Kampfdrohnen: Technisch beschränkt, aber dennoch tödlich

Auch wenn die erhitzte Diskussion etwas anderes vermuten lässt: Schwarmangriffe von Tausenden autonomen Drohnen bleiben auf absehbare Zeit unwahrscheinlich.

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(Bild: Armyinform.com.ua / cc-by-4.0)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Denis Dilba
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Sobald der Kamikaze-Quadcopter Kargu-2 sein Einsatzgebiet erreicht hat, beginnt er mit Sensoren und Kameras mögliche Ziele zu identifizieren. Welches davon angriffen wird, entscheidet bisher ein menschlicher Drohnenpilot per Fernsteuerung.

Im März 2020 soll das Waffensystem des türkischen Herstellers SMT in Libyen allerdings ohne sogenannten „Human in the Loop“ eingesetzt worden sein – als weltweit erste Kampfdrohne überhaupt: „Die tödlichen autonomen Waffensysteme wurden so programmiert, dass sie Ziele angreifen, ohne dass eine Datenverbindung zwischen dem Bediener und der Waffe erforderlich ist“, heißt es in einem Bericht für den UN-Sicherheitsausschuss.

Seit seiner Veröffentlichung ist die Debatte um die Gefahren, die von autonomen Killerrobotern ausgehen, wieder voll entflammt – und düstere Zukunftsszenarien kursieren in der öffentlichen Debatte in denen Tausenden KI-gesteuerter Kampfdrohnen „schon bald“ gezielt Jagd auf bestimmte Personen machen.

Experten schätzen die Lage jedoch nüchterner ein: Zwar ist unzweifelhaft, dass Kargu-2 und ihre Kampfdrohnen-Verwandtschaft schon heute tödlich sein können. Die Gefahr, die von solchen Kampfdrohnen ausgeht, ist daher real und muss ernst genommen werden. Aber von einer nahezu unüberwindlichen Waffe, die Angriffe mit quasi-chirurgischer Präzision möglich macht, sind die Systeme noch weiter entfernt als die mit ihnen verbundenen Begriffe „autonom“ oder „KI-gesteuert“ suggerieren. „Es gibt noch einige technische Limitationen für solche Drohnen“, sagt beispielsweise Roland Siegwart, Leiter des Autonomous Systems Lab (ASL) am Institut für Robotik und Intelligente Systeme (IRIS) der ETH Zürich.

Sie betreffen etwa die Manövrierfähigkeit und die Präzision bei der Zielerkennung, womit wiederum die maximal mögliche Nutzlast und Flugzeit verknüpft sind. „Es gilt die grobe Daumenregel: Je zielgenauer die Systeme werden sollen, desto bessere Sensoren und mehr Rechenleistung sind nötig“, sagt Siegwart. Und das bedeutet wiederum: Die Drohne wiegt mehr und benötigt mehr Energie.

Insbesondere sehr kleine Drohnen, die gezielt individuelle Menschen jagen, wie in dem 2017 veröffentlichten fiktionalen Video „Slaughterbots“, blieben daher zu weiten Teilen noch Science-Fiction, sagt der Forscher. Ihre Durchschlagskraft wäre zwar ausreichend, um Menschen tödlich verletzen zu können. Aber wegen des großen Bedarfs an Rechenleistung und Energie, gibt es heute keine Technologie, die solche Drohnen länger als drei, vier Minuten fliegen lasse, sagt Siegwart.

Das reicht zwar theoretisch auch für einen Anschlag aus: „Von einem Hochhaus oder Turm aus auf einen belebten Marktplatz losgelassen, könnten solche Drohnen auch innerhalb kurzer Flugzeit viele Menschen erreichen“, sagt Siegwart. „Da die Fluggeräte aber in der Regel von oben kommen, werden sie es wegen des schlechten Winkels kaum schaffen individuelle Personen zu erkennen.“ Damit ist so ein Miniatur-Kampfdrohen-Schwarm ähnlich wahllos wie ein Bombenattentat – aber komplizierter durchzuführen und auf unabsehbare Zeit deutlich teurer in der Umsetzung.

