Atomkraft: Wirtschaftsweise empfehlen, verlängerte AKW-Laufzeiten zu prüfen

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und der angestrebten Unabhängigkeit von Russland sieht der Wirtschafts-Sachverständigenrat Atomkraft als eine Option an.

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Im Uhrzeigersinn, links oben angefangen: Prof. Dr. Veronika Grimm, Prof. Dr. Monika Schnitzer, Prof. Dr. Achim Truger und Prof. Volker Wieland, PH. D.

(Bild: sachverstaendigenrat-wirtschaft.de)

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Es wäre sinnvoll, die Laufzeiten der drei noch in Deutschland laufenden Atomkraftwerke zu verlängern. Das meint der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, gemeinhin Wirtschaftsweise genannt. Die Wirtschaftsprofessorin Veronika Grimm, die dem Rat angehört, betonte aber auch, dass dies mit großen Herausforderungen verbunden sei.

In der aktuellen Prognose des Sachverständigenrats zur Konjunktur heißt es, die Bundesregierung solle umgehend alle Hebel in Bewegung setzen, um Vorkehrungen für den Fall eines Stopps russischer Energielieferungen zu treffen und um die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen umgehend zu beenden. Sie berge das "erhebliche Risiko einer geringeren Wirtschaftsleistung und höherer Inflation".

Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) hatten von längeren Laufzeiten der drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland abgeraten. "Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen", hieß es in einem gemeinsamen Prüfvermerk der beiden Ministerien. Die Beschaffung, Herstellung und atomrechtliche Freigabe zur Herstellung neuer Brennelemente für einen funktionsfähigen Reaktorkern dauere im Regelfall 18 bis 24 Monate.

Der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten nach Deutschland beträgt etwa 55 Prozent, an Kohle rund 50 Prozent und an Rohöleinfuhren rund 35 Prozent. Falls die russischen Rohstofflieferungen wegfielen, könnten die Möglichkeiten eingeschränkt sein, diese zu ersetzen, sagen die Wirtschaftsweisen in ihrer Analyse zum Energiemarkt (PDF), dadurch könne das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stärker einbrechen. Kurzfristige Knappheiten sowohl bei der Gas- als auch bei der Kohleversorgung könnten zu einschneidenden Produktionsunterbrechungen bei energieintensiven Unternehmen führen, was wiederum Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit zur Folge hätte und wiederum eine eingeschränkte Nachfrage.

Die Produktionsunterbrechungen könnten die Lieferengpässe in verschiedenen Wirtschaftsbereichen noch verschärfen. "Zudem dürfte die durch die weiter steigenden Energiepreise zusätzlich angeheizte Inflation die Nachfrage dämpfen und dadurch die Konjunktur zusätzlich belasten", heißt es in der Analyse. Daneben könnte ein starker Anstieg der Energiepreise und ein BIP-Rückgang zu Kreditausfällen und somit zu Verwerfungen an den Finanzmärkten führen. So könnten Energieversorger durch stark gestiegene Einkaufspreise unter Druck geraten, wenn sie diese Preise aufgrund längerfristiger Verträge nicht an ihre Kundinnen und Kunden überwälzen können.

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Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine hätten sowohl die zunehmende Industrieproduktion als auch der robuste Arbeitsmarkt für eine konjunkturelle Erholung gesprochen, schreiben die Wirtschaftsweisen (PDF). Nun hätten sich die Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und im Euro-Raum "drastisch verschlechtert". Daher hat der Sachverständigenrat seine Prognose deutlich nach unten revidiert: Er erwartet für Deutschland für 2022 ein BIP-Wachstum um 1,8 Prozent und für 2023 von 3,6 Prozent. Das Vorkrisenniveau aus dem vierten Quartal 2019 werde voraussichtlich erst im 3. Quartal 2022 wieder erreicht. Allerdings bringe die aktuelle geopolitische Situation eine sehr große Unsicherheit über die weitere konjunkturelle Entwicklung mit sich.

In Sachverständigenrat sitzen neben Prof. Dr. Veronika Grimm Prof. Dr. Monika Schnitzer, Prof. Dr. Achim Truger und Prof. Volker Wieland. In Deutschland sind noch die Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 am Netz, sie tragen 14 Prozent zum deutschen Strommix bei. Die AKW sollen bis Ende des Jahres abgeschaltet werden, wie es der vom Bundestag 2011 beschlossenen Atomausstieg vorsieht.

Drei AKW sind noch in Deutschland in Betrieb (7 Bilder)

Seit März 1984 ist Block C des AKW im bayerischen Gundremmingen in Betrieb. Block A war von 1967 bis 1977 in Betrieb. Der 1984 ans Netz gegangene Block B wurde am 31. Dezember 2017 abgeschaltet, Block C – ebenfalls 1984 in Betrieb genommen – folgte Ende 2021. (Bild: kkw-gundremmingen.de)

(anw)