Forscher zum Gasmangel: Versorgungslücke weniger wahrscheinlich geworden

Vier Wirtschaftsinstitute haben noch einmal durchgerechnet, wie es um das Erdgas in Deutschland bestellt ist. Dabei empfehlen sie höhere Preise für Verbraucher.

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(Bild: ewe-gasspeicher.de)

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Die Gefahr, dass es in Deutschland zu einer Erdgas-Versorgungslücke kommen könnte, falls Russland seine Lieferungen einstellt, ist gegenüber April weniger wahrscheinlich geworden. Das haben vier Wirtschaftsinstitute gemeinsam durch Simulationsrechnungen ermittelt. Trotz inzwischen deutlich besser gefüllter Erdgasspeicher seien damit aber noch nicht alle Risiken für die Gasversorgung der Industrie im kommenden Winterhalbjahr gebannt. Daher raten sie dazu, die Verbraucher an den höheren Preisen zu beteiligen.

Die Institute empfehlen, die gestiegenen Beschaffungskosten für Energieträger an die Verbraucher weiterzugeben, weil durch den Anreiz zum Sparen der Energieverbrauch sinken würde. Dann würden die günstigeren Konstellationen der Gasverfügbarkeit wahrscheinlicher. Höhere Preise sind laut Paragraph 24 des Energiesicherungsgesetzes auf der derzeit gelten Alarmstufe des Notfallplans Gas möglich. Bedürftige Haushalte sollten in dem Fall unterstützt, einkommensstarke Haushalte mehr belastet werden, schreiben die Institute.

Wenn Russland im April seine Lieferungen eingestellt hätte, wäre 2023 eine "Gaslücke" von 35,5 TWh entstanden, schildern ifo Institut München, das Kiel Institut für Weltwirtschaft, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle und das Institut für Höhere Studien Wien. Dadurch wäre die Industrie erheblich weniger mit Gas versorgt und die Produktion eingeschränkt worden. Im April waren die deutschen Gasspeicher zu 30 Prozent gefüllt, nun sind sie es zu 58 Prozent.

Die Institute haben sich nach ihrem Frühjahrsgutachten zu dem Thema noch einmal an die Zahlen gemacht, weil Russland seine Erdgas-Durchleitungsmengen auf 40 Prozent gedrosselt hat. Dafür wurden Simulationen für verschiedene Zeitpunkte eines Lieferstopps gefahren, die Einsparpotenziale und zusätzliche Liefermengen berücksichtigen, erläutern die Institute. Dabei flossen die zuletzt beobachteten Füllstände der Gasspeicher ein, diese liegen leicht unter dem Durchschnitt der vergangenen Jahre.

"Im Median der Simulationsergebnisse, in dem also jeweils die Hälfte der Ergebnisse höher oder niedriger liegt, ergibt sich bei einem sofortigen Lieferstopp keine Gasversorgungslücke bis Ende kommenden Jahres", heißt es in der Mitteilung der Institute. Industrielle Verbraucher müssten dann nicht rationiert werden – die Versorgung privater Haushalte und sozialer Einrichtungen wäre ohnehin nicht gefährdet.

Allerdings ergebe sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent im kommenden Jahr eine Gaslücke von mindestens 23,8 TWh; und in dem – laut den Forschern – sehr unwahrscheinlichen schlechtesten Fall fehlten fast 160 TWh. Durch den daraus resultierenden Produktionsausfall in den gasintensiven Industrien käme es zu einem Wertschöpfungsverlust von rund 46 Milliarden Euro bei der 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit und 283 Milliarden Euro im schlimmsten Fall. Dies entspricht 1,6 Prozent beziehungsweise 9,9 Prozent der Wirtschaftsleistung des Jahres 2021.

Die Forscher gehen davon aus, dass die Gasspeicher Ende Dezember 2023 zu 14,1 Prozent gefüllt sein werden gegenüber 60,6 Prozent im Dezember 2022. Damit wäre die deutsche Wirtschaft im Jahr 2024 zwar deutlich schlechter versorgt, es dürften aber auch weitere Lieferquellen in Reichweite kommen, die die Institute in ihrer Simulation noch nicht berücksichtigt haben. Hier wiederum warnen sie vor einem Protektionismusrisiko: Mögliche Lieferländer könnten den Gashandel einschränken, um ihre heimischen Kunden vor dem Gaspreisanstieg abzuschirmen, der vom Nachfragesog aus Europa erzeugt werde.

(anw)