Zahlen, bitte! 61 Kilometer, die nicht Gott erschuf: Der erste Morsetelegraf

Der Weg zur ersten Telegrafenlinie war lang: Der Erfinder musste zuvor Überzeugungsarbeit leisten. Später war ein Morsecode das letzte Signal einer Tragödie.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

"What hath God wrought" – "Was Gott vollbracht hat" – mit diesem Bibel-Zitat wurde am 24. Mai 1844 in den USA die erste offizielle Telegraphie-Verbindung zwischen Washington D.C. und Baltimore eröffnet. Die von Samuel Morse und seinem Mitarbeiter Alfred Vail errichtete 61 Kilometer lange Verbindung hatte da bereits ihre Feuertaufe bestanden: Am 1. Mai tagte in Baltimore der Konvent der Whig-Partei. Als die Namen der Delegierten für den US-Kongress feststanden, fuhr Vail zu dem Punkt, bis zu dem die Leitung bereits gelegt war, und telegrafierte Morse die Namen der Politiker, die dieser am Bahnhof von Washington vorlas.

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Als Stunden später der Zug mit den Nachrichten vom Parteitag eintraf, war der Nutzen der Telegrafie allen Zuhörern klar geworden. Bis dahin hatte Morse mit seinen Plänen als Fanatiker und Verrückter gegolten. Der US-Kongress, der für den Bau der Telegrafenlinie einen Zuschuss von 30.000 US-Dollar bewilligt hatte, hatte mit dem Politiker John W. Kirk sogar eine Art Detektiv beauftragt, der den verrückten Morse im Auge behalten sollte.

What hath God Wrought war dennoch der Durchbruch für die von Menschen erfundene elektrische Telegrafie mittels Morse-Code. [Sie wurde an dieser Stelle schon einmal als viktorianisches Internet vorgestellt.] Samuel F.B.Morse war kein Wissenschaftler und Erfinder, sondern ein armer Maler, der neben seinen Gemälden fortlaufend nach Einnahmequellen suchte. Er glaubte fest an sein Talent, konnte aber nicht die besten Preise erzielen, da er nüchterne Portraits malte, die die Portraitierten nicht im vermeintlich besten Licht zeigten.

Samuel Finley Breese Morse (* 27. April 1791 in Charlestown, Massachusetts; † 2. April 1872 in New York) hier gegen 1840.
Die Idee, Tonimpulse in bestimmten Kodierungen über Draht zu übertragen, brachten ihm Weltruhm.

Berühmt wurde sein Portrait des Gründervaters John Adams, das einen wahrlich alten Mann zeigt. Dennoch glaubte Morse unerschütterlich an sein Talent: "Ich werde unter denen sein, die die Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts wiederbeleben, in der Tradition eines Raffaels, eines Michelangelos, eines Tizians", schrieb der junge Morse aus Europa an seine Mutter. Auf seiner Reise mit vielen Besuchen in den Museen wurde ihm bewusst, was der US-amerikanischen Kunst an Tradition fehlt. Daraus wuchs seine erste Geschäftsidee, für die er ein Gemälde der Bildergalerie des Louvre malte. Solche Bilder wollte er von vielen europäischen Galerien malen und in den USA ausstellen. Angehende Künstler sollten Eintrittsgeld in seine Gemäldegalerie der Gemäldegalerien bezahlen und sich den Reichtum der europäischen Kunst erschließen, ohne nach Europa reisen zu müssen. Die Idee floppte und seine Portraits kamen nicht an.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Immerhin konnte er in New York die National Academy of Design gründen, eine der ersten Kunstschulen ihrer Art auf dem neuen Kontinent. Von 1826 bis 1846 war Morse ihr erster Präsident, später auch Professor. Seine innere Berufung zum Staatsmaler wurde empfindlich gekränkt, als Morse bei der Gestaltung der Rotunda des Capitols übergangen wurde.

