Ludewig zur Digitalstrategie des BMG: "Nur mit Druck erzeugt man Diamanten"

Digital Health: Gottfried Ludewig ist aus dem Bundesgesundheitsministerium zu T-Systems gewechselt. Im Gespräch mit heise online gibt er eine erste Bilanz.

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Gottfried Ludewig und Karl Lauterbach auf der DMEA 2022

Gottfried Ludewig und Karl Lauterbach auf der DMEA 2022

(Bild: Deutsche Telekom/ Marc-Steffen Unger)

Lesezeit: 10 Min.

Die Anforderungen an die IT im Gesundheitswesen sind angesichts des digitalen Wandels immens. Neben der Verfügbarkeit der Systeme muss auch der Datenschutz sichergestellt werden. Seit Anfang März 2022 ist Gottfried Ludewig Senior Vice President Health Industry bei T-Systems für die Gesamtverantwortung der Gesundheitssparte der Telekom-Tochter zuständig. Er bündelt dort alle Initiativen für die Gesundheitsindustrie und ist insbesondere für die strategische Entwicklung und den Ausbau des Geschäfts verantwortlich.

Davor war Ludewig Leiter der Abteilung "Digitalisierung und Innovation" im Bundesgesundheitsministerium und für das Digitale-Versorgung-Gesetz und das Patientendaten-Schutz-Gesetz mitverantwortlich. Unter anderem wurden mit diesen Gesetzen die Grundlagen für die elektronische Patientenakte, elektronisches Rezept, der Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen, den "Apps auf Rezept", die Schaffung eines Forschungsdatenzentrums sowie Vorgaben für Interoperabilität geschaffen. Wir haben ihn untere anderem nach seiner ersten Bilanz nach einem Jahr bei T-Systems gefragt und wohin es bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens noch gehen soll.

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Deutsche Telekom / Tobias Koch

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Dr. Gottfried Ludewig ist seit Anfang März 2022 Senior Vice President Health Industry bei T-Systems und übernimmt in dieser Rolle die Leitung und Gesamtverantwortung der Gesundheitssparte der Telekom-Tochter. Bis März 2022 war Ludewig Leiter der Abteilung „Digitalisierung und Innovation“ im Bundesministerium für Gesundheit.

heise online: Sie sind jetzt ein Jahr bei T-Systems. Was haben Sie bisher umsetzen können?

Gottfried Ludewig: Ich freue mich, dass wir neben unseren starken Bereichen Infrastrukturen und Cloud-Transformation auch bei Anwendungen und Plattformen wachsen. "Digitale Identität" ist ein gutes Beispiel. Wir arbeiten mit unserem Partner Verimi daran, 8,7 Millionen Barmer-Versicherten eine sichere Digitale Identität zur Verfügung zu stellen. Damit ermöglichen wir eine sehr einfache und sichere Art der Identifizierung im Internet und den Zugang zur elektronischen Patientenakte oder zum E-Rezept. An anderer Stelle arbeiten wir an der Entwicklung von KI-gestützten Analyseverfahren für eine bessere Diagnose und Behandlung.

heise online: Bei der Umsetzung der Corona-Warn-App (CWA) waren Sie ja auch maßgeblich beteiligt. Hätte man die CWA als Vorbild für die E-Rezept-App nehmen sollen?

Ludewig: Die Frage "hätte-sollen" ist keine Frage für die Industrie. Letztlich bestimmen die Kundinnen und Kunden. Man kann beides schwerlich vergleichen. Ein einfaches Beispiel von vielen: CWA-Nutzer bleiben anonym. Wer dagegen ein E-Rezept einlöst, muss klar identifizierbar sein. Allein, um Fehlmedikation zu vermeiden oder auch für die Abrechnung. Was sich die Branche aber von der CWA abgucken kann, sind: Transparenz, Vertrauen oder Community-Management. Die App wurde Open Source programmiert. Jeder konnte den Programmcode einsehen. Keine Chance auf Hintertüren. Das haben auch der Bundesdatenschutzbeauftragte und sogar der Chaos Computer Club begrüßt. In der Bevölkerung hat das für Vertrauen und bis heute mehr als 48 Millionen Downloads gesorgt.

heise online: Hätte die Einbindung aller an der Umsetzung des E-Rezepts Beteiligten Ihrer Ansicht nach früher erfolgen müssen?

