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Dass GM auf Kosten der Sicherheit sparte, blieb lange unerkannt. Systembedingt

Das Zündschloss als Drehtür

Klartext Clemens Gleich
Mary Barra in hearing

General Motors hat ein Pfennig-Bauteil-Problem über zehn Jahre lang verschleppt. Durch Zufall kam es jetzt in die Medien, als Beispiel, was in einer Konzernkultur der Menschenverachtung selbstverständlich ist

General Motors steht derzeit unter berechtigtem Beschuss wegen seiner über zehn Jahre verschleppten Zündschloss-Problematik in vielen Modellen (Liste hier [1]). Die Rastpunkte sind zu weich, sodass sich der Schlüssel während der Fahrt auf die Stellungen Off oder Accessory bewegen kann. Die Zündung geht dann aus, und mit ihr Servolenkung, Bremskraftunterstützung, sowie alle elektronisch gesteuerten Fahrsicherheitssysteme inklusive Airbags. GM selbst gibt 13 Verkehrstodesfälle zu, in denen diese Probleme eine Rolle gespielt haben, US-Gerichte prüfen 14 zusätzliche Fälle. Blickt man unter diesen zusammenfassenden Verband, kommt der übliche schwärende Morast zum Vorschein, der das Management-Fundament großer Autofirmen weltweit bildet.

Der schlagzeilentaugliche Aufreger in Amerika ist gerade, dass es GM einen knappen Dollar mehr [2] gekostet hätte, ein gescheites Zündschloss zu verbauen. Erinnerungen an Fight Club werden wach, weil der Film Fords ähnliche Einstellung bei der Pinto-Hinterachse zitiert. Weiters wusste GM genau, was ein gescheites Zündschloss ausmacht: Ihr eigenes Pflichtenheft definierte die Eigenschaften, die einzuhalten seien. Ihr Zulieferer Delphi warnte [3] sogar, dass die bestellte Ware nicht den GM-eigenen Anforderungen entspricht. Es interessierte nur offenbar keinen Entscheider. Die Behörden (zuständig ist die NHTSA) erhielten [4] ebenfalls alle Daten, die sie sich wünschen konnten. Sie reagierten jedoch nicht. Entschuldigend gab ein Kenner zu Protokoll, dass NHTSA-Beamte ja nach ihrer Behördenlaufzeit gerne die Drehtür nehmen und bei einem Autohersteller anheuern möchten. Da drückt man dann eben lieber zwei Augen fest zu.

In den Lebenslauf: „Hobby: Menschenverachtung“

Prinzipiell ist das bei uns im Land der perfektionierten Drehtüre nicht anders, obwohl ich persönlich dem KBA mehr Vertrauen entgegenbringe als der NHTSA, weil wir einige echte Wadenbeißer dort haben. Das sind jedoch Einzelpersonen. Das System ist die Drehtür. Es gibt in jedem Autoherstellerland das schön warme Gefühl: „Wir sitzen doch alle in einem Boot!“ Dabei sind „wir“: Politiker, die sich das Wohl des Arbeitsmarktes auf die Fahnen schreiben. Manager, die ihre Industrie genauso lieben, wie sie ihre Kunden verachten. Kunden, die sich selbst verachten. Und schließlich Journalisten, die das Berichterstattungsobjekt Hersteller als ihren Kunden betrachten statt den Leser, der in diesem System nur eine quantitative Kennziffer bleibt. In einem solchen System ist es nur verwunderlich, dass wir überhaupt von GMs Drehtür-Zündschloss gehört haben. Wir dürfen davon ausgehen, dass es nur ein eher typisches Beispiel einer Kultur ist, für die Menschenverachtung das Hobby ist, das auf der Bewerbung die besten Chancen auf Einstellung im Management schafft.

