Videoüberwachung: Die größte Überwachungsfirma, von der Sie nie gehört haben

Hikvision wird von den USA wegen Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen Chinas in Xinjiang sanktioniert – und macht doch weiter gute Geschäfte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 104 Kommentare lesen

(Bild: muhammadtoqeer/Shutterstock.com)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Zeyi Yang
Inhaltsverzeichnis

Hikvision sagt Ihnen überhaupt nichts? Trotz dieser Tatsache stehen die Chancen gut, dass Sie bereits von einer der Millionen von Kameras des Unternehmens erfasst wurden. Die Produkte des chinesischen Unternehmens sind in mehr als 190 Ländern zu finden – von Überwachungssystemen für die Polizei bis hin zu Babyfonen. Die Fähigkeit, qualitativ hochwertige Produkte zu günstigen Preisen herzustellen – sowie gute Drähte zum chinesischen Staat –, haben dazu geführt, dass Hikvision inzwischen der größte Hersteller von Videoüberwachungstechnik weltweit ist.

Doch während Hikvisions enge Beziehungen zur chinesischen Regierung dem Unternehmen viel bei seinem Wachstum half, könnte diese Verbindung künftig zu seinem Verderben werden. Denn das Unternehmen hat Chinas massives polizeiliches Überwachungssystem mit aufgebaut und es danach zudem auf die Unterdrückung der muslimischen Minderheit in Xinjiang zugeschnitten. Deshalb hat die US-Regierung in den letzten drei Jahren mehrmals Sanktionen gegen das Unternehmen verhängt. In diesem Jahr erwägt das US-Finanzministerium Berichten zufolge sogar, Hikvision in die Liste der "Specially Designated Nationals and Blocked Persons" (SDN) aufzunehmen, die normalerweise Pariastaaten wie Nordkorea oder dem Iran vorbehalten ist.

Die Aufnahme in die SDN-Liste würde quasi jedem weltweit verbieten, mit Hikvision Geschäfte zu machen – eine viel härtere Sanktion als die, die beispielsweise das chinesische Unternehmen Huawei derzeit erfährt. Denn Länder und Unternehmen würden riskieren, auf dieselbe Liste der USA gesetzt zu werden, wenn sie sich nicht daran halten. Die Millionen von Hikvision-Kameras, die derzeit im Einsatz sind, müssen zwar nicht über Nacht entfernt werden, doch sie würden in Zukunft nicht mehr zum Verkauf angeboten. "Dadurch könnte Hikvision sehr schnell zu einem rein einheimischen Unternehmen werden", sagt Conor Healy, der bei IPVM, einer Online-Fachpublikation für die Videoüberwachungsbranche, zu Hikvision recherchiert hat.

Wie hat es dieses 21 Jahre alte chinesische Unternehmen also zu weltweiter Bekanntheit gebracht – und wie eng ist es mit der chinesischen Regierung verflochten? Warum trauen westliche Regierungen dem Unternehmen nicht mehr? Und was bedeuten die drohenden Sanktionen für seine Zukunft? Die Gefahr ist real, dass Hikivision bald zum meist sanktionierten Technologieunternehmen der Welt werden könnte.

Hikvision wurde 2001 gegründet und war perfekt positioniert, um aus den Sicherheitsverschärfungen nach dem 11. September Kapital zu schlagen. Das Unternehmen begann mit dem Verkauf von Capture-Karten, die in Überwachungssystemen verwendet werden und Videosignale digitalisieren, führte aber 2007 auch seine eigenen Kameras ein. Heute verkauft das Unternehmen alles, von der Software bis zur Hardware – in der Regel zu wesentlich günstigeren Preisen als die internationale Konkurrenz.

Das Gründungsteam bestand hauptsächlich aus Ingenieuren der China Electronics Technology Group Corporation, einem staatlichen Unternehmen, das elektronische Produkte für zivile und militärische Zwecke herstellt. Im Jahr 2008 übertrug Hikvision 48 Prozent seiner Anteile an CETC, wodurch Hikvision offiziell zur Tochtergesellschaft eines staatlichen Unternehmens wurde.

Wie in vielen Ländern ist auch in China die Regierung der größte Überwachungskunde. Mit Hilfe seines staatlichen Hintergrunds erhielt Hikvision schon bald große und kleine Aufträge von lokalen Regierungen zum Bau von Polizeiüberwachungs- oder Verkehrskontrollsystemen. Vor allem wurde Hikvision zu einem wichtigen Bestandteil der chinesischen Polizeiprojekte "Skynet" und "Sharp Eyes", die darauf abzielen, in jeder Straße Kameras zur Überwachung der Bürger aufzustellen. So erhielt Hikvision 2018 einen 125-Millionen-US-Dollar-Auftrag für den Bau und die Aktualisierung von 45.000 Kameras in der chinesischen Stadt Xi'an, von denen 16.000 Stück mit Funktionen zur Menschen- oder Gesichtserkennung ausgestattet werden sollen.

