Neuer Streit um Internetsperren bei Verstößen gegen das Urheberrecht in der EU

Der EU-Rat hat einen Kompromissvorschlag für das Telecom-Paket gemacht; Bürgerrechtler befürchten, damit könnten Mitgliedsstaaten das Recht auf ein ordentliches Verfahren von Nutzern bei Strafverfolgung einschränken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 32 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.

Der EU-Rat hat einen Kompromissvorschlag für das Telecom-Paket im laufenden Vermittlungsverfahren mit dem EU-Parlament gemacht. Laut der Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net wollen die Mitgliedsstaaten in der Auseinandersetzung über ein Modell der "abgestuften Erwiderung" auf Urheberrechtsverstöße im Rahmen der Neufassung der Regulierung des Telekommunikationsmarktes einen Artikel vorschlagen, wonach zunächst die Grundrechte der Nutzer bei allen Maßnahmen für Zugangseinschränkungen gewahrt werden sollen. Dabei sei vor allem das Prinzip des Anspruchs auf ein faires und unabhängiges ordentliches Verfahren zu gewährleisten. Einschränkend heißt es dann aber weiter, dass es Mitgliedsstaaten vorbehalten bleiben soll, Dringlichkeitsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit sowie zur Verhinderung, Untersuchung und Verfolgung von Straftaten einzuleiten.

Die Bürgerrechtler leiten aus dieser allgemeinen Formulierung die Vermutung ab, dass Nutzern künftig auch der Internetzugang ohne Gerichtsverhandlung schon im Rahmen der normalen Strafverfolgung abgeknipst werden könnte. Das Ministergremium sehe Grundrechte offenbar als reine Option an. Die zivilgesellschaftliche Vereinigung ruft das EU-Parlament daher auf, bei seinen Bemühungen zum Schutz der Internetfreiheiten der EU-Bürger nicht nachzulassen. Die Abgeordneten sprachen sich in der 2. Lesung des Telecom-Pakets dafür aus, dass Eingriffe in die Grundrechte der Nutzer wie das Verhängen von Internetsperren nur per Gerichtsentscheidung verhängt werden dürfen.

Die Einwände des Rats gegen diese Klausel hat die "European Digital Rights"-Initiative (EDRi) als "offensichtlich schwach" und "weit hergeholt" abgetan. Die Mitgliedsstaaten könnten Verbrauchern nicht etwa mit der Begründung ein Recht auf eine Gerichtsverhandlung verweigern, dass damit Netzwerke nicht ausreichend vor Attacken zu schützen seien. Auch La Quadrature du Netz hat sich in einem Schreiben an die Volksvertreter kritisch mit den Argumenten des Rats auseinandergesetzt. Demnach ist das Telecom-Paket genau der richtige Ort, um die Rechte der Internetnutzer festzuzurren. Ein gesonderter Vertrag für diesen Zweck sei nur eine Langzeitoption, die aktuellen "gefährlichen nationalen Regulierungsvorstößen" und wirtschaftlichem Fehlverhalten nichts entgegensetzen könnte. Der umkämpfte Paragraph schreibe zudem nur ähnliche Bestimmungen etwa aus dem EU-Vertrag fort.

Vergleichbare Bedenken wie die Mitgliedsstaaten hat laut ersten Signalen auch der Juristische Dienst des EU-Parlaments. Berichten zufolge halten die Experten die Grundrechtsklausel für zu weit gefasst für ein Gesetz zur Regulierung des Telekommunikationsmarktes. Sie könnte ungeahnte Folgen auch auf andere Rechtsbereiche entfalten. Zudem könne auch eine Verwaltungsbehörde beziehungsweise ein "unparteiisches Tribunal" im Stil der umstrittenen französischen Haute Autorité pour la Diffusion des Oeuvres et la Protection des Droits sur l'Internet (Hadopi) an Stelle eines Gerichts treten. Die britische Forscherin Monica Horten hält dagegen, dass das Telecom-Paket nach wie vor die Blockade bestimmter Internetdienste und Applikationen erlaube. Der Grundrechtsparagraph sei daher ein nötiger Ausgleich. (jk)