DAK-Studie zeigt: Coronakrise hat Kinder in die Mediensucht getrieben

Die Mediensucht bei Kindern stieg infolge der Coronazeit. Das geht aus einer Studie der DAK und des UKE hervor. Experten fordern Prävention und Aufklärung.

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Kinder am Laptop

(Bild: Dragon Images/ Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
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Eine Längsschnittuntersuchung der DAK-Gesundheitskasse und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hat bundesweit die digitale Mediennutzung von 1.200 Familien untersucht. Demnach hat die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland seit der Pandemie zugenommen. Ein Viertel der Minderjährigen nutzen soziale Medien riskant – definiert nach der aktuellen "internationale[n] statistische[n] Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme", ICD-11. Das entspricht einer Steigerung auf 1,3 Millionen Mädchen und Jungen, womit sich die Zahl der Betroffenen gegenüber 2019 verdreifacht hat.

Seit 2019 ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit übermäßigem Social-Media-Konsum rasant gestiegen.

(Bild: DAK Gesundheit)

Für die pathologische Nutzung, die nach ICD-11 mit "Kontrollverlusten" und der "Verschiebung von Priorisierungen" einhergeht, wurde seit 2019 ebenfalls ein Anstieg festgestellt (90 Prozent), der inzwischen aber wieder rückläufig ist. Während die Probleme bei sozialen Medien zunehmen, gibt es beim Gaming und Streaming positive Entwicklungen, wie rückläufige Nutzungszeiten und eine geringere Anzahl Minderjähriger mit Suchtkriterien, erklärte DAK-Chef Andreas Storm auf der Pressekonferenz am Montag dieser Woche. Die Angaben beruhen auf Selbstauskünften, die Forsa erhoben hat.

"Soziale Medien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wir brauchen aber mehr Aufklärung über Reiz und Risiken von Instagram oder TikTok sowie zusätzliche Präventionskampagnen und Hilfsangebote für Betroffene", sagte Storm. "Dazu ist es erforderlich, dass die Medienkompetenz für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern gefördert wird. Dabei müssen unsere Schulen eingebunden werden. Ich bin überzeugt, dass der negative Trend gemeinsam gestoppt werden kann, wenn im Kampf gegen die Mediensucht Gesundheits-, Familien- und Bildungspolitik an einem Strang ziehen."

Bei den auffälligen Nutzerinnen ist es so, dass sie "stärkere Ausmaße an Depressivität, an Angst und Stressbelastung zeigen und auf der anderen Seite weniger Fähigkeiten, Emotionen, insbesondere ungute Emotionen, wie Anspannung, Angst, Wut, aus eigenen Kräften heraus zu regulieren", erklärte Storm. Außerdem würden die Kinder verminderte Achtsamkeitsfunktionen aufweisen. Die Eltern der betroffenen Kinder seien zudem unzufriedener mit der Kommunikation innerhalb der Familien als die Vergleichsgruppe, in der die Mediennutzung unproblematisch ist.

"Psychisch belastete Jugendliche neigen oftmals vermehrt zu problematischem Nutzungsverhalten bei sozialen Medien", unterstrich Prof. Rainer Thomasius, Studienleiter und Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am UKE Hamburg. "Gleichzeitig führt die übermäßige Nutzung jedoch zu neuen Problemen und erhöhten psychischen Belastungen – es entsteht ein Teufelskreis. Eine exzessive Mediennutzung führt oft zu Kontrollverlust mit weitreichenden Folgen". Die Gefahr dabei sei unter anderem ein "Stillstand in der psychosozialen Reifung", so Thomasius. Laut Studie ist jeder vierte bis fünfte Elternteil aufgrund der Mediennutzung des Kindes besorgt. Zudem sehe sich fast jeder dritte Elternteil bei dem Thema nicht als Vorbild.

"Die Ergebnisse zeigen leider deutlich, dass die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland während und nach der Corona-Pandemie erheblich zugenommen hat", erklärte Dr. Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärztinnen e.V. (BVKJ). Mit den Maßnahmen während der Coronakrise habe man "genau das von ihnen gefordert, was wir jetzt kritisch begleiten". Die Lebensräume der Kinder seien komplett in die digitale Welt verschoben worden, "sowohl für die Schule als auch für die sozialen Kontakte", gab Hubmann zu bedenken.

In der Folge habe ein Teil der Kinder schon früh Waschzwänge und durch die fehlende Bewegung Adipositas entwickelt, was den Rückzug in die sozialen Medien in vielen Fällen noch verstärkt hätte. "Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken. [...] Ein Mediensuchtscreening in der Kinder- und Jugendarztpraxis kann dabei unterstützen, eine riskante Nutzung von Computerspielen und Social Media frühzeitig zu erkennen". Die DAK-Gesundheitskasse ermöglicht die Untersuchungen zur Früherkennung von Mediensucht derzeit in fünf Bundesländern.

Kinder zwischen 10 und 17 Jahren nutzen digitale Medien täglich ungefähr zwei Stunden.

(Bild: DAK Gesundheit)

Für die Kinder, die vermehrt im Internet unterwegs sind, fördern Krankenkassen wie die DAK das während der Corona-Zeit gestartete Projekt "Krisenchat", eine Anlaufstelle für Kinder, die während der Coronakrise beispielsweise Opfer von häuslicher Gewalt wurden. Dort beraten ehrenamtliche Psychologen und Sozialpädagogen Kinder und junge Erwachsene bis 25 Jahre. "Wir sind zum Beispiel bei Instagram, TikTok, YouTube, aber auch auf Gaming-Plattformen wie Reddit, Discord und Twitch unterwegs". In einer Lebenswelt, "in der sich die jungen Menschen aktuell rund zwei bis vier Stunden pro Tag aufhalten", erklärt Melanie Eckert, Mitgründerin von Krisenchat.

Bei der Frage zu einem generellen Smartphone-Verbot an Sekundarschulen sind sich die Experten uneins, ein Smartphone-Verbot an Grundschulen befürworten jedoch alle. Schwierig seien Extreme, sagte Hubmann – etwa, wenn ein 13-Jähriger als einziger aus der Klasse kein Smartphone nutzen darf. Eltern seien mit übermäßiger Kommunikation in Eltern-WhatsApp-Gruppen allerdings kein gutes Vorbild. "Ich glaube, wir müssen da ganz, ganz viel auch an uns selber arbeiten", so Hubmann. Auch Eltern sollten ihr Smartphone mal zur Seite legen. Die Experten fordern abschließend mehr Aufklärung über Mediensucht und zusätzliche Präventions- und Hilfeangebote für betroffene Familien.

Um Gefahren zu verringern, die von den sozialen Medien ausgehen, sei es laut Storm wichtig, dass auch die Anbieter von Social-Media-Plattformen in die Verantwortung genommen werden. Das ist mit der Verabschiedung des Digital Services Act auf EU-Ebene im vergangenen Jahr bereits passiert. Da komme es jetzt auf die Umsetzung an. Die Plattformen müssen dafür die neuen Anforderungen an den Jugendschutz erfüllen und Algorithmen transparent machen. Erst vor wenigen Tagen hatte die EU-Kommission aus diesen Gründen eine Untersuchung gegen Tiktok eingeleitet.

(mack)