German Angst: Ängste vor KI verstehen, beheben und Chancen nutzen – Interview

Woher stammt Technikphobie? Katharina von Knop geht ihr auf den Grund: Im Gespräch erklärt die Forscherin und CEO, wie man im digitalen Raum Vertrauen schafft.

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(Bild: Olesya Tseytlin / Shutterstock.com)

Lesezeit: 23 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Ängste vor Künstlicher Intelligenz (KI) und eine gewisse Technikaversion gelten als der Grund, warum in Deutschland die Entwicklung von KI-Anwendungsfällen und deren Implementierung im internationalen Vergleich so schleppend vorwärtsgeht. Mithilfe neuropsychologischer Techniken kann es gelingen, den irrationalen Teil dieser Ängste abzubauen.

Dr. Katharina von Knop ist Philosophin, Softwareentwicklerin und ausgesprochen neugierig. Ursprünglich kommt sie aus der Sicherheitsforschung und hat zum Thema "Terrorismus, auf der Suche nach wirksamen Reduzierungsmöglichkeiten" promoviert. Das von ihr gegründete Unternehmen Digital Trust Analytics GmbH ist aus ihrer wissenschaftlichen Forschung zum Thema Aufbau von digitalem Vertrauen entstanden: Mit ihrem Team erstellt sie digitale Geschäftsmodelle und setzt vertrauenswürdige KI um. Bei der Fachkonferenz Rise of AI hielt sie einen Vortrag über Neuropsychologie, Angst und KI, der Anstoß bot für dieses Gespräch.

Interviewgast Dr. Katharina von Knop

Dr. phil. Katharina von Knop beschäftigt sich seit 2016 mit der Frage, wie der Aufbau von digitalem Vertrauen gelingt. Aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen gründete sie ihr Unternehmen, die Digital Trust Analytics GmbH. Sie optimiert und baut digitale Lösungen und Geschäftsmodelle mit dem Ziel, "echtes digitales Vertrauen bei den Nutzern zu schaffen". Auch setzt sie zunehmend AI Trustworthiness um. Als zertifizierte Risikomanagerin hat sie während ihrer Zeit in der Strategieberatung das Risikomanagement von Banken optimiert und aufsichtsrechtliche Vorgaben implementiert. Nach erfolgreicher Entwicklung und Implementierung neuer digitaler Geschäftsmodelle für einen Konzern begann sie ihre Gründerzeit. Gemeinsam mit Vera Schneevoigt hostet sie den Podcast "Die Tech-Löwinnen". Sie ist Beirätin der Max Planck Academy, bei der German Scholar Organisation und beim Health-X dataLoft (hier wird ein Datenraum für Gesundheitsdaten geschaffen). Darüber hinaus ist sie Mentorin beim Cyberlab Karlsruhe.

Da zurzeit große Verunsicherung bezüglich des Potenzials Künstlicher Intelligenz sich breit macht und viele Menschen, auch Fachleute, teils mit Ängsten auf das Thema reagieren, haben wir sie um ihre Einschätzung gebeten. Das Gespräch führte Technikredakteurin Silke Hahn.

Silke Hahn: Menschen reagieren unterschiedlich auf Technik. Wir Redakteure stürzen uns oft mit Neugier und Begeisterung auf KI-Tools. Andere analysieren erst, wiederum andere reagieren mit angstgetriebener Ablehnung. Neuerdings warnen auch einige Fachleute. Das verunsichert weniger technikaffine Menschen deutlich. Woher stammt diese unterschiedlich ausgeprägte Neugierde, und woher rührt die Angst?

Katharina von Knop: Das, wovor wir Angst haben, und mit welcher Intensität wir die Angst wahrnehmen, gibt es in drei Ausprägungen: Ein Großteil unserer Ängste ist evolutionär bedingt. Wir haben im Zuge der Evolution gelernt, wovor es sinnvoll ist, Angst zu haben, um unser Überleben zu sichern. Genetisch bedingt, aber auch bewusst und unterbewusst gelernt ist der "Risiko-Appetit", also die Risikobereitschaft einer Gesellschaft oder Kulturregion. Die dritte Ausprägung ist das individuell spezifische bewusste und unterbewusste Lernen im Zuge der eigenen Biografie. Wenn wir möglichst früh und immer wieder im Laufe des Lebens gelernt haben, dass es sich lohnt, sich positiv neugierig mit unbekannten Dingen zu beschäftigen und uns diese möglichst selbstständig zu erschließen, werden wir weniger Ängste entwickeln. Wir haben dann gelernt, dass das Neue einen Nutzen hat, dass wir es beherrschen können und dass Risiken sich minimieren lassen, wenn wir uns kritisch damit auseinandersetzen.

Um Führungskräfte und Mitarbeiter in Richtung Digitalisierung und KI zu bewegen, beschäftigen Behörden und Unternehmen ganze Heerscharen von Beratern. Gemessen am Grad der Digitalisierung und des Einsatzes von KI im internationalen Vergleich scheinen diese Maßnahmen zwar viel zu kosten, aber wenig zu bringen. Woran liegt das?

Der Grund ist die evolutionäre Entwicklung des Gehirns, und in Folge kommunizieren nicht alle Teile des Gehirns in Gefahrensituationen so, dass wir schneller reagieren können. Der Neocortex als Teil des Großhirns ist unter anderem für die Sprache und komplexe Denkvorgänge zuständig. Angst wird von der Amygdala, einem Teil des limbischen Systems, gesteuert. Beide Gehirnareale interagieren nicht direkt miteinander. Die Amygdala kann nicht mit Sprache beeinflusst werden. Wenn Menschen bereits vor etwas wie KI Angst haben, können wir mit Sachargumenten in der aktuellen Situation deshalb kaum etwas erreichen. Deswegen bringen klassische Coachingmethoden hier nichts.

