Verfassungsgericht verhandelt über Vorratsdatenspeicherung Mitte Dezember

Karlsruhe hat seine Einschränkungen der Vorratsdatenspeicherung erneut um sechs Monate verlängert. Die Zahl der Ermittlungsverfahren, in denen Vorratsdaten angefordert wurden, ist laut Justizministerium leicht gesunken.

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Das Bundesverfassungsgericht hat für den 15. Dezember eine mündliche Verhandlung über die Beschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung angesetzt. Damit ist im ersten Halbjahr 2010 mit einem Urteil über die vielfachen Klagen gegen die Vorschriften des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung zu rechnen. Es ist auch denkbar, dass Karlsruhe den Fall erneut dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegt mit der Bitte, ihn auf die Vereinbarung mit den Grundrechten der EU-Bürger zu prüfen. Das hiesige Gesetz zur verdachtsunabhängigen Protokollierung von Nutzerspuren beruht letztlich auf einer EU-Richtlinie.

Die Karlsruher Richter haben zudem ihre Auflagen zum eingeschränkten Zugriff auf die sechs Monate von den Providern vorgehaltenen Verbindungs- und Standortdaten aus der Telekommunikation erneut um sechs Monate verlängert. Das geht aus einem Beschluss (PDF-Datei) des Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht vom 15. Oktober 2009 hervor, den der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung gerade veröffentlicht hat.

Gegen seit Januar 2008 geltende Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung liegt dem Gericht unter anderem eine "Massenklage" von über 34.000 Bürgern vor. Die Beschwerdeführer sehen durch die Aufzeichnung der Telekommunikationsdaten vor allem das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Sie halten die anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsverbindungen für unverhältnismäßig. Insbesondere machen sie geltend, dass sich aus den gespeicherten Daten Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen ließen.

Einige Beschwerdeführer fühlen sich in ihren Funktion etwa als Anwälte, Ärzte oder Journalisten darüber hinaus in ihrer Berufsfreiheit verletzt, weil die Vertraulichkeit von Kontakten beeinträchtigt werde. Eine Beschwerdeführerin, die einen Online-Anomymisierungsdienst anbietet, rügt, die mit der Speicherung verbundenen Kosten beeinträchtigen die Anbieter von TK-Diensten unverhältnismäßig in ihrer Berufsfreiheit. Die Speicherungspflicht auch für Anonymisierungsdienste führe für diese faktisch zu einem Berufsverbot.

In dem neuen Beschluss (1 BvR 256/08) zur Aufrechterhaltung des beschränkten Zugriffs nur noch zur Abwehr schwerer Gefahren auf die Datenhalden geben die Verfassungsrichter bekannt, dass die einstweilige Anordnung vom 11. März 2008, die am 28. Oktober vorigen Jahres wiederholt und erweitert wurde, für sechs Monate beziehungsweise längstens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden verlängert werde. Zugleich erteilen sie der Bundesregierung den Auftrag, erneut über die praktischen Auswirkungen über die Vorratsdatenspeicherung vom 1. September bis zum 1. März 2010 unter Zuarbeit der Länder und des Generalbundesanwalts zu berichten.

Aktuell hat das federführende Bundesjustizministerium die Sechsmonatsstatistik (PDF-Datei) für die Monate März bis August vorgelegt. Im Vergleich zur vorausgegangen Halbjahresübersicht (PDF-Datei) hat die Zahl der Ermittlungsverfahren, in denen Vorratsdaten angefordert wurden, demnach von 1946 auf 1827 leicht abgenommen. Die Zahl der Fälle, in denen die Erfolglosigkeit des Auskunftsersuchens die Aufklärung einer Straftat vereitelt hat, ist mit 125 gegenüber 112 im Vorzeitraum nach wie vor angesichts der jährlich millionenfach angestrengten Ermittlungsverfahren recht gering. In die Statistik fließen präventive Datenanforderungen durch Polizei und Geheimdienste nicht mit ein. Auch nicht erfasst ist die Identifizierung von Internetnutzern anhand ihrer auf Vorrat gespeicherten IP-Adresse. Das Justizministerium vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass ein Bundesland ausdrücklich die Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung hervorgehoben habe.

Neue Entwicklungen gibt es laut einem Bericht des Blogs "Daten-Speicherung" auch im Fall der Klagen von Landwirten aus Hessen gegen die Veröffentlichung von Subventionsempfängern im Internet sowie die Vorratsdatenspeicherung. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hatte die Protokollierung der Nutzerspuren Ende Februar als "unzulässig" bezeichnet und den EuGH aufgefordert, die EU-Vorgaben auf Vereinbarkeit mit den Grundrechten zu prüfen. Die EU-Kommission hielt diesen Auftrag in einer Stellungnahme vom Juni größtenteils für unbegründet. Die Brüsseler Behörde hat nach eigenem Bekunden nichts gefunden, was die Gültigkeit der umkämpften Richtlinie in Frage stelle. Die Kläger halten dagegen, dass die "flächendeckende" Vorratsdatenspeicherung gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Grundrechte auf Datenschutz und freie Meinungsäußerung verstoße. Damit würden letztlich "alle Lebensbereiche" der Bürger erfasst. Die Landwirte verlangen eine mündliche Verhandlung vor dem EuGH. (jk)