Überwachung: Sicherheitsbehörden treiben automatisierte Gesichtserkennung voran

In Inpol hortet die Polizei 6,7 Millionen Lichtbilder, die für biometrische Gesichtserkennung relevant sind. BKA und Bundespolizei testen neue Analyseverfahren.

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(Bild: Scharfsinn/Shutterstock.com)

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Bei deutschen Sicherheitsbehörden spielt die automatisierte Gesichtserkennung eine immer größere Rolle, obwohl die Ampel-Koalition "den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken" eigentlich ablehnt und derzeit ein Streit über EU-weite Regeln für derlei Systeme tobt. Mit Stand 11. Februar 2023 hat allein die hiesige Polizei in der Verbunddatei Inpol-Zentral (Z) fast 6,7 Millionen GES-relevante Lichtbilder zu gut 4,6 Millionen Personen gespeichert. 2022 kamen knapp 1,5 Millionen Bilder hinzu, im gleichen Zeitraum wurden nur 395.505 gelöscht. Dies geht aus einer jetzt veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor.

Das Bundeskriminalamt (BKA) etwa nutzt schon seit 2008 das Gesichtserkennungssystem GES. Die Zahl der damit durchgeführten Recherchen steigt seit Jahren rasant an. 2021 konnten die Beamten so in 90.000 Abfragen rund 5000 Personen identifizieren, nachdem sie die Ergebnisse des Systems händisch verifizierten. Die besonders umkämpfte Echtzeit-Identifizierung soll mit GES nicht stattfinden. Für Proteste von Datenschützern sorgte in den vergangenen Jahren vor allem die Suche der Hamburger Staatsmacht nach Randalierern beim G20-Gipfel per biometrischer Gesichtserkennung.

Die Bundespolizei hat 2022 in Strafverfahren 7697 Recherchen mit dem Gesichtserkennungssystem durchgeführt und hierbei 2853 unbekannte Personen identifiziert, teilte die Regierung nun mit. Für das BKA gebe es für 2022 noch keine einschlägigen Zahlen. Welche weitere Software zur computergestützten Bildersuche oder zu Vergleichen Polizeien oder Geheimdienste des Bundes 2022 beschafft haben, will das federführende Bundesinnenministerium nicht sagen: Es sei "nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt", dass die in dieser Frage erbetenen Auskünfte geheimhaltungsbedürftig seien. Die erfragten Informationen enthielten zum Teil Details zu technischen Fähigkeiten und Ermittlungstaktiken.

Derzeit erprobt die Arbeitsgruppe digitale Kompetenz der Bundespolizei "zwei Systeme zur teilautomatisierten Videoauswertung (tVAS)", ließ sich die Regierung dagegen noch entlocken. Der Test sei nach einer Marktsichtung und Ausschreibung durch das Beschaffungsamt gestartet worden. Dabei habe die Behörde Systeme der Firmen Digivod und Idemia Deutschland zunächst für zwölf Monate angemietet. Diese Verträge seien nochmals bis zum 16. Februar 2023 verlängert worden. Das BKA prüfe parallel, ob künftig eine Zusammenarbeit mit der Hochschule Darmstadt an einem Forschungsvorhaben zur "künstlichen Alterung von Gesichtern" durchgeführt werden könne.

In Deutschland lagern dem Bescheid zufolge zudem derzeit "zu Staatsschutz-Zwecken" 3571 "recherchefähige" Lichtbilder in der Datei ST-Libi. Europaweit besteht ebenfalls kein Mangel an Material. Im Schengen-Informationssystem (SIS) etwa waren Ende 2022 318.927 Fingerabdrücke und 868.676 Lichtbilder gespeichert. Deutsche Behörden konnten 2022 bei Abfragen des Automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungssystem (AFIS) im SIS 36.381 Treffer erzielen, in Eurodac waren es 115.587 Fingerabdruck-Treffer. Die Zahl der Personenfahndungen im SIS beliefen sich Anfang 2023 auf über eine Million und die der Sachfahndungen auf über 85 Millionen. Darunter waren rund 76.000 der besonders umstrittenen, meist von Geheimdiensten durchgeführten Ausschreibungen für "verdeckte" und über 78.000 für "gezielte" Kontrollen.

(olb)