Zahlen, bitte! 82 Fragmente des Antikythera-Mechanismus – einem antiken Computer

1901 bargen Taucher Teile eines astronomischen Geräts nahe der griechischen Insel Antikythera. Der Mechanismus war mehr als ein Jahrtausend seiner Zeit voraus.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 82 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Dass technische Geräte erscheinen, die zehn, zwanzig Jahre ihrer Zeit voraus sind, ist ungewöhnlich, aber nicht selten. Vor der Küste von Antikythera, eine kleine Insel zwischen Kythira und Kreta, ist 1901 der Antikythera-Mechanismus geborgen worden, der seiner Zeit anderthalbtausend Jahre voraus war. Und die Sensation wurde den Forschenden erst mit der Zeit wirklich klar.

Der Mechanismus, dessen Erbauer unbekannt ist, wird auch als erster Computer überhaupt bezeichnet. Er konnte Mond- und Sonnenfinsternisse voraussagen, sowie Mondphasen darstellen. Vermutet wird, dass er auch die Planetenpositionen anzeigen konnte. Außerdem fand sich, dank moderner Scan-Methoden ein Olympiade-Kalender im Mechanismus.

Mitarbeiter der griechischen Regierung sowie die Besatzung des Kriegsschiffs Mykali und Schwammtaucher auf dem Deck über dem Schiffswrack vor Antikythera in der Winterzeit zwischen 1900 und 1901.

Als im Jahr 1901 Schwammtaucher auf der Insel Antikythera auf die Fundstelle eines gesunkenen 300-Tonnen-Schiffs aufmerksam wurden, welches bis heute als größtes antikes Schiffswrack gilt, herrschte Aufregung: In 42 bis 55 Metern Tiefe waren bereits beim ersten Tauchgang diverse Statuen zu sehen, die die Taucher zunächst für Leichen hielten.

Kopf eines Philosophen.

(Bild: CC BY-SA 3.0, B. Foley und Ishkabibble)

Als ihnen klar wurde, dass da ein Schiffswrack voller antiker Schätze lag, informierten sie die griechische Regierung. Die mochte zunächst nicht glauben, was die Taucher erzählten, bis sie zum Beweis einen geborgenen Arm einer Bronzestatue übergaben. Daraufhin erteilte die Regierung den Auftrag die Artefakte zu heben und unterstützte sie mit einem Marineschiff. Die Bergung war mit Mitteln der Jahrhundertwende hochgefährlich: Die Taucher konnten nur für wenige Minuten hinunter, und mussten die Taucherkrankheit im Auge behalten. Es ist überliefert, dass ein Taucher die Bergung mit dem Leben bezahlte und zwei gelähmt blieben.

Das Schiffswrack war gefüllt mit diversen antiken Kunstschätzen: Zum Vorschein kamen diverse Statuen und Teilen von Skulpturen, dazu Amphoren und Münzen, die datiert sind von 70 bis 60 vor Christi Geburt. Neben den Figuren wie der Bronzestatue eines Jünglings, sowie dem Kopf eines Philosophen, bargen die Taucher eine unscheinbare Kiste mit einem halb verrosteten und unvollständigen Mechanismus.

Die nach über einem Jahrtausend auf dem Meeresgrund stark verwitterten, größten Bestandteile des Antikythera-Mechanismus, ausgestellt im Archäologischen Nationalmuseum in Athen. Insgesamt wurden 82 Bestandteile und Zahnräder des Mechanismus geborgen.

(Bild: CC BY 2.0, Therese Clutario)

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Angesichts der prächtigen Statuen rückte der Antikythera-Mechanismus zunächst in der Bedeutung in den Hintergrund. Mit der Zeit wurde den Wissenschaftlern allerdings klar, dass es sich beim Antikythera-Mechanismus um eine Sensation von Weltrang handelte: Ein derart feinmechanisches und technisch komplexes Instrument war eigentlich für die Zeit völlig undenkbar und unbekannt. Schon früh vermuteten die Forschenden ein Astronomisches Werkzeug wie ein Astrolabium (PDF).

