Sichtweite erhöhen

Wenn Autos untereinander kommunizieren, können sie sich gegenseitig darüber informieren, wo Staus sind, ob hinter einer Kurve ein Hindernis steht oder ob ein Eisregen droht. In Forschungsprojekten erprobt die Automobilbranche gemeinsam mit Anwendern die Car-to-X-Kommunikation.

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Von
  • Barbara Lange
Inhaltsverzeichnis

Einige der neuen Fahrzeuge besitzen Sensorsysteme, die das Fahrzeugumfeld erfassen und den Fahrer beim Spurwechsel warnen oder beim Einparken helfen. Bislang untersuchen Fahrerassistenzsysteme aber nur jedes Fahrzeug für sich.

In Forschungsprojekten geht die Branche einen Schritt weiter: Fahrzeuge, die im Stau stecken oder auf glatten Straßen ins Rutschen kommen, sollen die Informationen an andere Verkehrsteilnehmer (Car-to-Car) und an die Infrastruktur (Car-to-X) weitergeben, damit sich die Nachfolgenden im Vorfeld auf die Gefahren einstellen können. Erhofftes Ergebnis: weniger Unfälle, mehr Sicherheit, mehr Verkehrsinformationen, besserer Verkehrsfluss.

Derzeit beschäftigt sich die komplette Branche mit dem Thema. Führende Automobilhersteller sowie Soft- und Hardwarezulieferer wollen im „Car 2 Car Communication Consortium“, kurz C2CCC [b] einen offenen europäischen Industriestandard entwickeln, der eine herstellerübergreifende und fahrzeugtypunabhängige Car-to-X-Kommunikation garantiert. Erste Ergebnisse mit mehreren Fahrzeugen unterschiedlicher Hersteller gab es Ende 2008 in Dudenhof bei der Adam Opel AG zu sehen.

Was bis jetzt noch fehlt, sind Erfahrungen mit einer größeren Fahrzeugflotte: Leisten soll dies das im November 2008 gestartete und nach eigenen Angaben weltweit größte Forschungsprojekt „Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland simTD“ [c]. Insgesamt 400 Fahrzeuge will man mit einer Car-to-X-Infrastruktur ausrüsten und auf Autobahnen, Bund- und Landstraßen der Testregion Frankfurt/Rhein-Main einsetzen.

Die Fahrzeuge sollen ein Ad-hoc-Netz aufbauen und untereinander relevante Daten über das Verkehrsgeschehen austauschen. Gleichzeitig sollen sie die Infrastruktur informieren. Das heißt, in der Testregion wird es an ausgewählten Verkehrsinfrastrukturpunkten wie Ampeln oder Hinweistafeln 150 sogenannte „Road-Side-Units“ (RSU) geben, die die Daten aufnehmen und an Autos der Umgebung oder an die Verkehrszentrale weitergeben können. Letztere verwaltet als zentrales Datenverarbeitungs-, Steuerungs- und Datenhaltungssystem die Informationen und gibt relevante Meldungen an Fahrer und Infrastruktur zurück.

Der Prozess der Rundum-Kommunikation zwischen Autos, Infrastruktur und Verkehrszentrale gilt als die zentrale Herausforderung, der sich das auf vier Jahre angelegte Projekt stellen will. Teilnehmer sind Audi, Daimler, BMW, Ford, Opel, Volkswagen, Bosch, Continental, die Deutsche Telekom, die Hessische Landesregierung, die Stadt Frankfurt am Main, einige der Fraunhofer-Institute, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) und mehrere Universitäten. Initiiert wurde simTD vom Verband der Automobilindustrie (VDA) und dem C2CC-Consortium.

Mehr Infos

Onlinequellen

[a] Car-to-Car
[b] Car-to-Car-Organisation
[c] simTD
[d] BFDI

Es gibt viele Car-to-Car-Projekte, wie man auf der Webseite von simTD sehen kann, zum Beispiel Invent, Network on Wheels oder FleetNet. Aber simTD soll zum ersten Mal Automobil- und Übertragungstechnik mit der Verkehrssteuerung umfassend verbinden. So müssen die Autos auf einer einheitlichen Grundlage erkennen, wann eine gefährliche, meldenswerte Situation eingetreten ist. Dementsprechend müssen die Road-Side-Units und die Verkehrszentrale schnell genug reagieren und die Informationen darstellen können.

Mehrere Bundesministerien teilen sich die Investition von 38 Millionen Euro in das Projekt: Wirtschaft und Technologie (19,8 Millionen Euro), Bildung und Forschung (10,8 Millionen Euro) sowie Verkehr-, Bau- und Stadtentwicklung (8 Millionen Euro). Das Land Hessen sowie die Industrie sind mit 8 respektive 23 Millionen Euro dabei.

Einen Schwerpunkt legt simTD auf das Funknetz, das es zu testen gilt. Das EU-weit einheitliche Frequenzband zwischen 5,875 und 5,905 GHz hat die Europäische Union für die Fahrzeugkommunikation bereits freigegeben. Technische Basis soll WLAN sein. Für den Gebrauch auf der Straße gibt es aber einige Anforderungen, die über den normalen WLAN-Standard hinausgehen: Die hohen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge erfordern kurze Netzzugangszeiten; lange Verzögerungen darf es nicht geben, wenn die Kommunikation mit anderen Autos oder Roadside Units funktionieren soll. Hierfür gibt es den auf die Bedürfnisse der Car-to-X-Kommunikation optimierten WLAN-Standard IEEE WLAN 802.11p, dessen Freigabe Branchenkennern zufolge noch im Jahr 2009 geplant ist.

