zurück zum Artikel

Fahrbericht Triumph Bonneville T120

Bonne Chance

Motorrad iga
Zweirad

Die Bonneville T120 sieht dem Vorgängermodell immer noch sehr ähnlich, ist aber von Grund auf neu konstruiert. Ihr Motor ist wegen neuer Abgasnormen und für mehr Leistung wassergekühlt. "Mehr Leistung" beschreibt es allerdings nur unzureichend: Die Art ihrer Kraftentfaltung kann süchtig machen

Dass eines der bekanntesten Triumphmodelle ausgerechnet einen französischen Namen trägt, der aus den USA kommt, hat es dem Salz zu verdanken. Sehr viel Salz, das von dem riesigen, ausgetrockneten Lake Bonneville in Utah/USA übriggeblieben ist. Vor über hundert Jahren entdeckten ein paar Motorsportverrückte, dass sich auf der topfebenen Oberfläche mit äußerst großzügigen Auslaufzonen bestens Geschwindigkeitsrekorde aufstellen ließen. Seit 1949 findet dort die Bonneville Speed Week statt, das Mekka aller Speedfreaks. Die britische Firma Triumph baute seinerzeit auf Basis einer Tiger 110 einen größeren Zweizylindermotor mit 650 Kubikzentimeter auf, um auf den Bonneville Salt Flats einen neuen Rekord aufzustellen. In eine stromlinienförmige Verkleidung gepackt, erfüllte die Triumph im September 1955 ihre Mission mit eindrucksvollen 345,2 km/h. Zu Ehren des Ortes erhielt die daraus entwickelte Serienmaschine 1959 den Namen Bonneville T120. Das Modell wurde bis 1973 gebaut, und dann von der Bonneville T140 mit 750-Kubikzentimeter-Motor abgelöst, deren Produktion erst 1982 endete.

Eine neue Alte

Unter der Regie von John Bloor entfaltete Triumph sich ab 1990 zu neuer Blüte, und selbstverständlich durfte eine neue Bonneville im Programm nicht fehlen. 2001 erschien ein nostalgisch wirkendes Motorrad mit einem luftgekühlten Reihenzweizylinder, das den legendären Namen trug. Die Bonneville T100 [1] schlug ein wie eine Bombe, als hätte die Welt nur auf ein Bike im Retro-Look der 1960er Jahre gewartet. Sie verkaufte sich in 15 Jahren sagenhafte 141.000 Mal, doch im Zuge der Euro4-Norm musste für 2016 ein neuer Motor her.

Die Triumph Bonneville T120 sieht dem Vorgängermodell immer noch sehr ähnlich, ist aber von Grund auf neu konstruiert. Vor allem geht es um den Motor. Er ist nun wassergekühlt, um zum einen die strengen Abgasnormen einhalten zu können, zum anderen, um mehr Leistung zu bieten, denn die Kritik über den müden Zweizylinder der Vorgängerin war zum Schluss immer lauter geworden. Also, ging Triumph in die Vollen und vergrößerten den Hubraum von 865 auf satte 1200 Kubikzentimeter.

Beste Bonneville aller Zeiten

Viele Fans befürchteten, mit Flüssigkeitskühlung würde die Philosophie buchstäblich verwässert. Doch der schmale Kühler versteckt sich an der T120 geschickt zwischen den mächtigen Auspuffkrümmern und macht sich vor dem schwarz lackierten Rahmen und Motor fast unsichtbar. Auch optisch täuscht die Bonneville weiterhin vor, sie wäre bereits vor einem halben Jahrhundert vom Band gelaufen. Der rundliche Tank mit den Gummi-Pads auf den Flanken, Faltenbälge an der Gabel, Stereo-Federbeine, Peashooter-Auspuff, Stahlbügel am vorderen Kotflügel, massive Hinterradabdeckung, Kühlrippen an den Zylindern und natürlich Drahtspeichenfelgen machen sie zu einem echten Hingucker. Selbst die Einspritzanlage täuscht immer noch Vergaser vor. Aufatmen bei den Traditionalisten – vielleicht ist die neue wassergekühlte Bonnie doch nicht so schlecht.

Nach ausgiebigen Testfahrten darf Entwarnung gegeben werden: Die T120 ist fraglos die beste Bonneville aller Zeiten. Den Motor bezeichnet Triumph als 1200 HT, was für „High Torque“, also viel Drehmoment, steht. Ein kurzer Blick in die technischen Daten der alten 900er: Sie leistete in der letzten Variante 68 PS bei 7400/min und 68 Nm bei 5800/min. Da die T120 um gut ein Drittel mehr Hubraum besitzt, war zwar klar, dass sie kräftiger sein würde, aber was Triumph da aus den zwei Zylindern zaubert, verschlägt einem fast den Atem. Selbst im höchsten Gang marschiert der Paralleltwin aus dem Drehzahlkeller vorwärts, als würde er von einer Herde Elefanten angeschoben. 105 Nm – 54 Prozent mehr als bisher stemmt der Motor auf die Kurbelwelle und zwar schon bei 3100/min. Dass er „nur“ 80 PS bei 6550 /min leistet, interessiert dabei kaum, denn es ist diese gewaltige Drehmomentwoge, die die Faszination ausmacht. Mindestens ebenso verblüfft die Triumph mit ihrem absolut ruhigen Motorlauf – keine Selbstverständlichkeit für einen so großen Reihenzweizylinder mit 270 Grad Hubzapfenversatz. Vibrationen dringen so gut wie keine zum Fahrer durch, dafür ein satter Sound aus den Peashooter-Endschalldämpfern. Sehr basslastig, begleitet von einem dumpfen Grollen beim Hochdrehen. Wer hatte noch mal befürchtet, die Euro4-Norm [2] wäre der Tod einer wohligen Klangkulisse?

