitsüberprüfungen insbesondere erfolgen kann, nennt die Koalition besondere Zugangsberechtigungen zu Veranstaltungen und Eventreihen, "die besonders gefährdet sind", sowie "den privilegierten Zutritt zu einem Amtsgebäude oder einem anderen gefährdeten Objekt oder Bereich".

Infrage kommen soll die Datenanalyse etwa auch "für die Erbringung von Dienstleistungen zur Unterstützung behördlicher Aufgaben", bei Personen, die Zugang zu sicherheitsrelevanten Unterlagen oder ähnlichen Inhalten haben, oder "zu Zwecken des Personen- und Objektschutzes". Die Polizei kann dem Plan nach für die Zuverlässigkeitsüberprüfung auch die Identität einer Person feststellen und dafür von ihr vorgelegte Ausweisdokumente kopieren oder Vervielfältigungen etwa vom Perso anfordern.

Die Ermittler sollen weiter befugt sein, das Ergebnis ihres Screenings an eine andere Stelle zu übermitteln, wenn diese mit über die Sicherheitseinstufung einer Veranstaltung entscheidet. Gibt es Bedenken gegen eine Person, ist diese vor der Datenweitergabe über die Einwände zu informieren, wenn der Betroffene dies zuvor angefordert hat. Es soll dann eine Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Sollte der Organisator trotz eines einschlägigen Hinweises eine Person zulassen, kann er verpflichtet werden, dies der Polizei mitzuteilen.

Laut der Begründung sollen die Ordnungshüter bei dem Vorgang vor allem prüfen, "ob zur betroffenen Person in den polizeilichen Akten und Datenbanken oder bei anderen öffentlichen Stellen Erkenntnisse von sicherheitsrechtlicher Bedeutung vorliegen". Welche Informationssysteme "konkret abgefragt werden und in welchem Umfang dieser Datenabgleich erfolgt", sei in der Gefährdungsanalyse festzulegen. Letztere stütze sich etwa auf "den konkret geplanten Einsatzbereich der betroffenen Personengruppe". Zudem dürften "auch öffentlich zugängliche Daten abgeglichen werden".

Der Innenausschuss des Bayerischen Landtags hat den Antrag am Mittwoch bereits mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern angenommen, nachdem ihn die Koalition erst wenige Stunden vorher eingebracht hatte. Das Parlamentsplenum muss in einer der nächsten Sitzungswochen noch zustimmen, was aber als Formsache gilt. Sachverständige hörten die Abgeordneten nicht zu dem Vorhaben an.

Nicht nur dieses ungewöhnliche Schnellverfahren überrascht Kritiker, sondern auch der vage Inhalt der Klausel. Diese könne ein Einfallstor für Social Scoring sein, also den Aufbau eines sozialen Kreditsystems wie etwa in China, erklärte Markus Löffelmann, Professor für Sicherheitsrecht an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin, gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". Mit solchen statistischen Verfahren, die aus dem Bereich der Bonitätsprüfung stammen, soll das soziale Verhalten von Bürger im Rahmen von Punktesystemen bewertet werden.

Wenn man am gesellschaftlichen Leben teilhaben wolle, werde man das nur noch können, "indem man seine Zustimmung zu einer polizeilichen Durchleuchtung abgibt", befürchtet Löffelmann. Die vorgesehene Passage habe eine "riesige Streubreite". Es bleibe "völlig offen, welcher Personenkreis betroffen ist". Ferner werde nicht festgelegt, "welche Daten herangezogen werden". Bestehende Pflichten etwa für Mitarbeiter an Flughäfen oder Wachdiensten, sich einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen, würden nun ausgeweitet "auf alle Bürger in Bayern".

Der Münchner Rechtswissenschaftler Mark Zöller warnt laut dem Bericht gar von einem "Schritt in Richtung Überwachungsstaat". Dies sei "eine ganz neue Dimension der Überwachung und Kontrolle", ein "Wunschtraum chinesischer Verhältnisse". Dass die Koalition sich bei der Durchleuchtung nicht auf bestimmte Berufsgruppen beschränken wolle, sei ebenso auffällig, wie die fehlende Einbindung des Datenschutzbeauftragten.

Auch von der Opposition hagelt es Kritik. Von einer Freiwilligkeit der geplanten Überprüfung könne keine Rede sein, moniert Horst Arnold von der SPD-Faktion. Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze beklagte: "Erneut schränkt die Regierung Bürgerrechte ein und missachtet den Datenschutz, obwohl wir im sichersten Bundesland leben." Der Innenexperte der CSU-Fraktion, Manfred Ländner, versteht die Aufregung dagegen nicht: Der neue Paragraf soll ihm zufolge nur für Menschen mit besonderer Zugangsberechtigung gelten. Es gehe nicht um normale Konzert-Besucher, sondern etwa um Mitarbeiter im Backstage-Bereich und Dienstleister bei Veranstaltungen.

Eine Expertenkommission hatte der bayerischen Regierung vor zwei Jahren empfohlen, den besonders umstrittenen Begriff der "drohenden Gefahr" im PAG einzuschränken. Gegen die Novelle des Gesetzes 2018 waren tausende Menschen bei Demonstrationen auf die Straße gegangen. Sie befürchteten schon damals, dass die Reform die Bürgerrechte unverhältnismäßig einschränke. Gegner wie die Grünen reichten in Bayern eine Verfassungsklage gegen das "Gefährdergesetz" ein, Bundestagsabgeordnete der Linken, Grünen und der FDP riefen gemeinsam das Bundesverfassungsgericht an.

(bme)