Auf dem Weg zum Quantennetz

In den nächsten 20 Jahren könnte die Quanteninformatik den Handel mit Informationen, radikal verändern – und auch noch das Problem mit dem Falschgeld lösen.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Mark Williams
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

In den nächsten 20 Jahren könnte die Quanteninformatik den Handel mit Informationen, das Backbone unserer Wirtschaft,  radikal verändern – und nebenbei auch noch das Problem mit dem Falschgeld lösen. Die technischen Grundlagen sind inzwischen weitgehend ausgearbeitet.

Zeit ist Geld. Mit diesem Rat an einen jungen Händler prägte Benjamin Franklin 1748 das Leitmotiv für die industrielle Revolution. Heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, müsste es eher heißen: Information ist Geld. Und umgekehrt: Geld ist Information – eine Folge aus Bits, die durch die Datenleitungen jagen. Das weckt Begehrlichkeiten. Wer Information aus dem Netz stiehlt, kann sie zu Geld machen. Viel Geld. „Die technische Grundlage unserer Gesellschaft ist der Informationshandel”, sagt der US-Physiker Jeff Kimble vom California Institute of Technology (Caltech). „In den nächsten 20 Jahren wird die Quanteninformatik – eine Kombination aus Informatik und Quantenmechanik, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gab – diesen Handel radikal verändern.

”Denn die Quanteninformatik hat nicht nur das Zeug zu unglaublich mächtigen Computern. Mit ihrer Hilfe ließe sich auch der Datenverkehr abhörsicher machen – und nebenbei vielleicht sogar das Problem mit dem Falschgeld erledigen.

Denn nach den – auf den ersten Blick recht verwirrenden – Gesetzen der Quantenmechanik können Teilchen gleichzeitig mehrere einander ausschließende Eigenschaften haben. Physiker sprechen dabei von „quantenmechanischen Zuständen”. Die Auswirkungen dieser Tatsache lassen sich an einem Experiment zeigen:  Elektronen werden auf eine Platte geschossen, in der zwei Schlitze sind. Hinter dieser Platte befindet sich ein Schirm, der leuchtet, wenn Elektronen darauf treffen. Beide Spalten kann man mit einem Schieber schließen. Öffnet man einen Spalt, sieht man auf dem Schirm einen verschwommenen hellen Strich. Schließt man den ersten und öffnet man den zweiten Spalt, sieht man ebenfalls den hellen Strich – diesmal ein wenig zur Seite verschoben. Öffnet man aber beide Spalten, sieht man nicht zwei verschwommene helle Streifen, sondern ein regelmäßiges Muster. Auf eine seltsame Art und Weise scheinen die Elektronen, die wir uns normalerweise ja als kleine, feste Teilchen vorstellen, durch beide Schlitze gleichzeitig zu fliegen.

Eine solche Überlagerung von zwei quantenmechanischen Zuständen – das Elektron nimmt sowohl den einen als auch den anderen Weg – nennt man ein Quantenbit oder kurz Qubit. Das klassische Bit hat immer genau einen Wert, ein Qubit gleichzeitig zwei. Zwei gekoppelte Quantensysteme mit zwei Zuständen, also Qubits, repräsentieren dann vier Bitwerte, drei Qubits bereits acht. Diese expenontielle Zunahme von Werten ermöglicht theoretisch, eine enorme Datenmenge auf kleinstem Raum zu manipulieren. Dass man mit so etwas auch rechnen könnte, hatte bereits 1981 der US-Physiker Richard Feynman, eine der Koryphäen der modernen Physik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vorgeschlagen. Denn findet man nun noch eine Möglichkeit, Qubits gezielt anhand einer Rechenvorschrift zu manipulieren, würde man diese Berechnung auf einen Schlag für alle möglichen Anfangswerte durchführen. 1994 stellte der US-Mathematiker Peter Shor den ersten Algorithmus für eine solche Berechnung vor: die Zerlegung einer Zahl in ihre Primzahl-Faktoren – selbst für Supercomputer eine zeitraubende Aufgabe. Die Quanteninformatik war geboren.

