Digitalfunk: Tetra im Osten, XXX im Westen

In den derzeit weltgrößten und modernsten Tetra-Leitstand zu Warschau lud der Tetra-Lieferant Motorola Journalisten ein, sich von den polnischen Fortschritten zu überzeugen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 134 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Seit kurzer Zeit ist Deutschlands Ostgrenze nicht mehr die Demarkationslinie, die gemäß dem Abkommen von Schengen die EU nach Osten hin absichert. Nach und nach gehen die Aufgaben der Grenzsicherung auf die neuen EU-Mitgliedstaaten wie Polen und Slowakei über. Polen, das größte und bevölkerungsreichste Land unter den Neuankömmlingen im Haus Europa, setzt dabei für seinen Grenzschutz, die Polizei und andere "Blaulichtdienste" auf den Funkstandard Tetra, der bereits in Stettin, Krakau, Lodz und Warschau das alte analoge Behördenfunknetz abgelöst hat. In den derzeit weltgrößten und modernsten Tetra-Leitstand zu Warschau lud der Tetra-Lieferant Motorola Journalisten ein, sich von den polnischen Fortschritten zu überzeugen. Denn wenn zum Jahresende Tetra in Polen landesweit eingeführt ist, wird die deutsche Ostgrenze zur Demarkationslinie zwischen veraltetem deutschen Analogfunk und dem digitalen Daten- und Sprachsystem der polnischen Sicherheitsbehörden.

Nachdem sich Bundesinnenminister Otto Schily am 7. Juli auf einer Pressekonferenz vom ursprünglichen Ziel offiziell verabschiedet hat, bis zur Fußball-WM 2006 den digitalen Funk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zu installieren, ist die Unruhe groß, sind Einzelaktionen angesagt. So erklärte das Bundesland Nordrhein Westfalen, Tetra womöglich in eigener Regie über die bisher bediente Region Aachen hinaus einzuführen. Den Tetra-Anbietern wie Motorola oder Nokia ist das eher unlieb. Sie setzten auf den Start des so genannten systemoffenen Vergabeverfahrens noch im 4. Quartal 2004. Dann wird sich Deutschland zwischen Tetra, dem von EADS angebotenen Tetrapol und einer Vodafone-Lösung auf Basis des herkömmlichen GSM-Netzes zu entscheiden haben. Die Auftragsvergabe könnte dann im 2. Quartal 2006 erfolgen, und 2012 würde dann das deutsche Digitalfunknetz stehen können.

Der weit herausgeschobene Start wird im Tetra-Lager realistisch gesehen: "Unsere Behörden stehen praktisch unter einem Toll-Collect-Schock", erklärte Norbert Quinkert, Vorsitzender der Geschäftsführung der Motorola GmbH. Sie betreibt von Berlin aus die weltweite Tetra-Fabrikation und ist der Sicherheitsfunk-Ausrüster der olympischen Sommerspiele in Athen. "Ich habe schon meine amerikanischen Kollegen gewarnt, dass uns die deutschen Behörden mit Verträgen an die Wand nageln werden, in denen es von Haftungsfragen nur so wimmelt."

Abseits der deutschen Probleme ist man in Polen stolz auf das moderne Funknetz. Im Unterschied zu dem geplanten Netz in Deutschland und dem bestehenden Virve-Netz in Finnland wird der BOS-Funk nicht von einer privaten Firma betrieben und angemietet. Wie in den Niederlanden bleibt alles in der Hand des Innenministeriums. Erhebliche EU-Zuschüsse für die neue Ostgrenze sind mit dafür verantwortlich, dass keine Public Private Partnership (PPP) gesucht werden muss. Die polnische Vorzeige-Installation in Warschau ist schon eine halbe Generation weiter, weil in den Streifenwagen und in vielen Handfunkgeräten GPS eingebaut ist. Die Position der verfügbaren Einsatzkräfte wird damit automatisch auf der CAD-Karte der sieben Polizeibezirke von Warschau angezeigt, eine Funktion, die in Deutschland von der Gewerkschaft der Polizei abgelehnt wird, da die Beamten quasi überwacht werden. Bei der noch nicht umgerüsteten Feuerwehr werden neben GPS Sensoren getestet, die Puls und Blutdruck des Trägers messen, damit der Feuerwehrmann zurückgerufen werden kann, falls er zu kollabieren droht.

In Warschau decken fünf Tetra-Basistationen eine Fläche von 6122 Quadratkilometer ab, bewohnt von 2,6 Millionen Menschen. Neben Tetra ist hier noch ein älteres EDACS-System von Ericsson im Einsatz, das ebenfalls von der neuen Leitstelle gesteuert wird. In Spitzenzeiten wie dem unlängst in Warschau abgehaltenen Weltwirtschaftsforum kann die Leitstelle von 35 Arbeitsplätzen aus 14.500 Einsatzkräfte koordinieren. (Detlef Borchers) / (anw)