Microsoft gegen Google gegen alle: Wie ChatGPT einen neuen Suchkrieg auslöste

Der Erfolg der Sprach-KI ChatGPT bringt Schwung in den von Google dominierten Markt für Suchmaschinen. Tech-Giganten und Start-ups kämpfen um die Macht.

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(Bild: CHUAN CHUAN/Shutterstock.com)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Will Douglas Heaven
Inhaltsverzeichnis

Such-Start-ups erleben gerade eine gute Zeit. Als die US-Ausgabe MIT Technology Review kürzlich mit Richard Socher, dem CEO von You.com, sprach, war der ganz aus dem Häuschen: "Was für ein aufregender Tag – sieht nach einem neuen Rekord für uns aus", rief er. "Wir hatten noch nie so viele Nutzer. Es war wie ein Wirbelwind." Man hätte dabei nicht ahnen können, dass zwei der größten IT-Firmen der Welt gerade konkurrierende Versionen des Produkts seiner kleinen Unternehmung angekündigt hatten.

In zwei aufeinander folgenden Mitteilungen hatten Microsoft und Google letzte Woche ihren jeweiligen Anspruch auf die Zukunft der Suchmaschinenindustrie proklamiert und Chatbots vorgestellt, die auf Suchanfragen in flüssiger Sprache statt mit Linklisten antworten können. Microsoft hat seine Suchmaschine Bing mit einer eigenen Version von ChatGPT aufgerüstet, jenem beliebten Chatbot, den das in San Francisco ansässige Unternehmen OpenAI letztes Jahr herausgebracht hatte. Google wiederum arbeitet an einem ChatGPT-Konkurrenten namens Bard.

Diese Ankündigungen gaben zwar einen kleinen Einblick in die Zukunft der Internet-Suche, aber um ein vollständiges Bild zu erhalten, muss man über Microsoft und Google hinausschauen. Auch wenn die Giganten weiterhin dominieren dürften, wird der Bereich für alle, die nach einer Alternative suchen, immer umfangreicher und vielfältiger werden.

Das liegt daran, dass eine neue Welle von Start-ups seit Monaten unbemerkt mit vielen ähnlichen Chatbot-gestützten Suchtools herumspielt. You.com hat bereits im Dezember einen Chatbot eingeführt und seitdem immer wieder Updates herausgebracht. Eine Reihe anderer Unternehmen wie Perplexity, Andi und Metaphor kombinieren ebenfalls Chatbot-Apps mit Erweiterungen wie einer Bildersuche, Social-Media-Funktionen, mit denen man von anderen gestartete Suchabläufe teilen oder fortsetzen kann – und der Möglichkeit, nach Informationen zu suchen, die nur wenige Sekunden alt sind. Der Erfolg von ChatGPT hat eine wahre Aktivitätsflut ausgelöst, da sowohl Tech-Giganten als auch Start-ups nun versuchen, herauszufinden, wie man den Menschen geben kann, was sie offenbar dringlichst wollen – und zwar auf eine Art und Weise, von der sie vielleicht noch gar nicht wissen, wie.

Google hat den Suchmarkt jahrelang dominiert. "Er ist seit Langem ziemlich konstant", sagt Chirag Shah, der an der University of Washington Suchtechnologien im Internet erforscht. "Trotz vieler Innovationen hat sich die Verteilung kaum bewegt." Das änderte sich mit dem Start von ChatGPT im November. Plötzlich kam den Nutzern die Idee, nach Dingen zu suchen, indem man eine Reihe unzusammenhängender Wörter eintippt, ganz altmodisch vor. Warum konnte man nicht einfach nach dem fragen, was man wollte? Die Menschen seien begeistert von der Idee, Chatbots und Suche zu kombinieren, sagt Edo Liberty, der früher das KI-Labor von Amazon leitete und jetzt CEO von Pinecone ist, einem Unternehmen, das Datenbanken für Suchmaschinen aufbaut. "Es ist die richtige Art der Verbindung. Das ist wie Erdnussbutter und Marmelade auf einem Sandwich."