Morse, Sohn eines calvinistischen Pastors mit Hang zu Verschwörungstheorien, entwickelte nun selbst Verschwörungstheorien, die er in mehreren Büchern veröffentlichte. Die Schwarzen, die Juden und vor allem die Jesuiten waren wahlweise daran schuld, dass echte Amerikaner wie Morse nicht zum Zuge kamen. Ein Aufstand der Aufrechten gegen die Umvolkung durch Katholiken und Jesuiten war Morses Lösung.

Frühe Morseapparatur aus dem Jahre 1837.

(Bild: Zeitschrift "Die Gartenlaube")

In den Notizen zu diesen Büchern findet sich die Idee zu einer Geheimschrift basierend auf Zahlen und einem Codebuch, mit dem sich die Aufständischen verständigen sollten. Morse orientierte sich mit dieser Idee an den optischen Telegrafen seiner Zeit: Weil jeder mitlesen konnte, sendeten sie Ziffern, die über ein Codebuch zu Worten übersetzt werden konnten. Aber er dachte noch weiter, denn er hatte auf seiner Rückfahrt aus Europa im Jahre 1832 auf der "Sully" den jungen Bostoner Physiker Charles Jackson kennengelernt. Jackson hatte in Europa mit den Koryphäen der "neuen Physik" das Phänomen der Elektrizität erkundet und stellte auf dem Schiff allerhand Experimente vor. Die Erklärung, dass durch die Kraft Impulse über Draht übertragen werden konnten, fesselten Morse. Noch auf dem Schiff entwarf er in seinem Notizbuch ein Alarmierungssystem mit den Zahlen 0 bis 9 und einem Codebuch.

Alfred Vail (* 25. September 1807 in Morristown (New Jersey); † 18. Januar 1859 ebenda) war der entscheidende Helfer beim Morse-Code. Er entwickelte nicht nur die Apparaturen, sondern auch den ersten Morse-Code, der auch Buchstaben umfasste. Er erhielt vom Geschäftspartner Morse nie die Anerkennung, die er angesichts seines Anteils an der Erfindung verdient gehabt hätte.

Samuel Morse war Maler und Geschäftsmann, in der Physik aber Laie und werkzeugtechnisch völlig unbegabt, seine Zeichnungen in Instrumente umzusetzen. Die entscheidenden Impulse für sein Vorhaben, Nachrichten zu den Aufständischen über Draht zu übertragen, kamen von dem Physiker Joseph Henry, der über Elektromagneten forschte und Morse in die physikalischen Grundlagen einführte. Nicht minder wichtig war sein Assistent Alfred Vail, Sohn eines Gießerei-Besitzers, und vor allem Vails Gehilfe William Baxter, der mit einer patentierten Dampfmaschine erfolgreich wurde.

Vail selbst war außerordentlich geschickt, doch ließ er sich auf ein Geschäft mit Morse ein, in dem er 20 Prozent der Einnahmen aus künftigen Patentrechten akzeptierte. Die Hälfte davon gab er an seinen Bruder weiter. Die Folge war, dass sämtliche Arbeiten von Vail am Telegrafen als Morses Erfindungen galten, auch der Morse-Code aus kurzen und langen Zeichen für die einzelnen Buchstaben, den Vail, nicht Morse entwickelte.

Vails Laut-Schrift-Code war so erfolgreich, dass eine Erfindung von Morse, die Aufzeichnung der Signale auf einem mitlaufenden Papierstreifen, bald nicht mehr gebraucht wurde. Erfahrende Telegrafen hörten bald den "Buchstaben-Diktate" direkt und schrieben alles mit, ohne auf den Papierstreifen zu warten.