Aber Hikvision hat von Anfang an auch eine globale Ausrichtung angestrebt. Bereits 2004 begann das Unternehmen, seinen Namen in mehr als hundert Ländern als Marke registrieren zu lassen. Im Jahr 2010 war das Unternehmen dank seines Netzwerks von Überwachungskameras, die über DVR-Systeme ihre Daten speichern, der weltweit führende Anbieter von digitalen Videoaufzeichnern. Die Verkäufe in Übersee machten 27 Prozent des Umsatzes von 12,42 Milliarden Dollar im Jahr 2021 aus.

Es ist schwer zu sagen, wie viele Hikvision-Kameras auf der ganzen Welt im Einsatz sind, aber eine Studie des Branchenmediums Top10VPN aus dem Jahr 2021 nutzte die Shodan-Suchmaschine (die das Internet nach den eindeutigen IP-Adressen von Geräten, in diesem Fall Kameras, durchsucht) – und fand 4,8 Millionen Netzwerke mit Hikvision-Geräten in 191 Ländern außerhalb Chinas.

Mit über 600.000 Hikvision-Systemen haben die Vereinigten Staaten die zweithöchste Anzahl an Kameras des Unternehmens, gleich nach Vietnam (die Untersuchung konnte die meisten Kameranetzwerke in China allerdings nicht identifizieren). Jedes dieser gefundenen IP-Netzwerke kann bis zu 24 Hikvision-Kameras unterstützen, was bedeutet, dass die Gesamtzahl der Kameras noch höher sein wird. Und das ist nur eine vorsichtige Schätzung, da nicht alle Kameras in den Shodan-Scans erscheinen.

So wurden zum Beispiel 55.455 Hikvision-Netzwerke allein in London gefunden. "Nach meiner Erfahrung, die ich bei einem Spaziergang durch London gewonnen habe, liegt die Zahl wahrscheinlich um ein Vielfaches höher. Sie sind in fast jedem Supermarkt zu finden", sagt Samuel Woodhams, Researcher bei Top10VPN, der die Studie durchgeführt hat.

Die weite Verbreitung von Hikvision-Kameras im Ausland hat Ängste um die nationale Sicherheit ausgelöst, auch wenn nicht bewiesen ist, dass das Unternehmen seine Daten aus dem Ausland zurück nach China überträgt. Schon im Jahr 2019 verabschiedeten die USA ein Gesetz, das Hikvision jegliche Verträge mit der Bundesregierung verbietet.

Was Hikvision auf der Weltbühne wirklich berüchtigt machte, war seine Beteiligung an Chinas Unterdrückungssystem in Xinjiang gegen die dortige muslimische Minderheit, vor allem Uiguren. Zahlreiche Überwachungskameras, von denen viele mit fortschrittlicher Gesichtserkennung ausgestattet sind, wurden sowohl innerhalb als auch außerhalb von Umerziehungslagern in Xinjiang installiert, um die Kontrolle der Regierung über die Region zu stärken. Und Hikvision hat einen großen Anteil an den Aktivitäten. Es wurde festgestellt, dass das Unternehmen mindestens 275 Millionen Dollar an Regierungsverträgen zum Aufbau von Überwachungsanlagen in der Region erhalten hat und KI-Kameras entwickelt wurden, die physische Merkmale uigurischer Ethnizität erkennen können.

Auf die von MIT Technology Review gestellten Fragen zu Xinjiang antwortete Hikvision mit einer Erklärung, die nicht direkt darauf einging. Stattdessen hieß es, dass das Unternehmen "die geltenden Gesetze und Vorschriften in den Ländern, in denen wir tätig sind, strikt befolgt" und weiterhin befolgen werde "und dabei eine international anerkannte geschäftliche Ethik" sowie lokale Geschäftsstandards befolgt.

"Die Art und Weise, wie [Unternehmen wie Hikvision] in der Lage sind, Menschen durch Kontrollpunkte und Gesichtserkennungssysteme in ihrer Freiheit zu beschränken, hat die gesamte Region, zumindest aus Sicht der Uiguren, in ein scheinbar flexibles aber nach außen geschlossenes System verwandelt. Sie sprechen oft von einem Freiluftgefängnis", sagt Darren Byler, Anthropologe an der Simon Fraser University und Autor von "In the Camps: Chinas High-Tech-Strafkolonie". "Und das wäre ohne diese Technologieunternehmen wirklich nicht möglich."

