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Kraftkur

Fahrbericht Ducati Scrambler 1100 Speciale

Motorrad iga
Ducati Scrambler 1100 Speciale

Eine Ducati muss für die Fans drei Kriterien erfüllen: Erstens: unverwechselbares Design. Zweitens: herrlicher Sound. Drittens: mächtig anreißender V2-Motor. Bei der Scrambler 800 galt der letzte Punkt als verbesserungswürdig und Ducati schob eine 1100er nach. Wir konnten sie zwei Wochen ausprobieren

Ducati ist in Italien nicht irgendeine Marke. Eine Ducati muss für die Fans drei Kriterien erfüllen, um als vollwertig zu gelten: Erstens: attraktives Design. Zweitens: herrlicher Sound. Drittens: mächtig anreißender V2-Motor (die neue Panigale mit V4-Motor ist die erste Ausnahme von der Regel). In allen anderen Kriterien darf sich eine Ducati Schwächen leisten, ohne dafür von den Anhängern der Marke abgestraft zu werden.

Die vor vier Jahren präsentierte Scrambler 800 [1] erfüllte die ersten beiden Punkte, beim dritten konnte sie jedoch nicht wirklich überzeugen. Der luftgekühlte 803-cm3-V2 erwies sich beim gepflegten Angasen auf der Landstraße als etwas schwach auf der Brust, ihm fehlte der Punch aus dem Drehzahlkeller. Das hat Ducati nun mit dem Motor aus der seligen Monster 1100 in der Scrambler korrigiert.

Optik der 800er erhalten

Äußerlich unterscheidet sich die 1100er beim ersten Anblick kaum von der 800er, bis auf die beiden dicken Schalldämpfer unter der Sitzbank. Sie sehen für mich zu sehr nach Ducati Monster aus. Das hätten die Entwickler bei einer Scrambler auch eleganter lösen können. Zwar gibt es in der Aufpreisliste einen Termignoni-Auspff, bei dem beide Schalldämpfer auf der rechten Seite übereinander angeordnet sind, aber den lässt sich Ducati mit 1574 Euro fürstlich entlohnen.

Ansonsten scheinen Tank, Sitzbank, Rahmen, Scheinwerfer, Rückspiegel und Drahtspeichenräder mit der 800er identisch zu sein. In Wahrheit fasst der Tank 15 statt 13 Liter und die Sitzbank ist breiter. Sogar der Motor und die Krümmer wirken trotz des größeren Hubraums kaum verändert. Die massive Schwinge, die fette Upside-down-Gabel von Marzocchi und die zweite Bremsscheibe am Vorderrad fallen dem Kundigen schon eher auf, auch die silberne Kühlerverkleidung besitzt nur die 1100er. Wer genauer hinguckt erkennt, dass auch die Seitenverkleidung unter der Sitzbank und der Vorderradkotflügel neu designt wurden.

Kernig, aber nicht laut

Hier poltert ein luftgekühlter Zweiventil-V2-Motor. Ducati hat zwar zur Abstimmung eine Klappensteuerung im Auspuff verbaut, zum Glück verzichtet der Hersteller aber auf das ohrenbetäubende Gebrüll mancher seiner Sportbikes. Die Scrambler tönt wunderbar kernig, aber nicht laut. Der 1079-cm3-Motor ist ein alter Bekannter und brachte es bei seiner Präsentation 2009 in der Monster 1100 auf 95 PS und 103 Nm. In der Scrambler leistet er 86 PS und 88 Nm, völlig ausreichend.

Speciale mit Drahtspeichen

Für den Test hat uns Ducati Deutschland die Scrambler 1100 Speciale zur Verfügung gestellt. Sie unterscheidet sich von der Basis-Version und der 1100 Sport vor allem durch die schönen Drahtspeichenfelgen, verchromten Krümmer, Aluminium-Kotflügel und die braune Lederimitat-Sitzbank mit Steppnähten.

Beim ersten Aufsitzen fallen zwei Dinge auf: Erstens ist sie höher als die 800er, man hockt nun auf 810 statt 790 Millimetern Höhe, zweitens ist der flache und breite Lenker durch den langen Tank weit weg, die Arme sind fast gestreckt. Dafür ist der Kniewinkel für alle Fahrer unter 1,90 Meter angenehm und die Aluminium-Fußrasten sind nicht zu weit hinten platziert.

