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Batteriesysteme der Zukunft

Quantensprünge

Elektroautos Christoph M. Schwarzer
Elektroautos, alternative Antriebe

Der hohe Wirkungsgrad ist eine der Trumpfkarten von Batterie-elektrischen Autos. Zukünftige Batteriesysteme aber werden nach heutigem Wissensstand einen schlechteren Wirkungsgrad haben. Der Verlust steigt

Hamburg, 9. Februar 2015 – Der hohe Wirkungsgrad ist eine der Trumpfkarten von batterie-elektrischen Autos. Teil des effizienten Antriebsstrangs ist der Energiespeicher: mehr als 95 Prozent des Stroms, der in aktuelle Lithium [1]-Ionen-Batterien geladen wird, kommt auch wieder heraus. In der energetischen Gesamtbetrachtung von der Quelle zum Rad, im Szenejargon nur Well-To-Wheel genannt, ist die Zellchemie damit ein wichtiger Baustein. Zukünftige Batteriesysteme aber werden nach heutigem Wissensstand einen schlechteren Wirkungsgrad haben. Der Verlust steigt.

Die Autoindustrie reserviert für die Batterie zurzeit einen Bauraum von rund 250 Litern in der Kompaktklasse. Dieses Volumen muss mit möglichst vielen Kilowattstunden Speicherkapazität bei möglichst wenig Gewicht und geringen Kosten gefüllt werden. Wissenschaft und Entwickler unterscheiden hier zwischen der volumetrischen und der gravimetrischen Energiedichte – eine Abgrenzung, die noch wichtig werden wird.

Darüber hinaus muss in der Diskussion getrennt werden zwischen den Werten für die einzelne Zelle, die meist entweder zylindrisch („18650er“) oder flach und eckig als Pouch Bag (frei übersetzt etwa: Tüte) geformt ist, sowie den niedrigeren Werten für das gesamte Batteriesystem inklusive Halterungen, Sicherung und Kühlung. BMW zum Beispiel nutzt bei den i-Modellen Zellen von Samsung SB LiMotive. Die Paketierung und Zusammenstellung macht BMW selbst; eine Arbeitsteilung zwischen Lieferant und Hersteller, die sich durchgesetzt hat. Bei BMW verweist man stolz darauf, das System bei Verschleiß nicht komplett tauschen zu müssen, wie es viele anderen Marken der Fall ist, sondern einzelne defekte Module gezielt ersetzen zu können.

Verdoppelung auf Basis der aktuellen Zellchemie

„Bis 2025 werden wir auf Basis der aktuellen Zellchemie noch erhebliche Fortschritte erreichen“, ist sich Dr. Peter Bieker, Forscher am MEET (Münster Electrochemical Energy Technology) sicher. Zum einen, weil sich die Lithium-Ionen-Zellchemie selbst evolutionär verbessert. Zum anderen, weil es jetzt Erfahrungswerte gibt und den Batterien immer mehr zugemutet wird: So steigt die Kapazität auch an, weil das Ladefenster nicht mehr von 20 bis 90 Prozent des Ladestands reicht, sondern ausgeweitet wird, zum Beispiel von 10 bis 95 Prozent. Ein wichtiger Faktor ist außerdem, dass die Zellen enger zusammengebaut werden. In der Folge ist weniger Material für das Drumherum notwendig – die Energiedichte steigt.

Bei BMW ist man zuversichtlich, die Energiedichte „in der nächsten Fahrzeuggeneration“ um 80 bis 100 Prozent zu vergrößern. Entsprechend wächst die Reichweite. Was und wann genau diese nächste Generation zu erwarten ist, wird nicht veröffentlicht. Es ist aber kein Geheimnis, dass Volkswagen beim e-Golf ebenfalls an über 40 statt aktuell 24 Kilowattstunden Kapazität denkt. Auch Nissan, wo die Ablösung des Leaf oder zumindest eine Überarbeitung ansteht, lässt eine ungefähre Verdoppelung durchblicken. Das alles wird vor 2020 passieren. Vielleicht schon 2016.

