Zahlen, bitte! Der Amen Break: 6 Sekunden, die die Musik veränderten

Der Amen Break eroberte als meistgenutzter Sample die Tanzflächen und definierte sogar Musikstile. Dabei war sein weltweiter Siegeszug nicht vorherzusehen.

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Inhaltsverzeichnis

Was verbindet David Bowie mit Salt'n'Pepa, The Prodigy, Oasis und Linkin Park? Sie alle nutzten in ihrer Musik – wie unzählige andere Künstler – den Amen Break, ein 6-Sekunden-Sample eines Drum-Solos. Der von Drummer Gregory C. Coleman gespielte 4-Takt-Break gilt als der am häufigsten genutzte Sample der Musikgeschichte, definierte sogar Musik-Subkulturen und ist fest mit der Geschichte des Samplings verbunden. Dabei war der Erfolg gar nicht abzusehen: Die Macher ahnten davon nichts, dass ein Teil ihres hastig eingespielten Songs anderthalb Jahrzehnte später eine Musikrevolution auslösen könnte.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Gregory S. "GC" Coleman (* 25. September 1944, 5. Februar 2006) ist der Schlagzeuger, der den Amen Break spielte - das bis heute meistverwendete Drum-Sample der Musikgeschichte.

Der 1969 erschienene Ursprungssong Amen Brother der Band The Winstons war eigentlich nur als Füllmaterial gedacht. Er schlummerte auf der B-Seite der Single Color Him Father und war eine Instrumental-Version des im Jahr 1964 von den Impressions veröffentlichten Song Amen. Produzent Curtis Mayfield, dem kurze Zeit später mit Move on Up einen Welthit gelang, unterstützte bei Amen Brother mit der Gitarre.

Während Color Him Father ein Erfolg wurde, und sogar 1970 einen Grammy für den besten Rhytm-and-Blues-Song gewann, geriet Amen Brother erst mal in Vergessenheit.

1986 begann die Geschichte des Amen Break. In dem Jahr erschien die erste Platte der Ultimate-Breaks-and-Beats-Reihe, eine Bootleg-Compilation, speziell für Hip-Hop-DJs: Darin fanden sich Songs von 1966 bis 1984, die die fürs Mixing und Sampling attraktive Drum-Breaks enthielten, also kurze Momente, in denen der Schlagzeuger solo spielt. In der ersten Ausgabe der von Street Beat Records herausgebrachten Reihe befand sich auch der Song Amen Brother. Der Drum-Break beginnt dabei ab Minute 1:26 und dauert sechs Sekunden, liegt etwa bei 130 Beats per Minute (BPM) und geht über 4 Takte.

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Gleichzeitig erschien mit dem E-mu SP-12 einer der ersten bezahlbaren Drumsampler. Dementsprechend fand der Amen Break geloopt und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten Eingang in verschiedenen Hip-Hop-Songs wie etwa Salt'N'Pepas I Desire. 1988 erschien N.W.A.s Debut Straight Outta Compton, ebenfalls mit dem Amen Break als treibenden Beat. Viele weitere Hip-Hop-Interpreten folgten.

Anfang der 1990er schwappte der Amen-Break-Trend in die elektronische Musik über. Er wurde von DJs und Produzenten in unzähligen Variationen bearbeitet und neu arrangiert und war Grundlage vieler Jungle-Tracks. Daraus entwickelte sich in Großbritannien der Drum-and-Bass-Musikstil. Produzent Roni Size bezeichnete den Amen Break einmal als Rückgrat seiner Musik. Aphex Twin, Goldie, The Prodigy und selbst David Bowie, Oasis oder Amy Winehouse nutzten ebenfalls den Drum-Sample. Selbst in der Titelmusik der Serie Futurama ist der Amen Break zu hören.

Laut der Website Whosampled fand das 6-Sekunden-Stück Eingang in über 6000 Songs. Zum Vergleich: Den ebenfalls als wegweisend geltenden Funky-Drummer-Sample, von Drummer Clyde Stubblefield in dem gleichnamigen Song für James Brown gespielt, listet die Website mit "nur" knapp 1800 Songs auf.

The Winstons war nach Angaben von Sänger und Saxophonist Richard Lewis Spencer eine Band, die eigentlich durch die Clubs tingelte und die Top-40-Charts nachspielte. Sie verdienten nicht viel Geld damit. Nachdem sie mit Color Him Father einen Top-Ten-Hit gelandet hatten, änderte sich das Band-Gefüge: War man vorher mit dem zufrieden, was man machte, standen der weiteren Karriere nun Erwartungsdruck und Streit um Anteile der Komposition und Wortführerschaft im Weg. Dazu kam, dass sie als bunt gemischte Truppe im von Rassismus geplagten Amerika Probleme hatten, Auftritte zu bekommen. All das führte dazu, dass sich die Band im Jahr 1970 trennte und in Vergessenheit geriet.

Die Bandmitglieder ahnten wohl nicht einmal, dass seit Mitte der 1980er ein 6-Sekunden-Sample eines ihrer Songs die Musikwelt begeisterte. Jedenfalls meinte Spencer später, dass er 1996 erstmals davon hörte, als er von einem englischen Produzenten angerufen wurde. Auf die verdutzte Frage, was der Anrufer denn damit wolle, erfuhr er, dass das Sample gerade mit Jungle und Drum and Bass die Clubszene umkrempele und der Anrufer die Rechte daran erwerben möchte.

Gregory S. Coleman, der Schlagzeuger des am meisten gespielten Drum-Breaks aller Zeiten, hat vermutlich nie erfahren, welchen Weg sein Schlagzeugspiel ging und wie es die Musiklandschaft veränderte. Er starb verarmt und obdachlos am 5. Februar 2006 mit 61 Jahren auf den Straßen von Atlanta.

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Jahre später begann angesichts dieser Ungerechtigkeit eine Diskussion unter Musikschaffenden. Die britischen DJ Martyn Webster und Steve Theobald starteten 2015 eine Gofundme-Spendenaktion. Es sollte der verbliebende Urheber des Amen Break endlich auch finanziell davon profitieren. Dabei konnten 24.000 Dollar im November an Spencer überwiesen werden. Spencer freute sich sehr über die Anerkennung. Er starb im Jahr 2020.

Bis heute ist die Popularität ungebrochen. Der Amen Break steht beispielhaft für Kreativität und Vielseitigkeit des Samplings von Musik. Er zeigt aber auch, wie schwer es manche Künstler haben, entsprechend ihrer Leistung gewürdigt zu werden.

(mawi)