Dass GM auf Kosten der Sicherheit sparte, blieb lange unerkannt. Systembedingt

Das Zündschloss als Drehtür

General Motors hat ein Pfennig-Bauteil-Problem über zehn Jahre lang verschleppt. Durch Zufall kam es jetzt in die Medien, als Beispiel, was in einer Konzernkultur der Menschenverachtung selbstverständlich ist

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Mary Barra in hearing 4 Bilder
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Von
  • Clemens Gleich
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General Motors steht derzeit unter berechtigtem Beschuss wegen seiner über zehn Jahre verschleppten Zündschloss-Problematik in vielen Modellen (Liste hier). Die Rastpunkte sind zu weich, sodass sich der Schlüssel während der Fahrt auf die Stellungen Off oder Accessory bewegen kann. Die Zündung geht dann aus, und mit ihr Servolenkung, Bremskraftunterstützung, sowie alle elektronisch gesteuerten Fahrsicherheitssysteme inklusive Airbags. GM selbst gibt 13 Verkehrstodesfälle zu, in denen diese Probleme eine Rolle gespielt haben, US-Gerichte prüfen 14 zusätzliche Fälle. Blickt man unter diesen zusammenfassenden Verband, kommt der übliche schwärende Morast zum Vorschein, der das Management-Fundament großer Autofirmen weltweit bildet.

Der schlagzeilentaugliche Aufreger in Amerika ist gerade, dass es GM einen knappen Dollar mehr gekostet hätte, ein gescheites Zündschloss zu verbauen. Erinnerungen an Fight Club werden wach, weil der Film Fords ähnliche Einstellung bei der Pinto-Hinterachse zitiert. Weiters wusste GM genau, was ein gescheites Zündschloss ausmacht: Ihr eigenes Pflichtenheft definierte die Eigenschaften, die einzuhalten seien. Ihr Zulieferer Delphi warnte sogar, dass die bestellte Ware nicht den GM-eigenen Anforderungen entspricht. Es interessierte nur offenbar keinen Entscheider. Die Behörden (zuständig ist die NHTSA) erhielten ebenfalls alle Daten, die sie sich wünschen konnten. Sie reagierten jedoch nicht. Entschuldigend gab ein Kenner zu Protokoll, dass NHTSA-Beamte ja nach ihrer Behördenlaufzeit gerne die Drehtür nehmen und bei einem Autohersteller anheuern möchten. Da drückt man dann eben lieber zwei Augen fest zu.

In den Lebenslauf: „Hobby: Menschenverachtung“

Prinzipiell ist das bei uns im Land der perfektionierten Drehtüre nicht anders, obwohl ich persönlich dem KBA mehr Vertrauen entgegenbringe als der NHTSA, weil wir einige echte Wadenbeißer dort haben. Das sind jedoch Einzelpersonen. Das System ist die Drehtür. Es gibt in jedem Autoherstellerland das schön warme Gefühl: „Wir sitzen doch alle in einem Boot!“ Dabei sind „wir“: Politiker, die sich das Wohl des Arbeitsmarktes auf die Fahnen schreiben. Manager, die ihre Industrie genauso lieben, wie sie ihre Kunden verachten. Kunden, die sich selbst verachten. Und schließlich Journalisten, die das Berichterstattungsobjekt Hersteller als ihren Kunden betrachten statt den Leser, der in diesem System nur eine quantitative Kennziffer bleibt. In einem solchen System ist es nur verwunderlich, dass wir überhaupt von GMs Drehtür-Zündschloss gehört haben. Wir dürfen davon ausgehen, dass es nur ein eher typisches Beispiel einer Kultur ist, für die Menschenverachtung das Hobby ist, das auf der Bewerbung die besten Chancen auf Einstellung im Management schafft.

Es scheint zum Beispiel allen Beteiligten selbstverständlich, dass sich Mary Barra im Feuer der Kritik windet. Immerhin ist sie CEO dieses Sauhaufens. Aber wer war denn CEO des Sauhaufens, als das labbrige Zündschloss gebaut wurde, wessen Unternehmenskultur hat genau so etwas gefördert? Eigentlich müssten wir ein paar Interviews mit Rick Wagoner hören. Aber da ist nur die zufriedene Stille eines millionenschwer in die Frührente verabschiedeten Verschwenders von Milliarden. Wagoner war so scheiße, dass es das Weiße Haus zur Bedingung des GM-Bailouts machte, dass er die Firma verlässt. Und nur, falls sich jemand nicht mehr so recht an den lieben Rick erinnert: Er war einer von den drei Karikaturmotiven des Jahres 2008, die mit jeweils einem Firmenjet zu den Bailout-Anhörungen der fassungslosen US-Behörden flogen.