Ukrainische IT-Szene im Krieg: "So oder so schon auf der schwarzen Liste"

Softwareentwicklung im Krieg: Volodymyr Shymanskyy, Open-Source-Entwickler in der Ukraine, schildert die Lage in Irpin und die schwarzen Listen auf GitHub.

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(Bild: Lightspring / Shutterstock.com)

Lesezeit: 21 Min.
Von
  • Andrea Maurer
Inhaltsverzeichnis

Während der Verteidigung gegen die russische Invasion in der Ukraine ist die dortige IT-Industrie eine der wichtigsten wirtschaftlichen Stützen des Landes. Viele industrielle Produktionsstätten sind zerstört, landwirtschaftliche Flächen durch russische Besatzung oder Verminung unbestellbar, aber das Entwickeln und Coden in den IT-Firmen der Ukraine geht weiter. heise Developer wollte unter anderem wissen, wie es den Unternehmen und Angestellten aktuell geht, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben und wie sie ihr Land unterstützen. Außerdem stellt sich die Frage, was IT-Spezialisten und Spezialistinnen aus dem Ausland zur Unterstützung der Ukraine tun können.

Volodymyr Shymanskyy

Volodymyr Shymanskyy gehört zu den Größen der Open-Source-Szene der Ukraine und hat sich mit Wasm3 auch weltweit einen Namen gemacht. Zu seinen bekanntesten Softwarewerken gehören neben Wasm3, die Arduino-Bibliothek TinyGSM und die IoT-Plattform Blynk. Seit dem großflächigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat er das StandWithUkraine-Repository ins Leben gerufen – eine Sammlung von Initiativen und Infos zur Unterstützung der Ukraine. Wer mehr Informationen sucht, findet Volodymyr und seine Software-Projekte auf GitHub.

Im dritten Teil der im Mai gestarteten Interviewreihe spricht heise Developer mit Volodymyr Shymanskyy – einer Größe der Open-Source-Szene der Ukraine, der unter anderem auch Mitbegründer der IoT-Plattform Blynk ist.

Ukrainische IT-Szene im Krieg

heise Developer: Wie ist die Situation in der Ukraine Anfang Mai?

Volodymyr Shymanskyy: Ich bin aktuell mit Frau und Kindern bei meinen Schwiegereltern in der Mitte der Ukraine. Die Kinder spielen gerade draußen. Vereinzelt gibt es Luftalarm und dann holen wir die Kinder rein ins Haus. Abgesehen davon ist es Ok. Aktuell läuft vieles wie normal: Man kann zum Friseur, sich einen Kaffee holen und so etwas.

Du bist aber ursprünglich aus Irpin, oder?

Shymanskyy: Ursprünglich bin ich aus dem Westen der Ukraine, habe dann zehn Jahre in Kiew gelebt und schließlich beschlossen, in einen Vorort von Kiew zu ziehen, nach Irpin. Es gibt auch einen gleichnamigen Fluss. Irpin war super – eine ruhige Stadt, nette Menschen, so sind wir dortgeblieben und haben vor rund zwei Jahren ein Haus dort gekauft.

Auf deinem Twitter-Profil hast du Bilder gepostet, dass dein Haus inklusive deines Labs durch die russischen Angriffe auf Irpin zerstört wurde.

Shymanskyy: Das ganze Haus ist abgebrannt, komplett zerstört. Das ist traurig, weil wir erst vor einem Jahr und ein paar Monaten dort eingezogen sind. Jetzt haben wir kein Zuhause mehr. Wir könnten ein neues Haus oder Apartment mieten, aber es ist aktuell nicht so leicht, etwas Gutes zu finden und auch die Mietpreise sind deutlich gestiegen. Zum Glück bin ich eine fähige Person, habe viele Freunde und Verwandte und mein Geschäft läuft aktuell auch gut. Ich verdiene etwas, habe aber gleichzeitig das Bedürfnis, die Armee unterstützen zu müssen. So spende ich und unterstütze auch einen Haufen Projekte, wie es viele Menschen in der Ukraine derzeit tun. Es ist sehr zeitaufwendig und bindet jede Menge Ressourcen. Aber im Endeffekt geht das Leben weiter, weil es weitergehen muss.

Bilder von Volodymyr Shymanskyys Twitter-Profil, die die Zerstörung seines Hauses inklusive des Labs in Irpin zeigen (Bild:Volodymyr Shymanskyy)

Du entwickelst beispielsweise Wasm3 und wirkst bei Blynk mit. Verdienst du damit Geld?

Shymanskyy: Ich bin an mehreren Unternehmen beteiligt und auch einer der Hauptgründer von Blynk, sodass ich die meiste Zeit für Blynk arbeite. Blynk ist eine IoT-Plattform, die wir 2015 auf den Markt gebracht haben. Unser Ziel war es, die Erstellung von iOS- und Android-Apps für die ganzen Maker und Builder zugänglich zu machen. Software-Entwicklung ist komplex und du musst erst mal jede Menge Dinge lernen, bis du überhaupt mal etwas mit minimalen Funktionsumfang zum Laufen bekommst. Mit Blynk kann man sich eine App fürs Smartphone bauen, in die man Steuerelemente per Drag-and-Drop platziert und das dann an eine Hardware-Plattform wie einen Raspberry Pi oder Arduino koppeln. Über die Smartphone-App lassen sich die Funktionen der Hardware-Plattform ansteuern. Das ist zum Beispiel für Kinder im IT-Unterricht an Schulen interessant, für Start-Ups und für Maker, die den Entwicklungsprozess beschleunigen und automatisieren wollen. 2015 war das ein großes Ding und wir hatten kaum Mitbewerber auf dem Markt. Es existiert mittlerweile ein komplettes Blynk-Ökosystem, und wir haben viele Kunden, die SaaS-Lösungen von uns beziehen. Damit verdienen wir unser Geld.