Die Quantenmechanik steuerte noch eine zweite wichtige Entdeckung bei: Teilt man ein Lichtteilchen in zwei, verteilen sich zuvor überlagerte Zustände wie die Polarisationsrichtung fortan auf beide auf. Ganz gleich, wie weit sie sich voneinander entfernen, etwa nach New York und nach Moskau, bilden sie von nun an ein so genanntes verschränktes System. Misst man die Polarisationsrichtung des Lichtteilchens in Moskau, wird damit sofort – ohne Zeitverzug – festgelegt, dass das Photon in New York die entgegengesetzte Polarisationsrichtung hat. Einstein konnte sich Zeit Lebens nicht mit diesem Gedanken abfinden. Für ihn verletzte diese „spukhafte Fernwirkung” das eherne Gesetz der Relativitätstheorie, nach dem Informationen zwischen zwei Orten maximal mit Lichtgeschwindigkeit ausgetauscht werden können.Verschränkt man nun das Lichtteilchen in New York mit einem dritten, nimmt dies automatisch dieselbe Polarisationsrichtung wie das in Moskau ein, wenn hier die Messung erfolgt. Das bedeutet, dass das dritte Photon eine Kopie des Moskauer Teilchens ist. Dieses ist also von Moskau nach New York „teleportiert” worden – ähnlich wie sich im Film die Besatzung des Raumschiffs Enterprise auf fremde Welten beamt. Die erste Licht-Teleportation gelang 1998 einer Gruppe um den Physiker Anton Zeilinger. Inzwischen ist dieses Kunststück auch mit ganzen Atomen und Molekülen wiederholt worden.

Im Prinzip sind damit alle Komponenten für einen sicheren Informationshandel, wie Jeff Kimble es nennt, vorhanden: Qubits, Verschränkung und Teleportation. Die Herausforderung besteht nun darin, sie zu einem lückenlosen Netzwerk zusammenzufügen.

Am weitesten fortgeschritten ist die Quantenkryptographie, die auf der vergleichsweise einfachen Manipulation von Quantenzuständen aufbaut. Dabei wird der Schlüssel, mit dem die Daten chiffriert werden, in Form von Photonen übertragen. Die Bitwerte des Schlüssels werden durch ihre Polarisationsrichtung repräsentiert, die der Absender festlegt. Der teilt dem Empfänger über einen zweiten Kommunikationskanal mit, welcher von zwei Polarisationsfiltern für jedes Lichtteilchen ausgewertet werden soll. So weiß der Empfänger dann, welche Photonen – je nach Polarisierungsrichtung – die Bitwerte „0” oder „1” repräsentieren, aus denen der Schlüssel besteht.

Der entscheidende Punkt: Ein Angreifer, der in der Mitte der Datenleitung die Polarisation der Photonen messen will, verändert sie auch. Denn gemäß der Quantenmechanik ist jede Messung eines Quantensystems zugleich eine Manipulation dieses Systems. Damit erhöht dieser „Man in the Middle” die Fehlerrate, die Absender und Empfänger beim Abgleich feststellen. Ab einem kritischen Wert von etwa 10 Prozent gilt die Bitfolge des Schlüssels als kompromittiert – und wird verworfen. „Im Unterschied zur klassischen Kryptographie lässt sich der Schlüssel hierbei nicht abfangen. Ein ‚Quantenlauschen’ ist unmöglich”, sagt der bulgarische Physiker Momtchil Peev. Er war einer der leitenden Forscher des EU-Projekts SECOQC, das 2008 das erste Netzwerk zur Verteilung solcher Quantenschlüssel gebaut hat.

Weil in Glasfaserkabeln mit zunehmender Länge die Wahrscheinlichkeit steigt, dass einzelne Photonen vom Material absorbiert werden und damit für die Schlüsselübertragung verloren gehen, ist die maximale Übertragungslänge für Quantenschlüssel jedoch beschränkt. Derzeit liegt sie bei etwa 100 Kilometern – zu wenig für einen sicheren Kommunikationskanal zwischen Banken in London und Frankfurt. Deshalb muss die verschlüsselte Information in den Netzwerkknoten dekodiert und dann mit einem neuen Lichtschlüssel weitergeschickt werden. Das ist ein Sicherheitsrisiko. Besser wäre es, wenn der Schlüssel in den Knoten von so genannten Quanten-Repeatern einfach nur zwischengespeichert, verstärkt und weitergeleitet werden könnte.

Eine Möglichkeit, dies zu realisieren, wäre, die Lichtteilchen am Ende der Leitung mittels Teleportation zu kopieren und die Kopien auf die nächste Etappe zu schicken. Technisch ist das heute möglich, aber der Aufwand für einen kommerziellen Einsatz noch zu hoch. Verschiedenen Forschungsgruppen ist es auch gelungen, einzelne Lichtteilchen in Laser-gekühlten Atomwolken für kurze Zeit zu speichern. Gelänge dies auch für verschränktes Licht, hätte dies einen weiteren Vorzug: Das Quantennetzwerk selbst würde zu einem riesigen mächtigen Quantencomputer.

