"Weiter so"-Momente in der Klima-Politik

Unabhängigkeit allein von russischen fossilen Brennstoffen? Rückschritt auf allen Ebenen - Polemik zum Energiediskurs jenseits der Energiewende.

Bereits am 27. Februar 2022 machte mich Luisa Neubauers Rede auf der großen Demonstration in Berlin gegen den Krieg in der Ukraine stutzig, weil ich sie bis dato als kluge Diskursteilnehmerin wahrgenommen hatte, die sich kein A für ein O vormachen ließ und so auch keine eingefahrenen Diskursrituale pflegte.

In ihrer schwungvollen Rede auf der riesigen Rednerbühne am Großen Stern betonte Neubauer, dass es sich beim Krieg gegen die Ukraine um einen fossilen Krieg handele – und dass es fortan darum ginge, Unabhängigkeit von russischem Gas und Öl zu erlangen.

Das Mantra

So richtig und verständlich dieser emotionale Ausbruch zu diesem Zeitpunkt auch war – gleichzeitig stellt er eine Selbstbeschränkung dar. Und diese Reduktion auf eine Unabhängigkeit allein von russischen fossilen Brennstoffen ist geblieben, sie bildet das Mantra aktueller Politik der Bundesregierung und der Opposition gleichermaßen.

Wie in anderen Bereichen auch, kann man sich als aufmerksamer Beobachter politischer Diskurse des Eindrucks nicht erwehren, dass so mancher Lobbyist großer Energiekonzerne und der Waffenindustrie alte Strategiepapiere aus der Schublade gezogen hat. Und – und das ist leider keine Überraschung angesichts früherer Erfahrungen mit der Partei der Grünen in Regierungsverantwortung – die Grünen preschen vor, dem Parteiprogramm und Koalitionsvertrag zum Trotz.

Gerade bei den Grünen scheinen die jetzt propagierten, regressiven Ansätze und vermeintliche Lösungsstrategien auf viel Gegenliebe und unbedingten Umsetzungswillen zu stoßen – ganz im Sinne des TINA-Prinzips Angela Merkels: There Is No Alternative. Zeit- und Sachzwänge machen's möglich, die durch langjährige Versäumnisse erst entstanden sind.

Nun kaufen wir also Fossiles in der lupenreinen Demokratie Katar, wir bauen LNG-Terminals ohne aufwändige Umweltprüfung, nehmen den USA endlich ihr umweltschädliches Fracking-Gas ab, ein langjähriger Ladenhüter, und fordern Laufzeitverlängerungen für CO2-Schleudern auf Kohlebasis, sowie die Wiederbelebung der Kernenergie.

Die Farce

Damit wird auch die Elektromobilität zur Farce. Und Energiesparen steht anscheinend nur beim Heizen an, nicht beim Kühlen – Klimaanlagen brauchen im Sommer aber mehr Energie als das Heizen im Winter. Rückschritt auf allen Ebenen – unter Schaffung nachhaltiger Strukturen für den weiteren Aufschub und damit die Aufgabe der Energiewende, die man schon seit gut 30 oder sogar 50 Jahren aussitzt unter Verweis auf immer neue Sachzwänge, die sich als Gegenargument von Veränderungen jeweils finden lassen.

Die progressive Friedensbewegung wird systematisch ignoriert und dann für die eigenen Versäumnisse schuldig gesprochen. Denn auf den Friedensratschlägen steht die Energiewende als einzige Form wirklicher Unabhängigmachung von kriegstreibenden Energieträgern mit auf dem Programm, als Präventivmaßnahme gegen weitere Ressourcenkriege und wegen des Entzugs der Produktionsmöglichkeit für waffenfähiges Uran und dergleichen.

Ignoranz von Zusammenhängen

Spätestens seit der NATO-Doktrin von 1999 ein zentrales Thema, weil dort als einer von drei Kriegsgründen die Ressourcensicherung explizit genannt wird. Mit dem fehlenden Interesse an einer Berichterstattung von derlei Zusammenhängen, den Einlassungen der Friedensbewegung insgesamt, dem Ignorieren der Analysen der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen u.v.m. tragen die Medien dazu bei, dass die Zeitenwende, die die Balkankriege und diese Kriegsdoktrin darstellen, glatt übersehen wurde.

So verfehlen Medien ihren Idealtypus als Kontrollinstanz und ermöglichen dieses Aussitzen von Politik und Industrie ebenso wie jetzt das "Weiter so".

Der um sich greifende Verlautbarungsjournalismus nimmt es sogar den Friedrich Merzens wie den Christian Lindners ab, dass sie sich um die soziale Gerechtigkeit sorgen – natürlich nur, wenn es um die Fortführung einer Weiter-So-Politik in Sachen Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum geht.

So konnte sich der Tankrabatt gegen das Tempolimit durchsetzen. Und weiterhin wird erfolgreich davon abgelenkt, dass eine echte Energiewende auf dezentralen Lösungen basiert (Wind-, Wasserkraft, Biogas auf Basis von Fäkalien, Solar…) – deren Technologien man zwar mit entwickelt hat, aber sie aus ideologischen Gründen anderen Wettbewerbsteilnehmern überließ.

Und die nun führenden Konkurrenten in Solartechnik – allen voran China – werden nun auch noch als Argument missbraucht, jetzt doch nicht auf wirkliche Alternativen zu setzen, sondern doch noch ein bisschen, solange es eben geht, die Arbeitsplätze in aussterbenden Branchen mit veralteter Technik zu erhalten – die in Wirklichkeit längst in moderne hätten transformiert werden können. Ja, wenn man nur gewollt hätte. Oder, wenn man wenigstens jetzt wollen würde.

Rückwärtsgewandte Energiepolitik

Was man an dem strategisch vorgebrachten Argument gegen neue Technologien ersehen kann: Die Energiebilanz, die jahrzehntelange keine Rolle spielte, wird nun auf neue Verfahren der Energiegewinnung konsequent angewandt – so gelten bei der Produktion von Solarzellen strengere Berechnungen als beim energieintensiven Bau von Kernkraftwerken; von den geringen Wirkungsgraden bei der Verbrennung von Kohle wollen wir gar schweigen.

Und natürlich auch von der Verschandelung von Landschaft durch Kamine, Strommasten, Transformatoren, wenn man doch auf die Sichtbarkeit und Ästhetik von Windrädern hinweisen kann.

Für die Zweifler an der rückwärtsgewandten Energiepolitik steht bereits der nächste diskursive Trick bereit: die Energiesicherheit: keine Neuigkeit, wenn es darum geht, nicht von alten Konzepten der Energiewirtschaft abzulassen. Und so schließt sich der Kreis zu den oben angeführten Nichtargumenten.

Für die Fortführung der unsinnigen und ungerechten Wirtschaftspolitik, die immer noch von Wohlstand und Wachstum für uns faselt und dabei die Ausbeutung des globalen Südens meint, steht in der besagten Nato-Doktrin bereits die Begründung für eine militärische Abwehr der Folgen bereit: "Die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen." Das alles ist nur möglich, wenn man die Menschheit nicht als Ganzes sieht.

Dabei ist Unsicherheit gar nicht das Hauptmerkmal des Weiter so, sondern die Draufsattelung der menschengemachten Klimaerwärmung am Ende einer natürlichen Warmzeit. Das politisch Unbeeinflussbare aber ist: Das Klima braucht uns nicht. Der Planet Erde hat die meiste Zeit ohne Menschen existiert und kann das durchaus wieder tun.