Comdex: Bill Gates träumt vom Zauber der Software

Büroarbeiter müssen künftig weniger in Besprechungen gehen, verspricht "Software-Magier" Bill Gates. Und die schon vor Jahren belächelten Internet Appliances erleben eine Renaissance -- als Microsoft-Wecker.

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Von
  • Erich Bonnert

Über das strahlende digitale Jahrzehnt, das der IT-Branche bevorsteht, wollte Bill Gates zur Eröffnung der Herbst-Comdex reden. Da geriet die kurze Anmoderation durch Fred Rosen, den Chef des Comdex-Veranstalters, fast schon zur komischen Nummer. In etwas weinerlichem Ton beklagte Rosen nämlich den schlechten Geschäftsgang des Computersektors -- nicht zuletzt wohl, weil Key3Media selbst davon betroffen ist. Der Messekonzern kämpft mit Zahlungsengpässen und muss möglicherweise nach Veranstaltungsschluss in Konkurs treten. "2002 war wirklich schwierig für uns", klagte der Key3Media-Vorstand. Dabei sei die IT-Industrie doch so mächtig und die Comdex schließlich die wichtigste Messe. Und immer noch träume der Software-Nachwuchs davon, einmal wie Bill Gates zu werden, lobhudelte Rosen, als die Hauptfigur auf die Bühne trat.

Auf die aktuelle Misere ging Gates allerdings gar nicht ein. Er begann sogleich mit einem Ausblick auf ein glanzvolles Zeitalter für die Informationstechnik: "Der Zauber der Software springt vom PC auf alle anderen Geräte über", schwärmte der Microsoft-Gründer. "Die gesamte Architektur unserer Alltagsgegenstände -- von der Armbanduhr über Fernseher bis zum Auto -- wird in den nächsten 10 Jahren durch Software und Vernetzung völlig umgeformt." Hier ging der Software-Milliardär kurz auf das ungünstige Wirtschaftsklima ein: 2002 sei ein schwieriges Jahr gewesen, aber hauptsächlich von Fortschritten bestimmt. Gates sieht Meilensteine beim Preis-Leistungs-Verhältnis von Computern -- speziell den Servern -- sowie bei der Verbreitung von Funk-LANs erreicht. In puncto Sicherheit sei noch einiges zu tun, meint Gates, doch bei Webservices gäbe es, weit gehend unbemerkt, riesige Fortschritte.

Es folgte das traditionelle Ulkvideo, mit dem Gates und seine PR-Helfer alljährlich zur Comdex-Eröffnung markante Zeitgenossen der Branche sowie teilweise sich selbst auf die Schippe nehmen. Star-Investor Warren Buffet, Marc Andreessen, der frühere Apple-Chef John Sculley und Rapper Sean Puffy Combs tauchten in dem Filmchen über vergangene und vergessene Produkthoffnungen auf. Ein Altair-Rechner, der Vorläufer der späteren PCs, wurde ironisch als "kleines blaues Design-Wunder mit spektakulärem GUI" gepriesen und danach filmtechnisch zu einem Apple iMac gemorpht -- ein Seitenhieb, der viele Mac-Fans sicher erzürnte.

Bei der Eroberung der Medien- und Unterhaltungselektronik treibt Microsoft die Zusammenarbeit mit Hardwareherstellern so weit voran, dass die Software-Company schon bald zu den wichtigsten Herstellern der Consumer-Geräte gezählt werden muss. Nach dem bisher einzigen Hersteller HP wollen auch Gateway und Alienware ab sofort PCs mit der Windows-Version XP Media Center anbieten. Die Rechner sind mit TV-Empfänger und Festplatten-Videorecorder sowie Funktionen zur Bild- und Videobearbeitung ausgestattet. Ein so genanntes Smart Display, ein abnehmbarer Flachbildschirm mit Funkanbindung aus den Microsoft-Labors, kommt erstmals Anfang Januar von Viewsonic auf den US-Markt. Produkte anderer Hersteller für Europa und Asien folgen noch im ersten Quartal 2003, sagte Gates.