In einer Nature-Dokumentation meinte Dr. Tony Freeth vom University College in London, der intensiv an dem Antikythera-Mechanismus forschte, dass die Wissenschaft energisch bestreiten würde, dass solch eine Technik zu der Zeit überhaupt möglich gewesen wäre, hätte man den Mechanismus nicht 1901 entdeckt. Einigermaßen vergleichbare Technik ist frühestens aus dem 14. Jahrhundert bekannt – 1500 Jahre nach dem Bau des Antikythera-Mechanismus, dessen Entstehung nach neueren Studien auf 205 vor Christus vermutet wird.

Fragment A mit dem markanten Vierspeichen-Zahnrad.

(Bild: CC BY 2.5, Marsyas)

Dabei musste der Sinn des Geräts in mühsamer Detektivarbeit ermittelt werden, da die geborgenen Fundstücke nach etwa 1000 Jahren unter Wasser sehr stark korrodiert waren. Bis heute wurden in verschiedenen Tauchgängen, unter dem sich von den 1950ern bis 1970ern auch Jaques Custeau beteiligte, 5 große Bruchstücke und 75 kleine Stücke geborgen, die einwandfrei dem Gerät zugeordnet werden konnten.

Reste des Holzgehäuses, dessen Gesamtmaße auf 340 × 180 × 90 Millimeter vermutet werden, wurden ein Opfer der Bergung: Innerhalb weniger Monate verrottete das Holz an der Luft, sodass eine Radiokarbon-Methode zur Altersbestimmung des Holzes leider nicht mehr infrage kam. Eine entsprechende Untersuchung der Holzplanken des Schiffs kam zum Schluss, dass die Bäume etwa 220 Jahre vor Christus gefällt wurden. Somit war das Schiff zum Zeitpunkt des Untergangs verhältnismäßig alt.

Modern interpretierter und in Plexiglas gefasster Nachbau des über 2000 Jahre alten Antikythera-Mechanismus aus dem Jahr 2007.

(Bild: CC BY 2.5, Mogi)

Nicht nur die Komplexität des Gerätes fasziniert die Wissenschaftler, sondern auch dessen kompaktes Design. Über eine Kurbel werden diverse Zahnräder verschiedener Größen angetrieben: eine Sonnenskala mit (ägyptisch beschrifteter) Monatsskala, babylonische Tierkreiszeichen. Zusätzlich wird anhand von Beschriftungen vermutet, dass noch Planetenzeiger vorhanden waren. Ebenfalls enthalten war ein Mondkalender, der die Phasen anzeigen konnte, sowie ein Kalender von Sonnen- und Mondfinsternissen. Neben den astronomischen Darstellungen wurde noch ein Olympiade-Kalender gefunden, der die vierjährigen Zeiträume zwischen den Spielen zeigte, und die Orte der panhellenischen Spiele.

Dank Röntgen- und computertomographischer Untersuchungen konnten die Teile des geheimnisvollen Mechanismus gelüftet werden. Zugutekam den Forschenden die ausführliche Beschriftung. die mit verschiedenen Verfahren Schicht für Schicht zum Teil entziffert werden konnte. Teile einer Anleitung wurden ebenfalls gefunden. Mittlerweile existieren sogar Nachbauten. Als Ort der Entstehung des wegweisenden Geräts wurde lange Zeit Rhodos vermutet. Nach jüngeren Erkenntnissen könnte auch Archimedes den oder die Erbauer beeinflusst haben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dazu passt eine Aussage Ciceros, der von der Belagerung Syrakus auf Sizilien berichtete, wo auch Archimedes lebte. Er beschrieb, dass Feldherr Marcus Claudius zwei Planetarien von Archimedes erbeutete und nach Rom mitnahm. Seine Beschreibung passt optimal auf den Antikythera-Mechanismus:

"[...] auf dem die Bewegungen der Sonne und des Mondes und der fünf Sterne, die Wanderer genannt werden, aufgezeichnet waren ... (die fünf Planeten) ... Archimedes ... hatte einen Weg gefunden, diese verschiedenen und unterschiedlichen Bewegungen mit ihren unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch ein einziges Gerät zum Drehen des Globus genau darzustellen."

Es bedeutet dennoch nicht zwingend, dass Archimedes etwas damit zu tun hat. Viele Fragen bleiben also bis heute offen. Und selbst in die Memekultur hat es der Antikythera-Mechanismus geschafft. Wie dem auch sei: Der erste (analoge) Computer der Weltgeschichte wird auch noch viele weitere Forscher faszinieren – über 2000 Jahre nach seiner Entstehung.

(mawi)