Über das Design der Instrumente kann man kontrovers diskutieren, mir gefallen sie jedenfalls nicht. Das nach rechts versetzte Rundinstrument mit Digitalanzeige passt schon auf der 800er einfach nicht zum Retro-Design, zeigt viel zu kleine Ziffern und nun wurde ihm auch noch ein merkwürdiger Wurmfortsatz angeheftet, der die Geschwindigkeit und den eingelegten Gang anzeigt, immerhin in lesbarer Größe. Der Versuch, während der Fahrt die Drehzahl zu erkennen, scheitert kläglich an den winzigen Balken und Zahlen. Zu einem Retrobike – gerade zu einer Ducati – würden analoge Rundinstrumente viel besser passen, ähnlich im Design wie sie einst von Veglia ins Werk nach Bologna geliefert wurden. Dafür erfreut der Scheinwerfer mit LED-Tagfahrlicht.

Drehmomentstark

Der erste Gang lässt sich mit vernehmlichen „Klong“ einlegen, der Motor reagiert am elektronischen Gasgriff spontan und frei von Schluckauf. Die restlichen fünf Gänge lassen sich sauber und mit wenig Kraftaufwand am Kupplungshebel durchschalten, wobei Schaltvorgänge aufgrund des über einen weiten Drehzahlbereich durchzugskräftigen Motors seltener sind als bei spitz ausgelegten Sportmotoren.

Ducati bietet in der Scrambler 1100 drei verschiedene Fahrmodi an: „City“, „Journey“ und „Active“. Wer nicht gerade bei sintflutartigen Regenfällen auf Kopfsteinpflaster unterwegs ist, kann den „City“-Modus getrost vergessen, er kappt die Leistung auf 75 PS und die Schlupfregelung regelt sehr früh. Der Modus „Journey“ kann da schon viel besser gefallen: Die volle Leistung steht parat, man gleitet entspannt über die Landstraßen und genießt das füllige Drehmoment, dessen Maximum schon bei 4750/min anliegt.

Mein persönlicher Favorit ist der „Active“-Modus. Der Motor hängt sehr spontan am Gas und dreht rasanter hoch, die Schlupfregelung meldet sich erst spät zu Wort. Das Thema Sicherheit wird bei Ducati mittlerweile groß geschrieben und bringt der Scrambler ein Schräglagen-ABS von Bosch. Die Wirkung der beiden Brembo-Monoblock-Bremszangen auf die 320-mm-Bremsscheiben ist hervorragend, zwei Finger am Hebel reichen für eine Gewaltbremsung aus. Die Bremse bietet einen klaren Druckpunkt, der eine präzise Dosierung zulässt.

Gefällt immer besser

Die Scrambler 1100 gehört zu den Motorrädern, die einem umso besser gefallen, je länger man sie fährt. Meine Befürchtung, dass ich durch den langen Tank in Kurven nicht genügend Druck aufs Vorderrad bekommen würde, zerstreut sich rasch, die Scrambler durcheilt Kehren wie auf Schienen und drängt nicht mit der Front zur Kurvenaußenseite.

Aber die Reifen! Warum zieht Ducati bei einem mächtigen Motorrad Pseudo-Enduroreifen mit viel Negativprofilanteil auf? Ins Gelände will mit der teuren Scrambler garantiert niemand, also sollte man bitteschön direkt reine Straßenreifen aufziehen. Doch zu meiner Verblüffung haften die Pirelli MT60RS gut auf dem Asphalt und geben keinen Anlass zur Klage, lediglich auf der letzten Rille geritten wirken sie manchmal ein bisschen nervös, aber im Zweifelsfall greift die Schlupfregelung rettend ein.

Komfortabel abgestimmt

Beim Fahrwerk ließ sich Ducati nicht lumpen. Auch wenn die Scrambler 1100 Sport sogar ein sündhaft teures Öhlins-Fahrwerk bietet, reichen die Upside-down-Gabel von Marzocchi und das Kayaba-Federbein im Heck völlig aus, um mit der 1100 Speciale glücklich zu werden. Die Gabel ist komplett einstellbar, das Federbein in der Vorspannung und Zugstufe.

