AI Act der EU: Deutschland will jetzt doch zustimmen

Nach erneuten Querelen um den AI Act will nun auch das deutsche Digitalministerium zustimmen.

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Roboterkopf

(Bild: Shutterstock)

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Die Bundesregierung hat sich am Dienstagmorgen darauf geeinigt, dass sie im Rat der Europäischen Mitgliedstaaten der KI-Verordnung zustimmen wird. Das wurde heise online aus Ministeriumskreisen bestätigt. Der im Dezember ausgehandelte Kompromiss war umstritten, zeitweise stand in Frage, ob die Bundesrepublik den Verhandlungskompromiss zwischen Ratspräsidentschaft und EU-Parlament mitträgt.

Kritik am finalen Text kam dabei vor allem aus Reihen der FDP – jener Partei, die mit Bundesdigitalministerium und Bundesjustizministerium gleich zwei Ressorts besetzt, die für die KI-Verordnung innerhalb der Bundesregierung zuständig sind. Die Bundesregierung wird dem Kompromiss nun aber doch zustimmen und die EU-Kommission um eine Prüfung bürokratischer Überbelastung bitten. Damit dürfte die notwendige Mehrheit für den AI Act im Rat der Mitgliedstaaten wahrscheinlich sein.

"Heute ist das Ringen um die deutsche Haltung zum AI Act mit einem tragbaren Kompromiss zu Ende gegangen", sagte Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP). Er habe sich dafür eingesetzt, "die Anforderungen für Unternehmen gering zu halten". Mit dem ausgehandelten Kompromiss werde jetzt ein Fundament gelegt für die Entwicklung vertrauenswürdiger KI. "Bei der Umsetzung des AI Acts werden wir den maximalen Spielraum nutzen, um Doppelregulierung zu vermeiden und Europa zu einem bedeutenden KI-Standort zu entwickeln, der sich im weltweiten Wettbewerb behauptet."

Wissing hatte sich mehrfach mit Frankreich über eine Blockade des AI Acts ausgetauscht. Die dortige Regierung steht der Verordnung besonders kritisch gegenüber und hatte sich weitere Öffnung erhofft. Der ehemalige Digitalminister ist vor etwa einem halben Jahr zum KI-Startup Mistral AI gewechselt. Neben Zugeständnissen bei den Regelungen für sogenannte General Purpose AI (GPAI), zu denen auch ChatGPT und Co. gehören, will Frankreich auch zusätzliche Freiheiten für den Einsatz biometrischer Echtzeit-Datenerfassung durch Strafverfolgungsbehörden. Gemeinsam hätten Deutschland, Frankreich und zwei weitere Länder mit Enthaltungen den AI Act kippen können.

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz (Grüne), sagte, Künstliche Intelligenz werde unsere Gesellschaft prägen. Sie sei eine riesige Chance, berge aber auch Risiken. "Deshalb haben wir intensiv daran gearbeitet, dass es in der EU einen Rahmen gibt, der hilft, die Chancen gut zu nutzen – im Sinne der Wirtschaft, im Sinne des Gemeinwohls – und auf der anderen Seite Risiken einzudämmen." Habeck erhofft sich von der Zustimmung Rechtssicherheit und eine "vertrauenswürdige KI made in Europe".

Ähnlich äußerte sich der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP): "Damit Europa KI-Pionier sein kann, braucht es innovationsfördernde und klare Rahmenbedingungen. Mit der europäischen KI-Verordnung machen wir den Weg frei für einen sicheren Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz, der Innovationen fördert und gleichzeitig Risiken in der Anwendung angemessen adressiert."

Zahlreiche Wirtschaftsverbände hatten in den vergangenen Tagen gefordert, dass Deutschland dem AI Act zustimmen soll, da sie befürchten, rechtliche Unsicherheiten würden ihnen und der Gesellschaft schaden. "Den Missbrauch von KI-Anwendungen zur Destabilisierung unserer Demokratien müssen wir verhindern. Ebenso muss der Schutz der Grundrechte gewährleistet sein. Gleichzeitig brauchen Wissenschaft und Wirtschaft Freiraum für Innovationen. Diese Balance war mir bei den Verhandlungen besonders wichtig – und der nun gefundene Kompromiss schafft den Balanceakt zwischen Innovation und Risikoschutz mit einem verlässlichen Rechtsrahmen", sagte Buschmann.