Ludewig: Das kann die Industrie nicht beantworten. Grundsätzlich geht Sicherheit vor Schnelligkeit. Die Debatte zeigt aber erneut, dass in Deutschland kein Stück öffentliche IT online gehen kann, bevor die gesellschaftliche Datenschutz-Debatte kein Ergebnis erzielt hat. Zugleich würde es uns in Deutschland guttun, wenn wir uns nicht nur auf die Risiken, sondern auf die Chancen der Digitalisierung fokussieren. Da hilft es den Horizont einmal zu erweitern und einen Blick in andere europäische Länder zu wagen. Dort sind viele der Themen bereits Alltag und die Chancen stehen im Mittelpunkt. Ich würde mir wünschen, dass die Patientinnen und Patienten künftig selbstbestimmter und aufgeklärt entscheiden, mit wem sie wann was teilen. Es sind ihre Daten und wir sollten ihnen zutrauen, dass sie auch darüber entscheiden können.

heise online: Gesundheitsminister Karl Lauterbach will die elektronische Patientenakte mit Opt-out-Möglichkeit für alle und eine E-Rezept-Pflicht bereits 2024 umsetzen. Halten Sie das für realistisch?

Ludewig: Das wird eine große Herausforderung und ist zugleich die absolut richtige Richtung. Grundsätzlich gilt: nur mit Druck erzeugt man Diamanten.

heise online: Was halten Sie von der Krankenhausreform, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf den Weg bringen will?

Ludewig: Obwohl bis jetzt nur ein Konzept bekannt ist, ist sie ein wichtiger Schritt. Krankenhausfinanzierung und Krankenhausstrukturen müssen dringend überdacht werden. Der Ansatz auch eine Krankenhausfinanzierung der Kliniken so aufzusetzen, dass auch eine Vorhaltung von Versorgung in der Fläche garantiert und dafür keine Anzahl von Operationen nach oben getrieben wird, ist ein sinnvoller Gedanke. Weiter gehört dazu auch, dass wir das Zusammenspiel zwischen ambulantem und stationärem Sektor weiter fördern. In der Reform fehlt mir noch, wie das Thema Digitalisierung der Prozesse in der Finanzierung und in der Strategie berücksichtigt wird.

heise online: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das Krankenhauszukunftsgesetz?

Ludewig: Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz haben wir einen großen Sprung bei der Finanzierung der Digitalisierung der Krankenhäuser gemacht und eine Aufholjagd begonnen. An diesen Aufschlag müssen wir nun mit der nächsten Reform anschließen. Reformen für eine zeitgerechte Versorgung müssen daher auch das Thema Digitalisierung enthalten. Das fehlt aktuell noch.

heise online: Anfang Januar haben Sie für Ihr Krankenhausinformationssystem (KIS) die Zusammenarbeit mit dem Startup Recare bekannt gegeben. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Ludewig: Wir integrieren Recare in unser KIS und Recare nutzt die Open Telekom Cloud für ihre Anwendung. Das Thema Entlassmanagement ist eine Chance, Themen nochmal deutlich besser zu machen. Patientinnen und Patienten können nach ihrer Krankenhausentlassung zum Beispiel schneller einen Platz in einer Rehaeinrichtung finden. Idealerweise müssen sie sich gar nicht darum kümmern. Dabei spielt die Frage, wie der Datenaustausch mit den Kranken- oder Pflegekassen funktionieren soll, eine Rolle. Das ist wichtig, um die Frage der Finanzierung für den Aufenthalt in der Reha- oder Pflegeeinrichtung zu klären. Es soll künftig immer weniger digitale Brüche geben. Das ist unser Ziel und dafür bilden wir auch Partnerschaften.

heise online: Planen Sie dann auch Kooperationen mit Pflegeinformationssystemen?

Ludewig: Wir beschäftigen uns grundsätzlich damit, wie wir Brüche im Informationsfluss des Gesundheitssystems minimieren können. Das kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten zusammenspielen. Wir müssen mit den verschiedenen IT-Systemen – Laborinformations-, Pflegeinformations-, Krankenhausinformations-, Praxisverwaltungs-, Apothekenverwaltungssystemen und vielen mehr – interoperabel zusammenarbeiten und die Datenstandardisierung vorantreiben. Patientinnen und Patienten hilft es nicht, wenn ein Arztbrief aus dem Krankenhaus erst nach vier Wochen in der Hausarztpraxis ankommt. Oder Röntgenbilder und MRT-Aufnahmen händisch von Praxis zu Praxis getragen werden.

heise online: Warum gehören monolithische Systeme Ihrer Ansicht nach der Vergangenheit an?