Denn noch ist die Anzahl von Qubits in den Prototypen von Quantenrechnern nicht sehr groß. Sieben Qubits ist das Maximum, das bislang erreicht wurde. Bei denen handelt es sich meist um Atome oder Ionen. Je mehr von ihnen in einem Quantenprozessor versammelt sind, desto anfälliger werden ihre miteinander verschränkten, überlagerten Zustände für Störungen. „Es gibt zwar eine maximale Größe für den Zustandsraum einzelner Quantenrecheneinheiten, aber man könnte diese Grenze überwinden, indem man viele solcher Einheiten in einem Netzwerk verbindet”, vermutet Jeff Kimble.

Seine Gruppe hat inzwischen einen wichtigen Schritt dorthin geschafft. „Wir haben uns gefragt: Wie wandelt man verschränktes Licht in verschränkte Materie um und wieder zurück in Licht?”, sagt Kyung Soo Choi, ein Mitarbeiter von Kimble. Das Caltech-Team schickt hierzu zwei verschränkte Photonen in zwei Gruppen von Cäsium-Atomen, die auf 125 Mikrokelvin heruntergekühlt sind. Solange die Cäsium-Atome mit einem Kontroll-Laser beschienen werden, sind sie für die Photonen durchlässig. Schaltet man ihn ab, verlangsamt sich ihre Geschwindigkeit drastisch, und die Lichtteilchen kommen gewissermaßen zum Stehen. „Auf diese Weise wird die Quanteninformation – also das verschränkte Licht – in den Atomen gespeichert”, erläutert Choi. „Wenn man den Kontroll-Laser wieder anschaltet, werden die Photonen wieder auf normale Geschwindigkeit beschleunigt und das verschränkte Licht wiederhergestellt. ”Bislang können die Caltech-Forscher die Quanteninformation allerdings nur für eine Mikrosekunde speichern. Kimble schätzt, dass sie die Zeitspanne immerhin verzehnfachen können.

Solche Ensembles aus Cäsium-Atomen hält der Quanteninformatiker Seth Lloyd vom MIT für einen der vielversprechendsten Ansätze, um Quanteninformation über sehr lange Entfernungen zu transportieren. Die Anlagen, in denen die Cäsium-Repeater stecken, sind allerdings nicht gerade klein. Je mehr Quanteninformation weitergeleitet werden soll, desto größer müssen sie werden. „Ich habe mit Jeff Kimble Konzepte entwickelt, die nur mit einzelnen Atomen arbeiten”, sagt Lloyd. „Wenn wir Information zwischen Atom-Wolken und einzelnen Ionen verschieben könnten, wäre das eine skalierbare Quantentechnologie.” In diesem Fall würden Ensembles wie im Cäsium-Repeater die Übertragung abwickeln, einzelne Atome in Ionenfallen oder auch verschränkte Elektronen in Supraleiter-Schleifen die eigentlichen Rechenvorgänge.

Der Informatiker Scott Aaronson hat bereits spekuliert, dass ein Quantennetz nicht nur sichere Datenübertragung und stärkere Quantenrechner ermöglicht. Weil Quantenzustände nicht vervielfältigt werden können, ohne sie zu ändern, ließen sie sich auch für einen perfekten digitalen Kopierschutz nutzen. Zugleich könnte mit ihrer Hilfe ein elektronisches „Quanten-Geld” erzeugt werden, an dem sich Fälscher die Zähne ausbeißen müssen. In einem Paper hat Aaronson ein Konzept für Quantengeld und zwei Varianten für Quanten-Kopierschutz ausgearbeitet, die theoretisch möglich sind. Um die Echtheit zu überprüfen, müssten Verfahren entwickelt werden, die ähnlich wie die Quantenschlüsselverteilung funktionieren.

Das klingt zunächst noch sehr utopisch. Wie zum Beispiel ließe sich Quantengeld im Alltag einsetzen, wenn man nicht am Computer sitzt, sondern in einem Geschäft etwas kaufen will? Das entscheidende Puzzlestück könnte vielleicht von John Rarity, Informatiker an der Universität Bristol, kommen. Er arbeitet daran, den Austausch von Quantenschlüsseln auch in mobile Computer zu integrieren. Im SECOQC-Netzwerk gibt es bereits eine Strecke, auf der die Photonen ohne Glasfaserkabel, durch die Luft geschickt werden. Für kurze Entfernungen funktioniert das: Die beiden Knoten sind 80 Meter voneinander entfernt auf zwei Hausdächern installiert. „Am Ende wird die Quantenschlüsselverteilung in ihr Handy integriert sein”, sagt Rarity. Dann könnte man am Geldautomaten Quantengeld laden, und das Quantennetz würde sogar bis in den Supermarkt reichen. (nbo)