Deutschlands wohl größtes KI-Unternehmen, Aleph Alpha, hatte sich ebenfalls für die Zustimmung zum AI Act ausgesprochen: "Er ist kein perfektes Regelwerk und es bleiben Fragen offen, die im Anschluss durch eine EU-weite innovationsfreundliche Umsetzung geklärt werden müssen. Hierauf sollten sich nun alle Beteiligten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft konzentrieren." Alternativen zum AI Act bezeichnet das Unternehmen als "zersplitterte nationale Lösungen" und befürchtet eine Dominanz von außerhalb der EU.

"Es erstes Ziel aller Beteiligten sein, die Umsetzung dieser KI-Verordnung auf EU-Ebene durch das zu schaffende AI Office und auf nationaler Ebene durch die Benennung von nationalen Aufsichtsbehörden zu begleiten und letztlich verantwortungsvoll zu gestalten", erklärte ein Sprecher von Aleph Alpha. Dies gelte auch für die Vorgaben zur KI-Standardsetzung und weitere Handlungsaufträge der Verordnung. "Dann und nur dann kann diese Regulierung auch die Innovation im Bereich der Künstlichen Intelligenz stärken und gleichzeitig einen souveränen, verantwortlich handelnden und werteorientierten KI-Wirtschaftsstandort Europa schaffen. Als Aleph Alpha freuen wir uns sehr, wenn dieses Ziel erreicht wird."

"Die Hängepartie beim AI Act dürfte mit der jetzt zu erwartenden Zustimmung Deutschlands beendet sein", sagt der Präsident des IT-Verbands Bitkom Ralf Wintergerst. "Für die Unternehmen kann das die dringend notwendige Rechtssicherheit bei dieser wohl wichtigsten Zukunftstechnologie verbessern." Entscheidend sei aber vor allem, wie die Vorgaben des AI Acts auf europäischer und nationaler Ebene ausgelegt und angewendet werden. "Hier muss neben einer Risikoeinschätzung immer auch eine Abwägung der Chancen Künstlicher Intelligenz stattfinden", meint Wintergerst, nur dann könne KI in Europa erfolgreich entwickelt und eingesetzt werden.

Es habe zwei Jahre gedauert, den AI Act zu verhandeln, erinnert Dragoş Tudorache, der für das Europäische Parlament die KI-Verordnung ausgehandelt hat. Als erste Regulierung von KI weltweit bringe sie Europa in eine globale Führungsrolle und beeinflusse die Entwicklung von KI in eine menschenzentrierte Richtung, die mit den europäischen Werten übereinstimme: "Ich bin glücklich, dass Deutschland das verstanden hat und gemeinsam auf die europäische KI-Führerschaft hinarbeitet, unabhängig von Wahlkampf." Tudorache gehört wie die deutlich skeptischeren FDP-Abgeordneten zur Renew-Fraktion im Europäischen Parlament.

Er sei froh, dass der AI Act jetzt auf der Zielgeraden sei und damit verlässliche Planung für alle Beteiligten möglich werde, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tobias Bacherle. "Natürlich ist die Einigung in Bezug auf biometrische Scans weniger als wir gefordert haben, vielleicht auch weniger als Europa gut zu Gesicht stehen würde. Umso entscheidender ist es jetzt, bei biometrischer Überwachung an den kritischen Punkten anzusetzen und mit einer klaren nationalen Regelung einen entschiedeneren Standard einzuziehen." Der Text des AI Act erlaubt nationalen Regierungen, schärfere Bedingungen für den Einsatz von KI bei Einsatzszenarien für die nationale Sicherheit vorzusehen.

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Weitere Stimmen zum AI Act am Ende der Meldung ergänzt.

(emw)