Ludewig: Es gibt Systeme, in denen Daten nur innerhalb des Systems gehalten werden. Das ist kein Zukunftsmodell. Wir müssen Informationen in sogenannten ‚Data Spaces‘ verknüpfen und zusammenführen. Die Interoperabilität der Systeme wird daher zwingend kommen. Zur Not durch den Regulator und den Markt erzwungen. Denn wir brauchen die bessere Verknüpfbarkeit von Daten, um unsere Medizin und die Behandlung von Patientinnen und Patienten besser machen zu können. Zu häufig nutzen wir diese enormen Chancen heute noch nicht. Das müssen wir ändern. Als ein Anbieter, der heute schon in anderen Industrien das Thema führend vorantreibt, Stichwort "Catena X", sehen wir uns auch als ein Schlüsselspieler dieses Themas im Gesundheitswesen.

heise online: Was bedeutet das konkret?

Ludewig: Studien zeigen, dass wir viele Daten haben, wenn Patientinnen und Patienten in bestimmten Abständen immer wieder zum Arzt gehen. Jetzt kommen weitere Datensätze aus dem Alltag der Menschen hinzu, zum Beispiel von Fitnessarmbänder oder Smart Watches. Wenn wir diese Daten mit den anderen Datensätzen aus dem stationären, ambulanten Bereich oder aus der Pflege verknüpfen, können wir Krankheiten besser vorbeugen und erkennen. So könnten wir zum Beispiel verhindern, dass Menschen bei einer Krebserkrankung unwirksame Therapien erhalten. Geschlossene Systeme sind definitiv nicht zukunftsfähig.

heise online: Macht das Sammeln von Daten an zentralen Stellen die Systeme nicht angreifbarer, wenn alles miteinander vernetzt ist?

Ludewig: Das ist die Gesundheitskarten-Diskussion von gestern. Aktuelle Konzepte sind dezentral. Sie setzen auf hochsichere ‚Data Spaces‘ für Leistungserbringer, Kostenträger sowie Patientinnen und Patienten. Wir alle wollen als Patienten künftig selbst bestimmen, was mit uns medizinisch passiert. Das ist auch erklärtes politisches Ziel. Dazu müssen wir aber zwangsläufig mit Patienten-Informationen den blinden Fleck auf unsere eigene Versorgung auflösen. Und dazu brauchen wir Zugriff auf unsere eigenen Gesundheitsdaten – wann und wo auch immer wir wollen. Jeder Zugriffspunkt bedeutet eine weitere Stelle, die Schutz braucht. Im Gegensatz zu damals haben wir heute aber das Know-how und die Technologie, den Sicherheitsschirm auch über vernetzte Strukturen zu spannen.

heise online: Wie gehen Sie mit möglichen Abhängigkeiten von Cloud-Anbietern um?

Ludewig: Um Abhängigkeiten von bestimmten Cloud-Anbietern zu verringern, bieten wir – die Telekom – unseren Kundinnen und Kunden verschiedene Möglichkeiten an. Sowohl mit Private, Public oder Hybrid Cloud und in Zusammenarbeit mit allen führenden Hyperscalern. Mit unserer T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud bieten wir zudem eine souveräne Cloudinfrastruktur an, die zugleich alle Vorteile einer Hyperscaler-Cloud beinhaltet. Diese Angebote sind aus meiner Sicht, gerade für sensible Industrien wie der Gesundheitsbereich es ist, genau die richtige Antwort auf Leistungsfähigkeit und Souveränität."

heise online: Was ist Ihrer Ansicht nach wichtig, um Daten möglichst sicher zu lagern?

Ludewig: Es gibt ganz klare Vorschriften, gerade für den KRITIS-Bereich. Dafür müssen verschiedene technische Vorgaben erfüllt werden. Das Thema Sicherheit ist einer der Bereiche, in dem wir immer wieder nachschärfen. Wir glauben, dass es wichtig ist, die Kundinnen und Kunden immer wieder auf Sicherheitsthemen aufmerksam zu machen und zu fragen: "Sind eure Systeme aktuell? Ist euer Personal, das Zugang zu den IT-Systemen hat, eigentlich geschult? Wissen die Mitarbeitenden über Phishing-Mails oder den sicheren Umgang mit USB-Sticks Bescheid?" Es werden immer noch Phishing-Mails geöffnet. Selbst wenn alle IT-Systeme dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, gibt es noch den Faktor Mensch als Einfallstor. Genauso wichtig, wie die Sicherheit der Systeme, ist es, Awareness bei den Menschen zu schaffen.

(mack)