Als die Welt das Lutzen lernte: Zum Tod von Theo Lutz

Theo Lutz, ein Schüler des Kybernetikers Max Bense, ist Ende Januar verstorben. Er wurde mit Computerexperimenten bekannt, die ihn zu einem der Pioniere auf dem Gebiet der digitalen Poesie machten.

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Von
  • Detlef Borchers

Am Rande der Feierlichkeiten zum Geburtstag des Kybernetikers Max Bense wurde bekannt, dass sein Schüler Theo Lutz Ende Januar gestorben ist. Lutz, der zuletzt als Professor an der Fakultät Informationstechnik der Hochschule Esslingen unterrichtete, wurde mit Computerexperimenten bekannt, die ihn zu einem der Pioniere auf dem Gebiet der digitalen Poesie machten.

NICHT JEDER BLICK IST NAH. KEIN DORF IST SPAET.
EIN SCHLOSS IM FREI UND JEDER BAUER IST FERN.
JEDER FREMDE IST FERN. EIN TAG IST SPAET.
JEDES HAUS IST DUNKEL. EIN AUGE IST TIEF.

Mit diesen Worten beginnt das bekannteste Gedicht von Theo Lutz, "Nach Franz Kafka" genannt. Das Gedicht wurde in etlichen Varianten 1959 von einem Fernschreiber ausgedruckt, der an einen Zuse Z22 angeschlossen war. Der Rechner verarbeitete eine Passage aus dem Roman "Das Schloss" von Franz Kafka. Das Zufallsprogramm schrieb Theo Lutz.

Der am 23. Juli 1932 geborene Lutz studierte nach dem Krieg in Stuttgart Mathematik. Seine Technik, dem Computer Gedichte zu entlocken, wurde "lutzen" genannt. Neben den an einem IBM-Rechner entstandenen Gedicht IBM von Emmett Williams gilt die Kafka-Verarbeitung durch Lutz als Pioniertat der digitalen Poesie.

Lutz arbeitete später bei IBM, wo er unter anderem dafür sorgte, dass einige der wichtigsten Aufsätze von Max Bense in den "IBM Nachrichten" erscheinen konnten. Als IBM-Referent beschäftigte sich Lutz mit dem, was heute "Technologiefolgenabschätzung" genannt wird, der Bestimmung der Rolle von Computern in der Gesellschaft. So stellte er für IBM im Jahre 1987 im Rahmen eines Seminars "Informationsverarbeitung in der Sozialversicherung" 10 Thesen zur Entwicklung des Computers bis zum Jahre 2010 vor, dem Jahr, in dem IBM Deutschland seinen 100. Geburtstag hat.

Mit einer bemerkenswerten Ausnahme sind alle Thesen von Lutz mehr oder weniger bestätigt worden. Falsch lag er nur bei These Nr. 9: "Auch im Jahre 2010 wird die aufgeklärte und demokratische Gesellschaft ihre spezifischen Ängste haben, aber sie werden wenig mit dem Computer zu tun haben. Themen wie 'Angst vor Überwachung', 'Jobkiller', 'Datenschutz' u.a. werden nicht mehr im Zusammenhang mit dem Computer gesehen. Datenschutz wird als Bürgerrecht akzeptiert und respektiert sein."

Nach langen Jahren der Demenz ist Theo Lutz in Esslingen am 31. Januar 2010 gestorben. (anw)