Es scheint zum Beispiel allen Beteiligten selbstverständlich, dass sich Mary Barra im Feuer der Kritik windet. Immerhin ist sie CEO dieses Sauhaufens. Aber wer war denn CEO des Sauhaufens, als das labbrige Zündschloss gebaut wurde, wessen Unternehmenskultur hat genau so etwas gefördert? Eigentlich müssten wir ein paar Interviews mit Rick Wagoner hören. Aber da ist nur die zufriedene Stille eines millionenschwer in die Frührente verabschiedeten Verschwenders von Milliarden. Wagoner war so scheiße, dass es das Weiße Haus zur Bedingung des GM-Bailouts machte, dass er die Firma verlässt. Und nur, falls sich jemand nicht mehr so recht an den lieben Rick erinnert: Er war einer von den drei Karikaturmotiven des Jahres 2008, die mit jeweils einem Firmenjet zu den Bailout-Anhörungen der fassungslosen US-Behörden flogen.

Menschenverachtungs-Hobbyisten haben ein großes Hallo daraus gemacht, dass Barra eine Frau ist. Sollte die nicht lieber Sandwiches schmieren? Der fehlt doch jede Menschenver... Management-Kultur! Für Autofreunde war jedoch etwas ganz Anderes die Top-Priorität: Barra kommt aus dem Ingenieurswesen. Wir können daher ganz andere sinnvolle Ansprüche an sie stellen, denn wahrscheinlich versteht sie mehr und verachtet weniger. Komm schon, Mary, es langt nicht, verklausulierend vom „Old GM“ zu sprechen. Ruf den Rick nebst seinen alten Kumpels an, damit sie mit dir gemeinsam im Kreuzverhör grillen. Ruhig großzügig streuen mit den Anrufen, es trifft keine Falschen.

Autojournalisten auf dem Grillfest

Gegrillt werden sollten auch die Vertreter der Presse. Anlässlich des aufgerollten Debakels erzählt [5] gerade jemand, wie damals auf der Präsentation des Chevrolet Cobalt mehrfach das Fahrzeug ausging, mit spürbarem Verlust an Lenk- und Bremsunterstützung. Er fand sogar die Ursache: Der Schlüsselanhänger mit dem Funköffner zog den Schlüssel herum, weil ihn die schwachen Rastungen nicht hielten.

Ich behaupte, dass er sicher nicht der einzige Testfahrer war, der das merkte. Wider unseren Ruf merken Manche von uns doch noch manchmal ein bisschen was. Aber so richtig geschrieben hat es halt keiner, denn der Autohersteller, das ist ja einer von uns, während GM-Kunden nur Leser sind, also ein Messwert, den es unserem eigentlichen Kunden GM schönstens zu präsentieren gilt. Wenn für eine tolle Präsentation die Nummer um 29 kleiner werden muss, dann ist das natürlich ein bisschen schade für den Kunden, aber doch sicher kein Grund, ihn gleich durch realitätsnahe Berichterstattung zu vergraulen.

Die ewige Diskussion über „was sollen Journalisten heute sein/tun/darstellen?“ geht uns allen unendlich auf die Eier, weil die richtige Antwort genauso offensichtlich ist wie die Zwänge, die ihre Umsetzung verhindern. Journalisten sollten heute wie früher, wie immer, Leuten auf die Nerven gehen, um Lesern einen Wert zu bieten, zum Beispiel Unterhaltung oder potenziell lebensrettende Kritik. Sie können diese Arbeit nur so schlecht tun, wie sie passiert, weil die Verlage von der Finanzierung der Autohersteller abhängig sind, über die sie berichten. In jedem anderen Gebiet würde eine derart offensichtliche Befangenheit stark diskutiert werden. Bei uns ist sie dagegen normal. Deshalb, liebe Ursprünge des Messwerts: Ich bin gerade auf einer Präsentation bei Honda. Erwarten Sie nicht von mir, dass ich Ihnen am Produkt meines Kunden potenziell lebensgefährliche Probleme verrate. Ich muss mir die Drehtür nach Hamamatsu geschmeidig halten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2164538

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.gm.com/ignition-switch-recall.html
[2] http://www.reuters.com/article/2014/04/02/us-gm-recall-delphi-idUSBREA3105R20140402
[3] http://www.usatoday.com/story/money/cars/2014/03/30/gm-ignition-switches-recall-congressional-report/7085919/
[4] http://www.mlive.com/auto/index.ssf/2014/03/official_documents_paint_unset.html
[5] http://www.npr.org/2014/03/31/297312252/the-long-road-to-gms-ignition-switch-recall