Die Grundabstimmung ist überraschend komfortabel geraten – bei Ducati keine Selbstverständlichkeit. Sogar Kopfsteinpflaster bügelt die Scrambler gekonnt glatt. Über den breiten Lenker lässt sich die 1100er sehr präzise einlenken, wobei sie sich einen Tick störrischer Verhält als die 800er, was vermutlich dem etwas längeren Radstand von 1514 Millimeter und einem Nachlauf von 111 Millimeter geschuldet ist.

Deutlich schwerer

Auch trägt die 1100er deutlich mehr Gewicht mit sich herum, sie hat im Vergleich zur kleineren Scrambler 800 um 25 Kilogramm zugelegt und wiegt nun mit vollem Tank 211 Kilogramm. Vor allem die beiden schweren Schalldämpfer dürften ihren Teil dazu beitragen. Stört das Mehrgewicht? Nein, die 88 Nm egalisieren das ganz locker.

Der Antritt des V2 ist fulminant, selbst im sechsten Gang bei Bummeltempo stürmt er beim Kommando „Vollgas“ vorwärts wie ein gereizter Stier. Die beiden großen Kolben hämmern dann spürbar und drücken die Scrambler mächtig voran. Ja, genauso muss sich eine Ducati anfühlen. Die 1100er rennt über 200 km/h, aber das ist nur ein theoretischer Wert, denn der Fahrer wird, wegen des breiten Lenkers, aufgespannt wie ein Segel. Jenseits der 150 km/h ist es nicht mehr lustig, der Fahrtwind versucht einen dann mit Gewalt rückwärts vom Sattel zu drücken.

Unkomfortabel weich

So beeindruckend die Scrambler 1100 Speciale auch ist, gibt es doch einige Punkte zu bemängeln. Die Sitzbank ist viel zu weich, nach spätestens einer Stunde rutscht man auf ihr herum, auf der vergeblichen Suche nach mehr Komfort.

Abgesehen von den zu kleinen Anzeigen im Cockpit blendet das Glas den Fahrer, wenn er die Sonne im Rücken hat. Über das Rundinstrument spannt sich im weiten Bogen der Bremsschlauch, was einfach billig wirkt. Der kurze hintere Kotflügel und der dünne Kennzeichenträger mögen stylisch aussehen, bei Regen bekommt der Fahrer aber umgehend eine graubraun gesprenkelte Jacke.

Viel Geld

Dann wäre da noch das Preisschild an der 1100 Speciale: 14.290 Euro. Das ist viel Geld für einen luftgekühlten Zweiventil-Motor mit 86 PS, auch wenn er noch so hübsch verpackt ist. Die 147 PS starke Ducati Monster 1200 mit Wasserkühlung und Vierventil-Technik kostet nur ganze 100 Euro mehr und die günstigste Scrambler 800 gibt es schon für 8990 Euro.

Selbst für die Scrambler 1100 in Basisversion verlangt Ducati noch 12.990 Euro, für die 1100 Sport sogar satte 14.990 Euro. Dennoch glaube ich, dass sich die Scrambler 1100-Modelle gut verkaufen werden. Es ist das Motorrad, auf das die Ducati-Scrambler-Fans gehofft haben – der 1100er-Motor erfüllt endlich die Erwartungen. Ein Ducatisti schaut ohnehin nicht so genau auf den Preis, denn einen exklusiven Geschmack zu haben, war schon immer etwas teurer.

Skepsis gewichen

Ich hatte mich der Scrambler 1100 Speciale skeptisch genähert, denn es gab im Vorfeld einige Aspekte, denen ich kritisch gegenüberstand wie die gekappte Leistung, die Sitzposition und die Reifen. Doch die Retro-Ducati hat es geschafft, mich zu überzeugen.

Könnte ich sie mir in meiner Garage vorstellen? Ja, auf jeden Fall, bis auf einen Punkt, den Ducati dringend ändern müsste: Es gibt die 1100 Speciale nur in tristem Grau – die langweiligste Farbe der Welt. Die Basis-Scrambler 1100 kann man wenigstens in Gelb oder Schwarz ordern und die 1100 Sport in Schwarz mit goldenen Zierstreifen. Damit erweitere ich die drei Kriterien für eine vollwertige Ducati um ein viertes: Eine Ducati muss grundsätzlich auch in Rot erhältlich sein.


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