zurück zum Artikel

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV (erster Teil)

Eigener Weg

Technik Florian Pillau
Klassiker

Was ein Citroën 2CV ist, wissen Sie? 25 Jahre nach Produktionsende konnten Sie gerade die gleichen Nachrufe lesen, wie sie letztes Jahr zum 65. Produktionsjubiläum erschienen sind. Das wollen wir gern zum Anlass nehmen, Sie nicht schon wieder mit dem „Regenschirm auf Rädern“ amüsieren zu wollen

Was ein Citroën 2CV ist, wissen Sie? Heute, 25 Jahre nach Produktionsende, konnten Sie wieder die gleichen, fast immer geistreichen Nachrufe lesen, wie sie bereits letztes Jahr zum 65. Produktionsjubiläum erschienen sind. Diese Häufung wollen wir gern zum Anlass nehmen, Sie nicht schon wieder mit dem „Regenschirm auf Rädern“ amüsieren zu wollen. Eine der vielen, oft grotesken Anekdoten aus Studenten- und anderen Zeiten über dieses Auto werden wir ihnen hier auch nicht bieten.

Die meisten dieser Geschichten entspringen einer Reihe von Missverständnissen, gespeist aus dem Kardinalfehler, nach dem geringen Kaufpreis weiter eisern sparen zu wollen – an der nicht teuren, aber aus guten Gründen alle 7500 Kilometer fälligen Wartung. Ambitionierte Reparaturanmaßungen freier Werkstätten oder Do-it-yourself-Versuche an nicht verstandener Technik trugen ein Übriges zu einem gewissen Argwohn gegenüber „Französischer Ingenieurskunst“ bei, die in diesem aber gar nicht so typisch französisch sondern vielmehr ein Ergebnis einer besonderen Firmenkultur war – ein weiteres Missverständnis.

Risikoarm-stromlinienförmige Quasi-Standards

Statt für immer neue Erlebnisse mit einem ungewöhnlichen Produkt interessieren wir uns vielmehr dafür, warum ein Auto wie der 2CV damals einerseits gewissermaßen in der Luft lag und andererseits als Produkt wirklich typisch französisch ist. Beides zeigt sich bis ins kleinste Konstruktionsmerkmal, ein Phänomen, das es in Zeiten der Globalisierung so nicht mehr geben kann. Damit meinen wir jetzt nicht, dass inzwischen alle Straßen nahezu perfekt geworden sind, sondern vielmehr die Denkschemata, die sich weltweit durchgesetzt haben und so zu einer Menge risikoarm-stromlinienförmiger Quasi-Standards für festangestellte Ingenieure und damit zu konvergierenden Konzepten im Automobilbau geführt haben.

Unter Konstruktionsmerkmalen verstehen wir weniger so offensichtlich Skurriles wie das Stoffach über die gesamte Länge und Breite, die bereits damals altertümlichen frei stehenden Scheinwerfer oder die Lüftungsklappe unter der Windschutzscheibe.

Wer nach solchen Anhaltspunkten oberflächlich urteilte und rückständige Technik vermutete, kaufte lieber ein optisch ansprechenderes Produkt – es gab ja bereits seit 1946 den Renault 4CV, der neben seinen optischen Vorteilen auch mehr Leistung bot – allerdings deutlich weniger radikale, in Vielem sogar rückständige Technik. Gemeint die schon damals als fahrdynamisch bedenklich geltende Kombination von Heckmotor und Pendelachse, wie sie in Deutschland viele Volkswagenfahrer „aus heiterem Himmel“ verunglücken ließ. Sie blieb zumal für Porsche lange Zeit eine Herausforderung, die Heckzicken-911er wurden ein Mythos der Automobilgeschichte.

Zero Clearance Joints wie in der Renntechnik

Um wie viel vernünftiger war da schon aus Sicherheitsaspekten das Fahrwerk des 2CV. Je zwei lange Schwingen – vorn geschoben, hinten gezogen – ließen weder Spur- noch Sturzänderungen zu. Da sie sich in je zwei Kegelrollenlagern mit Untertassen-Durchmesser bewegten, war zudem jeglicher elastokinematische Einfluss ausgeschlossen. Exakter kann man ein Rad nicht führen. Aus dem gleichen Grund setzt heute übrigens jeder Rennwagen-Konstrukteur statt der im Serienbau üblichen Gummi/Metall-Lagerungen durchweg nur spielfreie Gelenke, sogenannte „Zero Clearance Joints“ ein. Eine derlei enge Verwandtschaft zur Rennwagentechnik wird sich noch an einigen weiteren Stellen am Fahrwerk, der Bremsanlage und sogar im Motor zeigen.

Gleichzeitig verhinderten extrem weite Federwege in den Dimensionen eines aktuellen Dakar-Racers, dass ein einzelnes Rad so weit entlastet werden kann, dass es den Bodenkontakt verliert. Antriebs- Lenk- und Bremskräfte konnten so auch auf schlechtesten Fahrbahnen länger sicher übertragen werden als bis dahin üblich. Der 2CV bekam daher als eines der ersten Autos eine Leuchtweitenregulierung, wie sie erst seit seit dem 1. Januar 1990 Pflicht für alle EU-Fahrzeuge wurde.

Selbst mit bewusst gefährlichen Fahrmanövern war da selbst aus voller Fahrt (bis 110 Sundenkilometern) nichts zu reißen – das Auto geriet allenfalls ins Schleudern. (Kenner wissen aber: Im Rückwärtsgang kann man einen 2CV tatsächlich umwerfen). Das kurveninnere Hinterrad hob es allenfalls mal, wenn man bei etwa 6000/min bei größtmöglicher Kurvengeschwindigkeit vom Gas ging. Dann stellte sich der Wagen leicht an und bremste sich erbärmlich qietschend selbst ab.