Mit dem Start im Jahre 1844 auf die Linie Washington – Baltimore war die Telegrafie in der Welt. In der ersten Woche verdiente man gerade einmal dreizehneinhalb Cent mit kommerzieller Kommunikation. Bereits ein Jahr später waren es ein paar hundert Dollar pro Woche und am Ende der Dekade war Samuel Morse ein vermögender Mann, während Vail 1859 verarmt verstarb. Morse hatte seinen Anteil an den Patenten noch einmal halbiert, weil er enorme Summen für zahlreiche Patentprozesse brauchte.

Dass sich die Morse-Telegrafie weltweit gegenüber anderen Verfahren durchsetzte, lag an der Einfachheit der Ein-Draht-Verbindung und am simplen Morse-Code. In England arbeiteten die Erfinder Wheatstone und Cook an Leitungen mit fünf Adern, in Deutschland experimentierte Carl Friedrich Gauß mit einer zweiadrigen Leitung zur Konversation mit Kollegen auf dem Göttinger Campus. Von Wheatstone und Cook übernahm Morse ohne Federlesen die Idee, Leitungen in der Luft zu verlegen und versuchte, auch das zu patentieren. Es kam zu einem spektakulären Prozess mit Morses Behauptung, dass ihm sein Notizbuch mit dieser Idee gestohlen wurde.

Klassische Morsetaste. Hier ein Schweizer Modell aus Bern, im Jahr 1900 von G. Hasler entwickelt.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Hp.Baumeler)

Der Erfolg des Morse-Systems hatte auch viel damit zu tun, dass der Hamburger Friedrich Clemens Gerke den Morse-Code optimierte (PDF). Gerke war ab 1841 Aufseher über die optische Telegrafenlinie, die zwischen Cuxhaven und Hamburg verlief: Die Reeder und Kaufleute hatten großes Interesse an den Meldungen von einlaufenden Schiffen, um im Hafen vorab den Güterumschlag planen zu können. Als die ersten Telegrafen-Apparate vorgestellt wurden, erkannte Gerke sofort das Potenzial dieser Erfindung und wurde Inspektor der "Elektro-Magnetischen Telegraphen-Compagnie", die eine Leitung von Cuxhaven nach Hamburg verlegte.

Unter dem Titel "Gründliche Darstellung der elektromagnetischen Telegraphen nach dem System von Morse" übersetzte er die technische Beschreibung des Morse-Systems ins Deutsche und beschäftigte sich mit der Weiterentwicklung des Morse-Codes, bei dem er insgesamt elf Zeichen veränderte, Umlaute ermöglichte und eine bessere Hörbarkeit erreichte. Seine durchdachten Änderungen wurden als Hamburger System vom Deutsch-Österreichischen Telegraphenverein übernommen und 1865 zur Gründung des Internationalen Telegraphenvereins in Paris als "International Code" übernommen.

Gerke, der auch als Heimatdichter arbeitete, verfasste eine Reihe amüsanter Geschichten über die Verhandlungen mit schlauen oder widerspenstigen Bauern, über deren Felder Leitungen gezogen werden sollten. Etliche hatten Angst vor der unbekannten Strahlung der Ströme.

Die Morsecode-Listen im Vergleich: Links das Morsealphabet von Morse von 1844, in der Mitte das verbesserte System von Gerke mit Umlauten und rechts der derzeit gültige International Code.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Courtesy Spinningspark)

Mit der Entdeckung der elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz wurde die Grundlage der drahtlosen Telegrafie geschaffen, die den International Code von Gerke nutzte. Ähnlich wie Morse für die drahtgebundene Telegrafie, stand beim Funken der Name Marconi für das drahtlose Funken.

So saßen die beiden Funker der Titanic in ihrem "Marconi-Raum", als sie am 12. April 1912 den wohl berühmtesten Morse-Code absetzten. Beginnend mit dem Notsignal "CQD" (Come Quick, Danger) schrieben sie "ss titanic ran into iceberg. sinking fast". Kurz danach: dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz: "S.O.S.". Jack Philips, einer der Funker, starb mit über 1500 anderen Opfern beim Untergang der Titanic.

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(mawi)