Schmeißfliegen liefern Beweise für den Einsatz chemischer Kampfstoffe

Bei der Nahrungssuche nehmen die Fliegen chemische Kampfstoffe in kontaminierten Gebieten auf. Sie lassen sich zwei Wochen lang in ihren Innereien nachweisen.

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Schmeißfliegen wie diese haben das Interesse von Forschenden geweckt: als Indikatoren, ob chemische Kampfstoffe zum Einsatz kamen.

(Bild: Wikipedia / Aiwok / cc by-sa 3.0)

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Der Einsatz von Chemiewaffen ist zwar seit 1997 durch die Chemiewaffenkonvention der Vereinten Nationen international geächtet – auch die Entwicklung, Herstellung, der Besitz und die Weitergabe werden von der Konvention erfasst. Lediglich die Länder Ägypten, Nordkorea und Südsudan sind dieser Konvention nicht beigetreten.

Dennoch droht bei jeder kriegerischen Auseinandersetzung die Gefahr, dass eine der Kriegsparteien zu Gift greift, denn zahlreiche Nationen setzen sich über die Konvention hinweg und halten Chemiewaffen vor. Angriffe auf Persönlichkeiten wie den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny im Sommer 2020 oder den russischen Oberst und britischen Agenten Sergei Skripal 2018 mit dem Nervengift Nowitschok, zeigen, dass diese Substanzen sowohl extrem gefährlich, als auch vorhanden sind. Auch im syrischen Bürgerkrieg wurden chemische Kampfstoffe eingesetzt.

Allerdings ist fast allen chemischen Kampfstoffen eins gemeinsam: Sie lassen sich nur sehr kurze Zeit nachweisen. Die wichtigsten Vertreter sind Haut- und Nervenkampstoffe. Es sind meist so genannte Organophosphate – organische Verbindungen, in die das Element Phosphor eingebaut ist. Sie reagieren im Körper sofort mit Proteinen und zersetzen sich im Kontakt mit Wasser. Nach wenigen Tagen sind sie in den betroffenen Menschen nur noch sehr schwierig über Abbauprodukte im Körper nachweisbar. Auch in der Umwelt zersetzen sie sich im Kontakt mit Wasser sehr schnell. Was bleibt, sind die vergifteten Menschen. Der Beweis, dass sie einem Chemiewaffenangriff zum Opfer gefallen sind, ist kaum zu erbringen.

Forschende der Indiana University haben nun einen ungewöhnlichen Weg gefunden, selbst in entlegenen oder gar gesperrten Gebieten den Einsatz chemischer Kampfstoffe nachzuweisen. Und das sogar noch zwei Wochen nach dem vermuteten Einsatz, wenn sich eigentlich alle Spuren bereits verflüchtigt haben. Sie nutzen Schmeißfliegen als Sammler chemischer Proben aus der Umwelt, wie sie in der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology publiziert haben.

Es gibt weltweit über 1.000 Arten von Schmeißfliegen, doch am bekanntesten ist wohl die blau schillernde, laut surrende Nervensäge Calliphora vicina. Auf der Suche nach Nahrung und Wasser lecken sie Blumen und Blüten ab und untersuchen zerfallende organische Substrate. Besonders häufig sind sie auf Exkrementen zu finden und auf Aas.

Bei dieser Suche nach Nahrung und geeigneten Plätzen für die Ei-Ablage sammeln sie ebenfalls die chemischen Kampfstoffe auf, die in einer Gegend eingesetzt wurden – und auch ihre Zersetzungsprodukte, etwa, wenn sich Kampfstoffe in einer Pfütze lösen und zerfallen. Die Forschenden untersuchten mit drei unterschiedlichen Schmeißfliegenarten drei Substanzen, die die Wirkung von chemischen Kampfstoffen simulieren, aber für Menschen ungiftig sind: Dimethylmethylphosphonat, Diethylphosphoramidat sowie das Pestizid Dichlorvos.

Diese Substanzen speichern die Fliegen in ihren inneren Organen. 14 Tage nachdem sie den Kampfstoff-Dummys ausgesetzt waren, töteten die Forschenden die Fliegen und entnahmen ihnen die inneren Organe. Aus ihnen stellten sie Extrakte her, trennten sie auf und analysierten sie mit Massenspektrometern. Sie konnten so alle Stoffe und ihre Zersetzungsprodukte nachweisen – aus Umweltproben wäre das schon nach wenigen Tagen nicht mehr möglich gewesen. Auch die Gegenprobe mit dem Stoff, der bei Wasserkontakt aus Sarin entsteht, war erfolgreich. Noch 14 Tage nachdem die Schmeißfliegen Isopropylmethylphosphonsäure, das Hydrolyseprodukt von Sarin, aufgenommen hatte, konnte der Stoff aus den inneren Organen nachgewiesen werden.

Mit dieser Methode können die Forschenden nicht nur deutlich länger beweisen, dass dort, wo sich die Schmeißfliegen aufgehalten haben, chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden. Sie können vor allem große Gebiete absuchen, die schwer zugänglich oder gesperrt sind – und sie können ihre Analysen unbemerkt durchführen. Alles was sie dafür benötigen, sind Pheromon-Fallen, die die Fliegen auch aus großer Entfernung anlocken. Sie bringen die chemischen Kampfstoffe aus der gefährlichen Zone direkt zu den Forschenden.

(jsc)