Bei einer nicht mal halb so langhubigen Federung tauchen zeitgemäße amerikanische Straßenkreuzer beim Verzögern vorn tief ein – ein 2CV mit funktionierenden hinteren Bremsen aber bleibt selbst bei einer Vollbremsung waagerecht. Auch das ist eine segensreiche Wirkung der Fahrwerkskonstruktion. Während sich die rotatorischen Bremskräfte vorn an den Schwingen nach unten abstützen, ist es hinten genau anders herum. Heute sagt man „Anti Dive“ zu diesem aktiven Bremsnickausgleich. Dass das Auto übrigens trotz seiner weichen Federung nicht aufschaukeln konnte, wurde anders erreicht – wie, erklären wir später.

Anti Dive als Serienstandard

Wir begannen mit der Sicherheit, doch dachte man in dem 1937 gestarteten Projekt TPV (Toute Petite Voiture) zunächst viel eher an Frankreichs im europäischen Vergleich untertechnisierte Landwirtschaft (das ist sie im Vergleich mit der deutschen, deutlich stärker industrialisierten Argrarproduktion auch heute noch) und seine damaligen Kolonien. Damals hatten sie noch ein Vielfaches der Fläche Frankreichs, waren aber fast unerschlossen für normale Autos. Offenbar gab es in diesem Projekt keinerlei Denkverbote – und wenn doch, dann betrafen sie allenfalls überkommene Lösungen.

Bis heute ist der Aufwand, den man dazu betrieb, eigentlich völlig rätselhaft, denn ein Bruchteil des konstruktiven Aufwands hätte im Prinzip bereits völlig genügt, um die Anforderungen überzuerfüllen. Tatsächlich werden die meisten Kunden die letzten zehn Prozent Verbesserung gar nicht bewusst wahrgenommen haben, obwohl darin 90 Prozent der Arbeit steckte. Aber es könnte vielleicht erklären, warum das Auto trotz seiner unbestreitbaren Nachteile an anderen Stellen überhaupt so lange populär blieb.

Im Lastenheft stand ein Fahrwerk, das auch rauhesten Bedingungen gewachsen sein sollte. Daher die Überdimensionierung der erstaunlich wenig filigran scheinenden Radaufhängungen. Dass man damit dennoch nicht wie mit einem klassischen Geländewagen über Pisten und durch Löcher trampelte, erreichte man auf verschiedene Weise. Genial einfach, aber ganz anders, als man es bis dato je gesehen hat. Zunächst ist da eine Federung, die stark progressiv ausgelegt ist. Das bedeutet wenig Federkraft bei geringer Beladung und steil ansteigende Federraten bei wachsender Belastung. Der Komforteindruck ist somit immer gleichbleibend, während ein herkömmliches, stahlgefedertes Auto immer komfortabler wird, je mehr es zugeladen hat.

Pull-Rod-Federung als Pro Link®-Vorläufer

Erreicht haben das die Ingenieure durch eine Kniehebel-Anlenkung der Federn: An jeder Schwinge sitzt in Richtung Fahrzeugmitte ein schräg nach unten weisender Hebel. Dort endet eine Zugstrebe, die eine längs unter dem Wagenboden liegende Schraubenfeder zusammenzieht. Im Rennfahrzeugbau nennt man so etwas „pull-rod“ Anordnung, analog zur bekannteren „push-rod“-Federung und genau wie im Rennwagen sind die Zugstreben mit einem Feingewinde zur Fahrwerksjustierung versehen. Dort sind die Bauteile allerdings meist quer zur Fahrtrichtung angeordnet. Bei unbeladenem 2CV zeigt der Hebel Richtung Feder, Kniehebel und Zugstrebe bilden einen stumpfen Winkel zueinander, der Hebel zwischen Schwingendrehpunkt und Zugstrebe ist somit kurz und die Federkraft gering. Je höher die Last, desto weiter nähert sich der Winkel 90 Grad. Der Hebel zwischen Schwingendrehpunkt und Zugstrebe verlängert sich dadurch – die Federkraft erhöht sich.

Durchschlagen ist so fast ausgeschlossen, weil sich die Federrate gegen Ende des Federwegs quasi exponentiell multipliziert. Honda hat sich (erst) in den 80er-Jahren etwas ganz Ähnliches für seine Enduros ausgedacht (unvergessen die CR250R von 1981) und unter dem Marketingnamen „Pro Link®“ (das „pro“ steht für „progressive“) zurecht sehr erfolgreich vermarktet (und alle Wettbewerber haben es aus guten Gründen kopiert). Wer sich die Fourgonette-Ausführungen der 2CV mit ihrer achtbaren Zuladung von 400 Kilogramm genauer ansieht, stellt fest, dass hier nicht nur dickere Federn eingebaut wurden – ihre Progressivität an der Hinterachse ist zusätzlich aufs Äußerste gesteigert. Eine Fahrt in so einem Lieferwagen ist ein Genuss – auch ganz ohne Ladung.

Fortgesetzt wird diese Geschichte in mehreren Folgen und mit einem tieferen Einstieg in die Technik in den nächsten Tagen – trotz Ihres Votums für längliche Stoffe. Sonst würde sie uns zu lang. Hier gehts es zur nächsten Folge. [1]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-2775898

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Eigene-Wege-II-2778313.html