Google beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit der Idee, große Sprachmodelle – die Technologie hinter Chatbots wie ChatGPT und Bard – zu verwenden. Aber erst als ChatGPT zum Mainstream-Hit wurde, starteten Google und Microsoft öffentliche Schritte. Andere taten es auch. Inzwischen gibt es mehrere kleine Unternehmen, die mit den großen Playern konkurrieren, sagt Liberty. "Noch vor fünf Jahren wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen", sagt er. "Wer, der bei Verstand ist, würde versuchen, diese Burg zu stürmen?" Heutzutage ist es dank Standard-Software allerdings einfacher denn je, eine Suchmaschine zu entwickeln und sie mit einem großen Sprachmodell zu verbinden. "Man kann jetzt mit einer Handvoll Ingenieure in wenigen Monaten Teile von Technologien abbauen, die früher von Tausenden von Ingenieuren über ein Jahrzehnt hinweg entwickelt wurden", sagt Liberty.

Das ist auch Sochers Erfahrung. Socher verließ seine Rolle als leitender KI-Wissenschaftler bei Salesforce, um 2020 You.com mitzugründen. Die Website ist eine zentrale Anlaufstelle für Power-User, die nach einer Alternative zu Google suchen. Sie zielt darauf ab, den Menschen Antworten auf verschiedene Arten von Anfragen in einer Reihe von Formaten zu geben, von Filmempfehlungen bis hin zu Codeschnipseln. Letzte Woche hat You.com die multimodale Suche eingeführt, bei der der Chatbot auf Anfragen mit Bildern oder eingebetteten Widgets aus angeschlossenen Apps anstelle von Text antworten kann, plus eine Funktion, mit der Nutzer ihre Konversation mit dem Chatbot teilen können, sodass andere Nutzer einen bestehenden Thread aufgreifen und tiefer in eine Anfrage eintauchen.

In dieser Woche hat You.com ein Upgrade auf den Markt gebracht, das Socher mit "Live-Daten" bezeichnet und das auf Anfragen zu laufenden Ereignissen antwortet, z. B. ob das Team der Eagles die Super Bowl noch gewinnen kann, wenn noch acht Minuten zu spielen sind. Perplexity – ein Unternehmen, das von ehemaligen Forschern von OpenAI, Meta und der Fragenwebsite Quora gegründet wurde – geht bei der Suche in eine andere Richtung. Das Start-up, das eine Version des großen Sprachmodells GPT-3 von OpenAI mit Bing kombiniert, hat seinen Such-Chatbot im Dezember auf den Markt gebracht und behauptet, dass ihn bisher etwa eine Million Menschen ausprobiert haben. Die Idee sei, dieses Interesse zu nutzen und ein soziales Netzwerk um ihn herum aufzubauen.

Das Unternehmen möchte Community-basierte Informationssammlungen wie Quora oder Wikipedia neu erfinden, indem es einen Chatbot einsetzt, der die Einträge anstelle von Menschen erstellt. Wenn Menschen dem Chatbot von Perplexity Fragen stellen, werden die Q&A-Sitzungen gespeichert und können von anderen durchsucht werden. Die Nutzer können auch die vom Chatbot generierten Antworten bewerten und ihre eigenen Fragen zu einem laufenden Thema hinzufügen. Ergo: Es ist wie Reddit, nur dass Menschen die Fragen stellen und eine KI antwortet.

Letzte Woche, einen Tag nachdem Googles (noch nicht veröffentlichter) Chatbot Bard in einem eilig produzierten Werbeclip eine falsche Antwort gab – ein Patzer, der das Unternehmen beim Börsenwert zunächst Milliarden gekostet hat –, kündigte Perplexity ein neues Plug-in für Googles Webbrowser Chrome an. Der Werbeclip dazu zeigte das System, wie es den Google-Fehler korrigierte. Angela Hoover wiederum, CEO und Mitbegründerin der in Miami ansässigen Suchfirma Andi, gründete ihr Unternehmen vor einem Jahr, nachdem sie frustriert davon war, wie viel Werbung und anderer Müll angezeigt wird, bevor relevante Links in Google zu finden sind. Wie viele Menschen, die mit Chatbots wie ChatGPT herumgespielt haben, hat Hoover eine Vision für die Zukunft der Suchmaschinen. Ihre Inspiration sind Science-Fiction-Besserwisser wie "Jarvis" aus "Iron Man" oder "Samantha" aus "Her".