Ukraine-Konflikt: Sanktionen gegen Russland bremsen Forscher aus

Vom Teilchenbeschleuniger bis zur Weltraumforschung: Zahlreiche Forschungsvorhaben wurden zusammen mit Russland geplant. Wie geht es weiter?

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(Bild: PopTika/Shutterstock)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Oliver Pietschmann
  • Sandra Trauner
  • dpa
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Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat vielfältige Auswirkungen auch auf Deutschland. So betreffen die Sanktionen auch Forschungsvorhaben großer Wissenschaftseinrichtungen und die Kooperationen von Hochschulen etwa in Hessen. Betroffen ist zum Beispiel eines der derzeit größten Vorhaben der Forschung weltweit, der Bau des Teilchenbeschleunigers (Fair) in Darmstadt.

Die Geschäftsführung des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, die das Projekt verantwortet, steht hinter den Sanktionen. "Diese werden einen starken Einfluss auf die eigenen Aktivitäten haben, denn Russland ist das größte Partnerland im Fair-Projekt, aber die Geschäftsführung glaubt, dass die Mittel in dieser Situation notwendig sind", teilte das GSI Helmholzzentrum mit.

Man habe mit sofortiger Wirkung jede Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland eingestellt und Dialogforen abgebrochen. Projekte mit Forschern aus Russland seien eingefroren worden und würden überprüft. Die Kommunikation sei eingestellt worden. ""Fair" möchte an dem Ziel festhalten, erste Experimente ab Ende 2025 durchzuführen und untersucht zurzeit, ob dies mit bereits gelieferten Komponenten und gegebenenfalls weiteren alternativen Lösungen machbar ist."

Die Teilchen-Beschleunigeranlage gilt als eine der weltweit größten Anlagen physikalischer Grundlagenforschung. Mit ihr soll unter anderem die Entstehung des Universums erforscht werden. Derzeit liegen die Gesamtinvestitionen bei rund 3,1 Milliarden Euro. Hauptgeldgeber des Projekts sind der Bund und das Land Hessen. Als ausländische Partner sind auch Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Schweden und Slowenien Gesellschafter.

Auch auf das Kontrollzentrum der europäischen Raumfahrtbehörde ESA in Darmstadt haben die Sanktionen Auswirkungen. Betroffen ist hier das europäisch-russische Weltraumprojekt "ExoMars" zur Suche nach Spuren von Leben auf dem Roten Planeten. Es sei derzeit nicht möglich, die laufende Zusammenarbeit mit einem Launch noch in diesem Jahr durchzuführen, teilte die ESA am Donnerstag mit. "Die ESA erkennt zwar die Auswirkungen auf die wissenschaftliche Erforschung des Weltraums an, schließt sich aber voll und ganz den Sanktionen an, die von ihren Mitgliedstaaten gegen Russland verhängt wurden."

Die Mission, die eigentlich im September starten sollte, soll nach dem Start von den Darmstädter Spezialisten gesteuert werden. Von Darmstadt aus kontrolliert die ESA den größten Teil ihrer Satelliten.

Betroffen sind auch Hessens Hochschulen. Wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab, unterstützen alle Hochschulen in Hessen die Sanktionen der EU. Entsprechend den Empfehlungen der Wissenschaftsorganisationen und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) wurden alle Kooperationen mit Russland bis auf Weiteres ausgesetzt. Studierende sollen die Sanktionen allerdings nicht treffen: Vor allem für ukrainische, aber auch für russische Studentinnen und Studenten gibt es Hilfsangebote der Hochschulen.

Die Philipps-Universität Marburg etwa hat nach eigenen Angaben neun bilaterale Kooperationen mit russischen Universitäten, die nun auf Eis liegen. Nicht nur mit Russland, auch mit der Ukraine wird wissenschaftlich zusammengearbeitet. Die Universität Kassel etwa hat Kooperationsverträge mit zwei ukrainischen Universitäten: in Kiew und Lwiw. Diese Zusammenarbeit soll laut Pressestelle "wenn möglich" intensiviert werden.

Neben den Auswirkungen auf die Forschung geht es in den Hochschulen auch um die Folgen für die Lehre – und die Fürsorge für Studierende. An der Frankfurter Goethe-Universität sind 262 ukrainische sowie 300 Studierende aus Russland eingeschrieben. Die Uni Marburg hat 70 Studierende aus der Ukraine und 263 aus Russland. In Gießen sind derzeit 61 Studierende aus der Ukraine und 102 aus Russland dauerhaft eingeschrieben oder als Gast- und Austauschstudierende vor Ort. An der Universität Kassel gibt es rund 40 Studierende oder Wissenschaftler aus der Ukraine und ebenso viele aus Russland.

An der Technischen Universität (TU) Darmstadt sind 80 Studierende aus der Ukraine und etwa 130 aus Russland eingeschrieben. Zehn TU-Studierende halten sich laut Pressestelle im Rahmen von Austauschprogrammen derzeit noch an einer der sechs russischen Partneruniversitäten auf. Das Präsidium sei mit ihnen wegen einer möglichen Rückreise in Kontakt.

Die Hochschulen bemühen sich, den Ukrainern zu helfen. "Die meisten sind derzeit bemüht, ihre Familienangehörigen nach Marburg zu holen", berichtete die Sprecherin der Uni Marburg. "Hier wird ein Hilfsfonds eingerichtet, der bis zum Anlauf staatlicher Programme eine Überbrückungsfinanzierung ermöglichen soll." Aber auch die russischen Studierenden bräuchten Hilfe: "Wir erhalten vermehrt Anfragen von russischen Studierenden, die sich sorgen, in finanzielle Not zu geraten und/oder in Deutschland Asyl beantragen möchten."

(bme)