Wichtig wäre es, in den entscheidenden Positionen möglichst neugierige Menschen zu haben. Ob Menschen neugierig sind, sieht man rasch an dem Lebenslauf. Ängste können aber auch gut therapiert werden. Am wirksamsten ist bewusste, kontrollierte Konfrontation mit dem, was Angst macht. Bezogen auf KI böte das bewusste Arbeiten mit einem KI-System zugleich die Chance, etwas über diese Technologie sowie deren Prüf- und Kontrollsysteme zu lernen. Das Gehirn kann dann die KI-Lösung besser verstehen und die Amygdala lernt, dass Angst nicht nötig ist, weil der Neocortex die Lösung versteht. Ein Digital-, KI- oder Programmier-Lerntag pro Woche wäre eine sinnvolle Investition.

Wieso spielt Neugier dabei so eine große Rolle? An welche Positionen hättest du gedacht?

Positivistische Neugierde darauf, Technologien zu verstehen, motiviert Menschen, sich aktiv neue Themen zu erschließen, und Menschen lernen wahnsinnig gerne. Die Gehirne von neugierigen Menschen schütten verstärkt Dopamin aus – das Hormon, das uns motiviert, Dinge zu tun, wenn es etwas Technisches oder Neues zu verstehen oder ein Problem zu lösen gilt. Vereinfacht ausgedrückt sagen sie nicht: "Oh nein, ein Problem" oder "Oh nein, davon versteh‘ ich nichts", sondern "Oh cool, das weiß ich nicht – ich will das jetzt verstehen – wie geht das?". Unsere Gehirne haben eine unglaubliche Lust und Freude daran, Neues zu lernen.

Weil KI so rasant weiterentwickelt wird, ist es eigentlich nötig, dass auf jeder Position neugierige Menschen sind. Besonders gefordert ist das C-Level und das mittlere Management. Ich kann mich gut an eine Situation erinnern mit dem Leiter für Forschung und Entwicklung eines Technologie-Unternehmens, als wir Stunden in der Parkgarage vor dem Wagen des CEO auf diesen gewartet hatten, um ihm eine neue Entwicklung zu erklären, damit sie in Produktion geht. Wir durften dann mitfahren und hatten die Zeit, die Lösung zu erklären, und sie wurde ein Erfolg.

Angst ist eine Emotion und ein effizienter Impuls des Gehirns, schnell ins Handeln zu kommen, ohne erst aufwendig nachzudenken. Was könnte ein tieferes Verstehen der neuropsychologischen Vorgänge im Gehirn dazu beitragen, irrationale Ängste vor KI abzubauen?

Vieles, definitiv. Angst und Ängstlichkeit sind normale Reaktionen einer echten oder wahrgenommenen Bedrohung. Sie sind gekennzeichnet durch Sorge und Besorgnis, die je nach Ausprägung auch panische Züge haben können. Wenn wir Angst haben, fokussiert sich unsere Wahrnehmung auf das, wovor wir uns fürchten, alles andere blenden wir aus. Der Körper wird mobilisiert. Wir kennen die physischen Reaktionen wie komisches Bauchgefühl, erhöhter Herzschlag, Schwitzen. Das ist ein sehr effizienter Prozess, der uns befähigt, die richtige Reaktion innerhalb von Millisekunden auszuführen. Das Problem ist, dass dieser Angst-Mechanismus nicht sehr akkurat ist.

Weil wir in so einer instinktiven Reaktion nicht genauer abwägen können zwischen Chancen und Risiken? Ist das der Bezug zur KI?

Ja, genau – das Feuern der Amygdala lähmt die höheren Denkfunktionen und die Handlungsplanung. Wenn Menschen Angst haben, fällt es ihnen schwer, überlegt vorzugehen. Planvolles Handeln, insbesondere das rasche Treffen von Entscheidungen ist notwendig, da die Entwicklung gerade so rasant geschieht und wir als Gesellschaft Wissenschafts- und Wirtschaftsraum auch den Anschluss nicht verlieren dürfen. Insbesondere, wenn wir uns für den Einsatz von KI entscheiden wollen oder ihn in Erwägung ziehen.

Das Spektrum von Ängsten bezogen auf KI ist groß. Manche Menschen haben grundsätzlich vor Dingen, die Ihnen unbekannt sind, Angst. Manche haben keine Angst vor der KI, sondern vor möglichen Folgen, wie nicht mehr so relevant zu sein oder durch die Automatisierung im Beruf ersetzt zu werden. Andere haben Angst davor, sehr viel Neues lernen zu müssen, und sind damit überfordert. Sie können oder wollen diese Anstrengung nicht leisten, und diese kognitive Anstrengung lähmt sie. Andere haben Angst, die Kontrolle zu verlieren. Einige dieser Ängste sind auch sehr berechtigt, weil Menschen und Institutionen Schadwirkungen bewusst oder unterbewusst anwenden werden. Ich nehme an, dass dieser Kontrollverlust den meisten Menschen in Deutschland am meisten Angst macht, schließlich sind wir bekannt dafür möglichst aufwendige und langsame Bürokratien zu haben.

Umfrage: Die größten Befürchtungen der Deutschen in Bezug auf KI (Befragungszeitraum: 3.-5. Mai 2023)

(Bild: YouGov / Statista)