Reetdach und Bauernhaus aus Pappe? Was in Japans Architektur möglich ist

Papier und Pappe werden immer mehr zum Baustoff. Der japanische Architekt Shigeru Ban ist Pionier des Materials und demonstriert stets neue Projekte damit.

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Das von Shigeru Ban designte Restaurant im Stil eines Bauernhauses mit Reetdach.

(Bild: Shigeru Ban)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Kölling

Ein Auto aus Pappe – die Automarke Citroën hat es mit seinem Modell Oli vorgemacht. Um das innovative Elektrofahrzeug haltbar zu machen, hat der Autobauer die Zellulose wabenförmig angelegt und mit Plastik-Coatings versehen. Dass diese Idee weit größeres Potenzial hat, demonstriert seit Jahrzehnten der japanische Architekt Ban Shigeru mit seinen Gebäuden und Strukturen aus Papier.

Die jüngsten papierenden Projekte hat er dieses Jahr in der Ukraine, Polen, der Slowakai, Berlin und Paris errichtet. In 14 Evakuierungszentren wurde für die Kriegsflüchtlinge ein System aus relativ dünnen Papprohren aufgestellt, mit dem große Räume durch Vorhänge in kleine private Séparées unterteilt werden können. Das System kam das erste Mal 2011 in Japan zum Einsatz – nach der Erdbeben-, Tsunami- und Atomkatastrophe, um den Obdachlosen auch in großen Turnhallen etwas Privatsphäre zu gewähren. Aber auch für große Strukturen, die Wind und Wetter ausgesetzt sind, eignet sich der Baustoff, zeigte der bekannte japanischen Spitzenarchitekt wiederholt.

Das jüngste größere Bauwerk ist ein Restaurant in der Präfektur Hyogo, das im Stil klassischer japanischer reetgedeckter Bauernhäuser gebaut wurde. Um die Kosten niedrig zu halten, wurden die 27 tragenden Säulen und die mächtigen Querverbindungen nicht wie früher üblich aus Baumstämmen gefertigt, sondern aus hohlen Pappröhren.

Allerdings mussten die Architekten beim Baustoff wie dem Reetdach ein wenig schummeln, weil die japanischen Bauvorschriften weder reine Pappe noch ein klassisches japanisches Reetdach zuließen. Zwar hat Japan Pappe bereits Mitte der 1980er Jahre einmal zugelassen. Allerdings gelten die damaligen Regeln nicht mehr. Papp-Projekte müssen daher Sondergenehmigungen beantragen.

Um diesen Aufwand zu vermeiden, mixte das Team Holz in die Pappmasse. Auch die japanische Reetdachmethode war in diesem Fall nicht zulässig. Daraufhin deckte man das Dach in europäischem Stil. Seit 2021 steht das 293 Quadratmeter große Gebäude nun.

Post aus Japan

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Die Idee kam ihm gleich nach dem Abschluss seines Architektur-Studiums in den USA. Er habe damals Papier genutzt, weil er kein Geld für Holz hatte, erzählte er 2015. 1995 baute er sein erstes, amtlich zugelassenes Haus: eine Wochenendhütte für ihn selbst. Allerdings diente es letztlich lediglich als Demonstrationsobjekt.

2000 erhielt dann Papier als Baustoff den amtlichen Adelsschlag von Japans Regierung. Ban durfte für die Weltausstellung in Hannover den japanischen Pavillon bauen. Eine Idee war, ihn so recycle-freundlich wie möglich zu errichten. Papierröhren, überspannt mit behandeltem Papier bildeten die langgezogene Kuppel. Das Fundament wurde aus Sand und nicht Beton hergestellt, um weniger Müll zu schaffen.

(jle)