Verbindungslücken im WLAN sollen die Funkstandards UMTS und GPRS überbrücken. Wie man alle drei gleichzeitig nutzen und gezielt zwischen den Techniken ohne Verzögerungen umschalten kann, steht im Fokus von simTD. Wichtig ist, dass sicherheitsrelevante Informationen nicht irgendwann, sondern in Bruchteilen von Sekunden garantiert zur Verfügung stehen müssen. Weiterhin besteht noch Forschungsbedarf beim Empfang der unterschiedlichen drahtlos übermittelten Informationen per DVBT, WLAN, Bluetooth oder UMTS. Sie dürfen sich nicht gegenseitig stören.

Darüber hinaus prüfen die Forscher den Einsatz von Mobilfunk, beispielsweise für ergänzende Dienste oder zur Anbindung der Verkehrsinfrastruktur an die Verkehrsleitzentrale. Daher erhält jedes Fahrzeug der Stichprobenflotte eine SIM-Karte von T-Mobile. Die Vorteile einer Car-to-X-Kommunikation scheinen auf der Hand zu liegen: Staus in Deutschland führen nach einer Schätzung der EU-Kommission zu jährlichen volkswirtschaftlichen Kosten von 17,4 Milliarden Euro. Hinzu kommen eine Verringerung des Spritverbrauchs und die sinkende CO2-Emission, mehr Sicherheit, weniger Unfälle und Verkehrstote und eine bessere Auslastung des Streckennetzes.

Deshalb fordert etwa der Branchenverband BITKOM einen zügigen Ausbau der Verkehrstelematik. ITK-Lösungen müssen fester Bestandteil der Bauplanung sein, so die Forderung.

Neben Sicherheit und optimalen Routen spielen Mehrwertdienste eine große Rolle bei der Markteinführung – wann es so weit ist, lässt sich noch nicht sagen. Aber eine reine Car-to-Car-Lösung ohne Hightech-Verkehrsinfrastruktur wäre nur sinnvoll, wenn eine ausreichende kritische Masse über die Ausrüstung verfügt.

Der Mehrwert muss von Anfang an erkennbar sein, schreibt der VDA in seinem Jahresbericht 2008 über simTD. Wenn eine Einführung nicht am Henne-Ei-Problem scheitern soll, sollten die ersten Car-to-X-Autos bei der Markteinführung die passende Ausstattung haben. Die Verkehrsinfrastruktur sollte von Anfang an Informationen an die Fahrer weitergeben.

Als weitere Mehrwertdienste nennt der VDA den Nutzen, den zusätzliche Verkehrsinformationen via Internet bringen können, und die Möglichkeit einer Ferndiagnose, die ein mit seinem Wagen liegengebliebener Fahrer beim Hersteller anfordern kann. Denkbar sind weiterhin Informationen über freie Parkplätze, Routeninformationen et cetera.

Gedanken wie diese haben die Verantwortlichen zum Forschungsgegenstand des Projekts erhoben. Auf der Agenda stehen daher neben der Erforschung der Techniken Strategien zur flächendeckenden Einführung, Betreibermodelle und Mehrwertdienste. Sie sei nur als gemeinschaftlich durch Industrie und öffentliche Hand getragenes PPP-Modell (Public-Private-Partnership) realisierbar, so der VDA.

Natürlich muss man ein Wort zum Datenschutz verlieren, wenn es um die Kommunikation zwischen Autos geht, denn die Daten enthalten Informationen, die anderen Zwecken dienen könnten, etwa wenn jemand auf deren Basis Bewegungsprofile von Fahrzeugen erstellt oder Fahnder sie nutzen. Man sollte unterscheiden zwischen dem Datenschutz für Privatpersonen und dem für das Transportwesen. Speditionen sehen die Möglichkeit der Verfolgung und Lokalisierung von Fahrzeugen sicher ganz anders als Privatpersonen.

Für Privatpersonen sei bei der Datenübertragung auf jeden Fall die Anonymität der Personen gewahrt, betonen die Projektverantwortlichen, und die Datenschützer seien einbezogen. Konkrete Maßnahmen und Vorgaben gibt es noch nicht, wohl aber Gespräche, heißt es beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit [d].

In seinem aktuellen Tätigkeitsbericht verweist der Bundesdatenschützer Peter Schaar auf eine ähnliche Quelle von schützenswerten Daten, und zwar solche, die bei der Signalisierung in die Mobilfunkzellen anfallen. Ist die Datenmenge ausreichend groß, kann man mit geeigneten Systemen den Straßenverkehr analysieren und daraus Schlüsse ziehen: Wenn sich etwa auf der Autobahn alle Handys mit 30 km/h bewegen, kann man auf einen Stau schließen. Da das Telekommunikationsgesetz (TKG) eine solche „Umnutzung“ von Verkehrsdaten nicht vorsieht, müssen sie anonymisiert sein, schreibt Schaar in seinem Tätigkeitsbericht.

Barbara Lange
ist IT-Journalistin und Inhaberin des Redaktionsbüros kurz & einfach.

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