Streit wegen Sitefinder: "Für ICANN heißt es alles oder nichts"

Paul Vixie, Chefarchitekt bei den Entwicklern des DNS-Servers BIND, meint, ein Vorgehen gegen Verisigns Umleitung falscher Domain-Abfragen sei die letzte Chance für die Internet-Verwaltung, ihre Existenzberechtigung zu beweisen.

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Von
  • Monika Ermert

Paul Vixie, Chefarchitekt beim Internet Software Consortium, den Entwicklern des wohl meistverbreiteten DNS-Servers BIND, nannte die Auseinandersetzung um Verisigns Sitefinder den "entscheidenden Moment" in der Karriere der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). "Wenn ICANN jetzt nicht etwas tut und es der Netzgemeinde selbst überlässt zu reagieren, werden wir einen Prozess der Balkanisierung starten," sagte Vixie vor Studenten der Stanford University. Es sei vielleicht ICANNs letzte Chance, ihre Existenzberechtigung nachzuweisen. "Für ICANN heißt es jetzt alles oder nichts."

Vixie, der unmittelbar nach dem Start von Sitefinder einen Patch für den DNS-Server BIND entwickelt hatte, der Sitefinder-Antworten blockiert, kritisierte Verisigns "Typosquatting" entschieden. Seit dem 15. September leitet Verisign Anfragen nach nicht existierenden Domains oder auch Domainvertipper (Typos) auf eine eigene Suchseite um und gräbt damit unter anderem Browser- und Client-basierten Suchmaschinen oder vielen Anti-Spam-Tools das Wasser ab.

Als Nutzer wolle man nicht immer noch mehr Werbung sehen, sagte Vixie. Überdies sei nicht einzusehen, dass Verisign von der Attraktion, die er zum Beispiel durch seinen guten Namen erzeuge, profitiere. Gegen die Registrierung von Domains, die bekannten Marken ähneln, gehen die entsprechenden Unternehmen rigoros vor. "Andere Registrare sind die Verlierer, Spamopfer, Surfer und Domainnutzer, sind die Verlierer. Wer nicht-webbasierte Protokolle nutzt, ist der Verlierer und auch andere Typosquatter sind die Verlierer", sagte Vixie. "Wer außer Verisign gewinnt etwas?" ICANN sei daher aufgerufen, schnell etwas zu unternehmen, bevor die Gemeinde sich selbst helfe und durch Insellösungen noch mehr Chaos schaffe.

ICANN kündigte Anfang der Woche eine offene Sondersitzung seines Sicherheitskomitees für den 7. Oktober in Washington an. Das Komitee hatte in seiner ersten Analyse den Service deutlich kritisiert. "Verisigns Änderung haben offensichtlich die Stabilität des Internet beträchtlich beeinträchtigt, für zweideutige und fehlerhafte Antworten im DNS gesorgt und eine Kette von Reaktionen und Gegenreaktionen ausgelöst, die die Instabilität noch weiter verschlimmern." Während Vixie betonte, er erwarte keine Gegenreaktionen von Verisign auf den BIND-Patch, hat das Unternehmen ICANNs höfliche Aufforderung, die Wildcards wieder aus dem Netz zu nehmen, ebenso höflich zurückgewiesen.

ICANN sammelt nun auf einer Webseite argumentative "Munition" für die Sitzung des Sicherheitskomitees. Sowohl das IAB wie auch die Internet Society meldeten bereits Kritik an. Abgesehen von weiteren US-Reaktionen, Kritik von ICANNs Registraren und der Nutzervertretung haben auch der französische Unternehmensverband Cigref und die australische Regulierungsbehörde AUDA bei ICANNs CEO Paul Twomey Beschwerde eingelegt. Rund 150 individuelle Beschwerden sind seit Anfang der Woche schon bei ICANN angekommen. Je länger die Liste am 7. Oktober ist, desto leichter dürfte es für ICANN sein, etwas gegen Verisign zu unternehmen.

Bislang sei ICANN angesichts verschiedener Verisign-Eskapaden kaum seiner Rolle als Aufsicht gerecht geworden, meint Vixie. Vielmehr sei es Verisign immer wieder gelungen, ICANN vor den US-Kongress zu zerren. Verisigns Vertrag mit ICANN nannte Vixie "ein Meisterwerk der Unberührbarkeit". Wenn ICANN es allerdings trotz des lauten Aufschreis im Netz nicht schafft, etwas gegen den ehemaligen Monopolisten und Domain-Marktführer zu unternehmen, werde die Organisation in die Bedeutungslosigkeit versinken, warnte Vixie. (Monika Ermert) / (jk)