Microsoft setzt große Erwartungen in eine neue Generation von Office-Produkten. Doppelt so hohe Produktivitätsgewinne wie in der letzten Dekade verspricht Gates den so genannten Wissensarbeitern für das nächste Jahrzehnt. Zu den Knowledge oder Information Workers zählt der Softwarehersteller alle Berufstätigen, die digitale Informationen bearbeiten. Beispielsweise soll die Notwendigkeit zur Teilnahme an Besprechungen -- einer der größten Zeitfresser im Büroalltag -- durch digitale Protokollierung drastisch reduziert werden. Dabei zeichnet eine Rundum-Kamera mit 360-Grad-Winkel alle Teilnehmer und deren Beiträge auf. Zusammen mit den bearbeiteten Unterlagen kann die Audio-Video-Konferenz als Datei weiter verteilt werden. Viele Kollegen, aber auch Kunden oder Geschäftspartner können zeitraubende Konferenzen vermeiden: Verlauf und Ergebnisse können später leicht nachvollzogen werden. Zudem wird die Archivierung vollständiger Konferenzen durch fallende Hardware-Preise für Chips, Kameras und Speicher wesentlich erleichtert -- schon bald werden derartige Systeme massenhaft Verbreitung finden, glaubt Gates.

Auch eine neue Office-Anwendung hatte der Software-Guru aus Redmond parat. Das unter dem Codenamen "Scribbler" entwickelte OneNote ist eine Art digitaler Notizblock -- ein Textprogramm, das bei entsprechendem Bildschirm auch Handschrifteingabe oder Skizzen per Stift ermöglicht. Die angelegten Seiten können durch Reiter am Dokumentenrand unterteilt und kategorisiert werden. Per Scrollbar und Viewing-Funktion lassen sie sich wie ein richtiger Notizblock durchblättern. Außerdem können auch kurze Kommentare aufgesprochen werden, die -- mit einem Texteintrag verknüpft -- später an der richtigen Stelle wieder zu finden sind. Ebenso lassen sich Bilder, Powerpoint-Folien und Texte aus anderen Programmen einfügen. Das Programm ist beispielsweise für Besprechungs- oder Telefonnotizen gedacht. Auch bei der Arbeit in anderen Programmen kann durch Mausklick schnell in einen Quicknote-Modus umgeschaltet werden. So lassen sich kurze Stichworte oder ein Name mit zugehöriger Telefonnummer schnell abspeichern, ohne dafür etwa eine Word-Datei anzulegen. Die Quicknotes können nach Schlüsselworten durchsucht und in andere Dokumente eingefügt werden. OneNote wird voraussichtlich Mitte nächsten Jahres erscheinen -- ungefähr zur gleichen Zeit wie das Büropaket Office 11. Ob es in die Suite integriert oder separat verkauft wird, will der Softwareriese aber noch nicht verraten.

Über Gates' große Schlussnummer war bereits im Vorfeld unter den Überschriften "Smart Objects" und "Internet Appliance" spekuliert worden. Was der Microsoft-Chef dann als SPOT (Smart Personal Object Technology) präsentierte, ist ein etwas angestaubtes Konzept der Internet-Zugangsgeräte für spezielle Funktionen wie Wetter- und Sportnachrichten oder Aktienticker: Minibildschirme sollen drahtlos mit Internet-Rechnern gekoppelt und per Magnet etwa am Kühlschrank befestigt werden. So sollen die genannten Informationen stets aktuell ablesbar sein. Dazu zeigte Gates einen Microsoft-Wecker, der außer Uhrzeit, Wetterdaten und Straßenzustand auch Reiseinformationen aus dem Internet zieht. Da er außerdem Daten mit dem Terminkalender abstimmt, weckt er "smart" mit dem richtigen Zeitpuffer und weist auf wichtige Termine des Tages hin. Ähnliche Internet-Geräte aber hatten etwa Intel und 3Com schon vor rund zwei Jahren geplant, wenn auch mit anderen Bedienelementen und größeren Bildschirmen. Alle Daten der Microsoft-Appliance sind per Touch-Bildschirm abrufbar. Die Hardware, für die spezielle Chips entwickelt wurden, hat Microsofts Research-Abteilung in dreijähriger Arbeit zusammen mit Chiphersteller National ausgeknobelt. Dabei wurde wohl übersehen, dass Microsofts eigenes Smart Display in etwas anderer Bauart als kurz zuvor demonstriert für genau diesen Zweck konfiguriert werden könnte -- ganz ohne eigene Intelligenz. (Erich Bonnert) / (jk)