Die Aufnahme von Hikvision auf die SDN-Liste würde nicht nur die Spannungen zwischen den USA und China verschärfen, sondern auch eine neue Front bei internationalen Sanktionen eröffnen, bei denen Technologieunternehmen zunehmend in geopolitische Machtkämpfe verwickelt werden.

Sobald die Entscheidung bekannt gegeben wurde, könnten Personen strafrechtlich verfolgt werden, die mit dem Unternehmen arbeiten oder Geschäfte machen, sagt Healy: "[Hikvision] kann nicht mehr mit dem US-Dollar oder dem US-Finanzsystem interagieren. Und andere Banken und andere Finanzinstitute in der ganzen Welt werden im Allgemeinen auch keine Geschäfte mit Ihnen machen, weil sie ihren Zugang zum US-Dollar und zu den US-Finanzmärkten aufrechterhalten wollen."

Zumindest würde dies bedeuten, dass Hikvision seine Kameras nicht mehr außerhalb Chinas verkaufen könnte und seine internationalen Einnahmen auf Null sinken würden. Es ist jedoch unklar, ob Regierungen und Unternehmen, die bereits Hikvision-Kameras verwenden, aufgefordert würden, diese sofort zu ersetzen. Noch schwieriger wird es, wenn es um die Hikvision-Dienste jenseits der Hardware geht. Können aktuelle Hikvision-Benutzer Software-Updates von dem Unternehmen annehmen? Den Cloud-Speicher des Unternehmens nutzen? "Das ist genau die Art von Dingen, für die [die US-Regierung] hier eine Ausnahme machen könnte", sagt Healy, denn die übliche Durchsetzung der SDN-Liste könnte im digitalen Zeitalter unpraktisch werden.

Herkömmliche Sanktionsinstrumente sind nicht für das Internet konzipiert. "Wir befinden uns in einer Ära der Schaffung von Präzedenzfällen in Bezug auf restriktive Maßnahmen", sagt Jon Bateman, Senior Fellow für Technologie und internationale Angelegenheiten beim Carnegie Endowment for International Peace.

Kein großes Technologieunternehmen, dessen Produkte weltweit verkauft werden, wurde jemals auf die SDN-Liste gesetzt. Huawei, das derzeitige "Aushängeschild" für Technologieunternehmen im Spannungsfeld zwischen den USA und China, darf keine US-Produkte kaufen, keine US-Investitionen erhalten oder in den USA Geräte verkaufen, aber Huawei-Produkte werden weiterhin außerhalb der USA verkauft. Sollte Hikvision tatsächlich auf der SDN-Liste landen, wäre dies ein Experiment mit der Frage, wie Technik – sowohl Hardware als auch Software – international verboten werden kann.

Berichten der Financial Times zufolge informieren US-Diplomaten bereits ausländische Regierungen darüber, was die USA mit Hikvision zu tun gedenken. Die härteren Sanktionen werden wahrscheinlich in Ländern wie Großbritannien oder Norwegen begrüßt, die ihre eigenen Untersuchungen über die Mitschuld von Hikvision an Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang durchgeführt haben. Experte Bateman warnt jedoch davor, dass – da die Sanktionen in erster Linie eine einseitige Entscheidung der USA sind – nicht jedes andere Land zwangsläufig mit der Strenge und dem Ausmaß der Maßnahmen einverstanden sein wird.

"Je mehr die US-Regierung von diesen unilateralen Instrumenten Gebrauch macht, desto mehr Fragen werden in den ausländischen Hauptstädten aufgeworfen, ob sie bei der Anwendung dieser Instrumente ein Mitspracherecht haben, und wenn ja, in welchem Umfang", sagt er.

China hat seinerseits seine Unterstützung für Hikvision zum Ausdruck gebracht. Als Reaktion auf die Nachricht über die möglichen Sanktionen beschuldigte ein Sprecher des Außenministeriums die USA, "die staatliche Macht und das nationale Recht zu missbrauchen, um chinesische Unternehmen mutwillig zu unterdrücken". Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass andere Länder den USA öffentlich die Stirn bieten, wenn die Sanktion durchgesetzt wird. Der florierende Inlandsmarkt in China mag Hikvision noch am Leben erhalten, doch für chinesische Unternehmen, die sich im Ausland einen Namen machen wollen, wäre dies ein großer Rückschlag.

(bsc)