Ebenso wie bei den sehr kleinen Drohnen spricht auch bei größeren militärischen Drohnen noch der Kostenfaktor gegen einen KI-gesteuerten Schwarmangriff von hunderten oder tausenden Fluggeräten gleichzeitig. Für einen sogenannten „Übersättigungsangriff“, bei dem statische oder langsame militärische Ziele wie Flughäfen oder Flugzeugträger künftig durch die schiere Masse an Drohnen überwältigt werden sollen, müssten die Drohnen vor allem schnell angreifen können und extrem manövrierfähig sein.

„Kleinere Düsentriebwerke können diese Anforderungen erfüllen“, sagt Richard-Gregor Becker vom Institut für Antriebstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. An solchen Antrieben mit Schüben zwischen einem und zehn Kilonewton (kN) werde weltweit gearbeitet. Zum Vergleich: Die beiden Triebwerke des Eurofighters bringen es auf zusammen 120 kN Schubkraft, mit Nachbrenner sogar auf 180 kN.

Die technologischen Potenziale von solchen kleineren Jettriebwerken seien allerdings noch lange nicht ausgeschöpft, sagt Becker. Und ob sie überhaupt leistungsfähig genug werden und bezahlbar bleiben, sei auch noch unklar. „Das hängt maßgeblich auch von den damit verbundenen Entwicklungskosten ab“, sagt der Experte. Teuer würden sie wohl in jedem Fall: So soll der unbemannte strahlgetriebene Experimental-Jet XQ-58A Valkyrie des US-amerikanischen Herstellers Kratos Defense and Security Solutions etwa zwei bis drei Millionen US-Dollar kosten. Ein großer Anteil davon entfällt auf den Antrieb.

Nicht wesentlich günstiger wären Jet-Drohnen, die nur halb so groß oder kleiner als die die knapp neun Meter lange Valkyrie sind. Schwarmangriffe mit tausenden von Jet-Drohnen sind daher für die allermeisten Staaten kaum finanzierbar. „Aus diesem Grund wird insbesondere auch an Low-Cost-Triebwerken geforscht“, sagt Becker. Die Idee: Wenn ein Düsentriebwerk insgesamt nur wenige Stunden anstatt mehreren Jahren funktionieren muss, können deutlich günstigere Materialien, Verfahren und Prozesse eingesetzt werden.

Überlegt wird etwa auf teure Beschichtungen zu verzichten, die Komponenten vor Hitze schützen oder simplere Produktionsverfahren einzusetzen, da die Qualität der Bauteile nicht mehr so hoch sein muss, sagt Becker. „Denkbar ist auch teilweise temperaturfeste Kunststoffe in solchen Antrieben zu verbauen.“ Die Herausforderungen sind allerdings noch gewaltig: „Es gibt noch keine Verfahren oder empirische Daten zu solchen Triebwerken“, sagt Becker. Nicht wesentlich leichter werde auch die Entwicklung von effizienteren kleinen Düsentriebwerken mit langer Lebensdauer. „Die kompakte Bauweise macht vor allem die Kühlung aufwändig“, sagt der DLR-Experte.

Für filigrane Kühlkanäle im Inneren der Triebwerkschaufeln, wie bei großen Strahltriebwerken üblich, sind etwa die Abmessungen zu klein. Bauteile mit Keramikanteilen, die höhere Temperaturen aushalten, versprechen dieses Problem zu lösen. So hat sich Rüstungskonzern Kratos durch die Übernahme eines US-Triebwerkherstellers vor knapp zwei Jahren Patente in diesem Themenfeld gesichert.

Bis aber Kampfdrohnen mit solchen neuen Kleintriebwerken fliegen – günstig oder teuer – werden noch einige Jahre vergehen. „Triebwerksentwicklung ist nichts Kurzfristiges“, sagt Becker, „ein Jahrzehnt vergeht da schnell.“ Waffensysteme wie Kargu-2 sind derweil real. Und gerade auch deshalb so gefährlich, weil die Technik noch nicht so weit ist, wie man annehmen würde. Zwar gab Hersteller STM gegenüber türkischen Medien an, dass seine Drohne über Gesichtserkennungs-Technologie verfügt. Dass aber Kargu-2 beim Angriff aus dem Himmel eigenständig und sicher erkennen kann, welcher Mensch in der Wüste Freund oder Feind ist, darf stark bezweifelt werden. Bei einem autonomen Angriff mit Kargu-2 wird also in Kauf genommen, dass jede Person in einem Zielgebiet angegriffen werden kann – auch wenn sie sich nur zufällig dort aufhält.

(wst)