Für alle Kurz- und Pendelstrecken ist die Kapazität also unter wirklich allen Bedingungen ausreichend. Also selbst dann, wenn es kalt ist, wenn über die Autobahn zur Arbeit gefahren wird oder bei verschleißender Batterie. Sobald die Kapazität bei 70 bis 80 Prozent des Ursprungs angekommen ist, gilt sie als für den Traktionszweck defekt. Danach folgt der ReUse als stationärer Speicher. Das Ziel aber bleibt, weitere Fahrten in größeren Autos mit leichteren und preisgünstigeren Akkus zu ermöglichen.

In Zukunft sinkt der Wirkungsgrad

„Auf Basis der Lithium-Ionen-Zellchemie halte ich eine Steigerung der Energiedichte von 150 auf über 350 Wattstunden pro Kilogramm für möglich“, fasst Wissenschaftler Bieker zusammen. Eigentlich beginnt sein Forschungsgebiet erst dort, wo die heutige Technik ausgereizt ist. Also bei Lithium-Schwefel oder Lithium-Luft-Zellen. Die interessieren Bieker am meisten. Dass er in Zeiträumen von mehr als zehn Jahren denkt, liegt in der Natur der Grundlagenforschung. Und es bedeutet, dass jede theoretisch viel versprechende Zukunftszellchemie in der Gegenwart noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat.

Eine Lithium-Schwefel-Kombination etwa ist für gravimetrische Energiedichten von über 400 Wattstunden pro Kilogramm (Wh/kg) gut. Allerdings ist der volumetrische Wert nicht besser als bei den aktuellen Batterien. Positiv formuliert heißt das also: Mit dieser Zellchemie wären die Stromautos leichter, was zumindest im Fall konventioneller Karosserien wie beim Volkswagen e-Golf ein Vorteil wäre. Der wiegt rund 400 Kilogramm mehr als ein TSI. Bisher schaffen die Lithium-Schwefel-Zellen im Laborbetrieb nur 200 bis 300 Lade- und Entladezyklen. Und der Wirkungsgrad liegt bei lediglich 70 bis 80 Prozent.

Revolution durch Lithium-Luft-Zellen

Noch höher sind die Verluste bei Lithium-Luft-Zellen. Je nach Ausführung geben sie nur gut 30 oder gut 50 Prozent von der Energie wieder ab, die sie aufnehmen. Trotzdem ist der Ehrgeiz hier besonders hoch, weil das Entwicklungspotenzial extrem ist. „Funktionierende Versuchszellen kommen auf deutlich über 1000 Wattstunden pro Kilogramm“, so Peter Bieker. Noch mehr ist möglich.

Die Schwierigkeiten liegen in der Zyklenfestigkeit – nur wenige Dutzend Umläufe werden zurzeit erreicht – sowie in der Frage, welchen Sauerstoff man nutzt. In der Atemluft liegt der Anteil nur bei rund einem Fünftel, was den Wirkungsgrad auf die genannten gut 30 Prozent drückt. Nutzt man reinen Sauerstoff, der in Flaschen mitgeführt wird, steigt der Wert auf über 50 Prozent.

Dennoch wären Lithium-Luft-Zellen „keine Evolution, sondern eine Revolution“, sagt Dr. Peter Bieker, und die Begeisterung in seiner Stimme ist spürbar. Bei aller Freude über die Fortschritte im Jetzt ist klar, dass „zu viel vom raren Bauraum im Auto durch inaktive Materialien eingenommen werden“, so Bieker. Nur ein Prozent des Gewichts wäre heute Lithium, „der Rest ist Verpackung“, und das bedeutet ein hohes Verbesserungspotenzial. An eine Serienproduktion ist trotzdem noch lange nicht zu denken; niemand weiß, wann es so weit sein könnte. Nur, dass es kaum in den nächsten zehn Jahren sein wird.

Bis dahin ist die Reichweite von E-Autos vor allem für Pendler und den Kurzstreckenbetrieb groß genug. Wie viele der 43 Millionen in Deutschland zugelassenen Autos fahren selten mehr als 100 Kilometer? Im Ersatz dieser Fahrzeuge liegt die beste Chance für den Erfolg Batterie-elektrischer Autos. Dazu muss sich nur ein Faktor stark verbessern: Der Preis.


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