Brüssel hat Bauchschmerzen bei Anti-Piraterie-Abkommen

Neben Providern sehen auch EU-Diplomaten die geplanten Bestimmungen zu "Three Strikes", der Ausweitung der Haftbarkeit Dritter für Rechtsverletzungen und zu strafrechtlichen Sanktionen im ACTA-Vertrag kritisch.

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Die EU-Kommission hat offenbar einige Bedenken bezüglich des geplanten internationalen Anti Counterfeiting Trade Agreement (ACTA). In einem von der Linkspartei veröffentlichten internen Analysepapier (PDF-Datei) der Kommission weist Brüssel auf mögliche Konflikte des unter Federführung der USA verhandelten Abkommens mit geltendem EU-Recht hin. Die Kommission weist darauf hin, dass die in ACTA vorgesehenen Regelungen teils über bestehende internationale Abkommen im Rahmen der WIPO hinausgehen.

Zuvor war bereits ein internes Gesprächsprotokoll der Kommission über das von den USA verfasste "Internet-Kapitel" des Abkommens an die Öffentlichkeit gelangt. Danach soll ACTA eine "abgestufte Erwiderung" gegen Copyright-Verstöße im Netz vorsehen und ein Urheberrecht nach US-Vorbild etablieren helfen. In der jüngst veröffentlichten Analyse stößt sich Brüssel unter anderem an einer erweiterten Haftung Dritter für Urheberrechtsverstöße. Eine solche Bestimmung gehe über das geltende EU-Recht hinaus. Zudem bleibe die Definition von Internetprovidern, die in die Mitstörerhaftung genommen würden, schwammig. Eine mögliche Bestimmung zu abgestuften Erwiderung bis zur Sperre des Internetzugangs müsse die Ausführungen zum Grundrechtsschutz aus dem EU-Telecom-Paket berücksichtigen. Diese sehen die Garantie für ein vorheriges "faires und unparteiisches Verfahren" vor.

Bauchschmerzen haben die EU-Vertreter auch, dass die ACTA-Papiere neben der üblichen zivilrechtlichen Bestimmungen zur Rechtedurchsetzung etwa für den Schutz technischer Kopierblockaden oder von Systemen zum digitalen Rechtemanagement (DRM) auch strafrechtliche Sanktionen vorsehen. Zudem würden Auflagen zur Interoperabilität nicht ausreichend berücksichtigt. Andererseits bemängeln die Brüsseler Diplomaten, dass der gesamte Bereich des Abschnitts nicht weit genug ausgelegt sei. So sei immer nur von Urheberrechten die Rede, nicht aber vom ebenfalls erforderlichen Schutz immaterieller Rechtsgüter wie etwa Markenzeichen. Insgesamt sieht der kanadische Copyright-Experte Michael Geist seine Befürchtungen bestätigt, dass der Vertrag die bestehenden Copyrightgesetze von EU-Ländern oder Kanadas gleichsam auf den Kopf stellen würde.

Die Bedenken der Brüsseler Beamten sind Wasser auf die Mühlen der Kritiker des im geheimen von den USA, der EU, Kanada, Japan sowie weiteren Ländern verhandelten Anti-Piraterie-Abkommens. Der europäische Providerverband EuroISPA warnt (PDF-Datei) vor einer "Bedrohung für die Offenheit des Internet". Die Vereinigung der Internetanbieter kritisiert, dass derartig "strenge" Sanktionen im Rahmen eines Handelsabkommens durchgedrückt werden sollten. Der europäischen Öffentlichkeit werde damit verwehrt, an der Debatte teilzunehmen. Zudem drohten die Schutzvorschriften und Haftungsfreistellungen für Provider und andere Online-Anbieter unterlaufen zu werden.

Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) verweist unterdessen nicht nur auf Medienberichte, wonach die Verhandlungspartner bei der jüngsten Runde Anfang November noch keine Einigkeit über die Internet-Regulierung erzielen konnten. Sie streicht auch heraus, dass die Lobbygruppen der Unterhaltungsindustrie bei anderen internationalen Vereinbarungen, bei denen es auch um Nutzerrechte gehe, anders als bei ACTA eher auf die Bremse drückten. Konkret spielt die EFF auf einen Vorstoß der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) an, Blinden oder Sehbehinderten einen erleichterten Zugang zu geschützten Werken zu verschaffen. (vbr)