Bezahlbare Mieten – weniger Emissionen

Viele Emissionen kommen nur dadurch zustande, dass sich Lohnabhängige keine Miete in der Nähe ihrer Arbeitsstätte leisten können. Foto: Nile auf Pixabay (Public Domain)

Klimaschutz: Hohe Spritpreise helfen nicht gegen lange Anfahrtswege zum Arbeitsplatz. Gewerkschaft fordert: Die Menschen müssen auch dort leben können, wo sie arbeiten

Die Bilder ähneln sich morgens und am Nachmittag in der ganzen Republik: Überquellende Bahnhöfe, Menschenmassen, die zu den Zügen strömen oder von ihnen ausgespien werden; Blechlawinen, die über die Straßen rollen. Deutschland ist ein Pendlerland, und für das Klima ist das eine enorme Belastung, denn noch immer ist das Auto das beliebteste Verkehrsmittel.

Die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland musste im Jahr 2020 den Wohnort verlassen, um zum Arbeitsplatz zu kommen. Konkret waren es knapp 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten oder: 19,6 Millionen Menschen, wie das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Regionalforschung (BBSR) im Juni 2021 mitteilte. Vor allem in die Metropolen wie München, Frankfurt, Hamburg und Berlin strömen demnach besonders viele Arbeitskräfte. Nach München pendeln über 400.000 Menschen täglich; in die anderen drei Städte jeweils über 300.000 Personen.

Legt man dagegen den Fokus auf den relativen Anteil der sogenannten Einpendler sind andere Städte bedeutsamer. Den höchsten Anteil an Beschäftigten, die einen Wohnort außerhalb der Stadtgrenzen hatten, wies mit 69 Prozent Darmstadt auf. Ludwigshafen, Erlangen und Offenbach folgten mit jeweils 68 Prozent.

Zum Teil Anfahrtswege von 100 Kilometern

Einen entscheidenden Grund für die tägliche Pendelei sieht Robert Feiger, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), in teuren Mieten und Hauspreisen. Am Mittwoch erklärte er, diese zwängen Millionen Menschen mitunter zu stundenlanger Fahrerei. "Längst nicht jeder kann Homeoffice machen – viele Menschen müssen weite Pendelwege in Kauf nehmen, um zur Arbeit zu kommen", sagte er. Für Bauarbeiter zum Beispiel seien Strecken von mehr als 100 Kilometern alles andere als eine Seltenheit.

Solche langen Wege werden aber nur von relativ wenigen Pendlern zurückgelegt; die meisten legen deutlich geringere Strecken zurück. Bei knapp einem Viertel liegen zwischen Wohn- und Arbeitsort weniger als fünf Kilometer. Bis zu zehn Kilometern müssen weitere knapp 22 Prozent pendeln. 29 Prozent müssen schon bis zu 25 Kilometer fahren, 14,2 Prozent bis zu 50 Kilometer und fünf Prozent sogar noch weitere Strecken.

Zwei von drei Pendlern nutzen das Auto

Klimaschädlich ist das Pendeln nicht nur, weil überhaupt jeden Tag diese Strecken bewältigt werden müssen, sondern auch, weil das bevorzugte Verkehrsmittel noch immer das Auto ist. Zwei von drei Pendlern (68,4 Prozent) nutzen es – vor allem für kurze Strecken. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gaben im Jahr 2020 rund 40 Prozent der Berufspendler an, normalerweise für Strecken unter fünf Kilometern das Auto zu nutzen.

Bei denen, die nur bis zu zehn Kilometer pendeln müssen, lag der Anteil mit 69 Prozent noch einmal höher. Bus, Bahn und Tram kommen – zusammengerechnet – nicht einmal auf 15 Prozent; sie werden eher für etwas längere Strecken genutzt. Das Fahrrad nutzt immerhin jeder zehnte und fast sieben Prozent gehen zu Fuß.

An der Autonutzung könnte sich in Zukunft etwas ändern – nicht aus Einsicht, sondern weil die Preise an den Tankstellen immer weiter steigen. Eine Mehrheit von 61 Prozent der Verbraucher kommt deswegen ins Grübeln. Das ist ein Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut forsa im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) durchführte.

40 Prozent der Befragten planen demnach, das Auto öfter stehen zu lassen und stattdessen das Fahrrad zu nehmen oder in Bus und Bahn zu steigen. Sieben Prozent spielen mit dem Gedanken, das Auto ganz abzuschaffen. Fast ein Viertel zeigte sich aber unbeeindruckt von den steigenden Spritpreisen.

Grundsätzlich positiv bewertet vzbv-Vorstand Klaus Müller den Trend. Am Mittwoch betonte er, Klimaschutz sei eine Notwendigkeit. "Steigende Kraftstoffpreise veranlassen bereits heute eine Mehrheit dazu, ihr Mobilitätsverhalten verändern zu wollen", sagte Müller. Damit aber kein Frust entstehe, müsse Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ein Zukunftsprogramm für den ÖPNV auf die Agenda setzen. "Das Angebot muss nicht nur in ländlichen Regionen erhöht, Verbindungen verbessert und Informationen zuverlässiger werden."

E-Auto vs. günstigere Miete

Steigende Spritpreise sind allerdings kein Garant, dass das Mobilitätsverhalten nachhaltig verändert wird. Um an der Tankstelle nicht so tief ins Portemonnaie greifen zu müssen, überlegen laut Umfrage 14 Prozent der Befragten, sich ein Elektroauto zu kaufen. Die Wege müssen dann immer noch zurückgelegt werden.

Die IG BAU hat andere Vorstellungen. Einen entscheidenden Beitrag gegen den klimaschädlichen "Pendel-Wahnsinn" sieht Feiger darin, dass dort, wo die Menschen arbeiten, auch bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Es brauche "jetzt rasch viel mehr Wohnungen, die sich auch Gering- und Normalverdiener leisten können – zu Quadratmeterpreisen zwischen sechs und 8,50 Euro kalt", betonte der IG-BAU-Vorsitzende.

Die Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau müssten massiv aufgestockt werden und es sei eine dauerhafte Preisbindung nötig. "Es muss gelten: einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung". Ein weiterer Vorschlag kam im letzten Jahr vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Regionalforschung. Dessen Leiter, Markus Eltges, gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die verschiedenen Formen der mobilen Arbeit auch in Zukunft erhalten bleiben.

Sie böten "die große Chance, den Pendelverkehr in den Großstädten und ihrem Umland zu reduzieren – und damit auch die umwelt- und gesundheitlichen Belastungen zu verringern, die durch das Pendeln entstehen". Kleine und mittelgroße Kommunen könnten als Wohnorte attraktiver werden, wenn die Beschäftigten nur wenige Tage im Monat im Büro sei müssten und größtenteils von zuhause arbeiten könnten. Die Unternehmen müssten das nur wollen, so Eltges.

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