Gediegenes Cruisen

Die Bonneville bringt vollgetankt 243 kg auf die Waage. Das ist nicht wenig, aber sobald sie in Fahrt kommt verliert sie gefühlt einen halben Zentner. Sie lässt sich problemlos in Schräglage bringen, lediglich in ganz engen Kurven wirkt sie etwas kippelig. Die Sitzposition in nur 785 Millimeter Höhe ist betont aufrecht und ausnehmend bequem, der Lenker liegt locker zur Hand. Selbst Fahrer unter 1,70 Meter kommen problemlos mit den Füßen auf die Erde, am anderen Ende der Skala fühlen sich auch gestandene Mannsbilder von 1,90 Meter wohl auf der Triumph.

Die Bonneville könnte noch viel flotter durch Kurvenkombinationen eilen, wenn die Fußrasten dem Übermut nicht früh die Grenzen mit einem hässlichen Kratzen aufzeigen würden. Egal, die Bonnie ist nicht zum Rasen gedacht, wer es flotter angehen lassen will, soll zum sportlichen Schwestermodell Thruxton greifen, deren Fußrasten höher angebracht sind. Das Fahrwerk der Bonneville ist, abgesehen von der Federvorspannung hinten, nicht einstellbar. Wozu auch? Es erweist sich als komfortabel abgestimmt und erfüllt seinen Zweck des gediegenen Cruisens damit bestens.

An der Bremse hat sich einiges getan, am Vorderrad kommen nun zwei Scheiben zum Einsatz, die zwar relativ viel Handkraft für eine solide Vollbremsung erfordern, aber ansonsten ihre Arbeit gut verrichten und mit einem feinfühligen ABS versehen sind. Lediglich beim Verzögern in Schräglage zeigt die Triumph ein deutliches Aufstellmoment.

Dagegen erfreut die Kupplung mit sehr geringen Bedienkräften und einer serienmäßigen Anti-Hopping-Kupplung – was in Anbetracht des kräftigen Drehmoments auch sinnvoll ist. Wo wir gerade bei der Serienausstattung sind: Die Griffheizung, USB-Ladebuchse, LED-Tagfahr- und Rücklicht sind ebenfalls im Preis inbegriffen. Die beiden analogen Rundinstrumente auf der Aluminium-Konsole präsentieren sich von Chromringen eingefasst in klassischem Schwarz. Die beiden kleinen digitalen Displays darin sind zwar ein Stilbruch, aber für viele Informationen nützlich.

Die Bonnie drückt heftig an

Runter von der Landstraße, rauf auf die Autobahn. Ein früher Drehmomentgipfel geht oft mit mangelnder Drehwilligkeit des Motors einher, doch bei der Bonneville ist so eine Vermutung weit gefehlt. Beim Kommando „Vollgas“ trompetet die Triumph zum Angriff und stürmt vorwärts wie ein englischer Bullterrier. Zur Verblüffung des Fahrers ebbt der Sturm nicht ab, die Bonnie dreht brav bis 7000/min an den roten Bereich. Ab Tempo 140 wird der Winddruck für den Piloten massiv, über den Tank gebeugt erreichen Ross und Reiter fast die Zahl 200 auf dem Tacho – der Hersteller gibt 185 km/h an. Noch mehr wäre möglich gewesen, wenn Triumph den letzten Gang nicht sehr lang als Overdrive ausgelegt hätte. Das senkt die Drehzahl und spart Sprit. Der Verbrauch pendelt sich übrigens im Schnitt auf ziemlich genau fünf Liter auf hundert Kilometer ein, was bei einem 15-Liter-Tank exakt 300 Kilometer theoretische Reichweite bedeutet. In Anbetracht des großen Hubraums ein guter Wert.

Jeden Cent wert

Die Bonneville gibt es als T120 und T120 Black, bei Letzterer ist – wenig überraschend – alles schwarz lackiert, lediglich der Sitzbankbezug ist dunkelbraun. Nur wer sie in „Matt Graphite“ bestellt, erhält sie in dunkelgrau, was wiederum die Bezeichnung „Black“ ad absurdum führt. Die T120 gibt es in „Jet Black“ und „Cinder Red“ sowie in den Zweifarben-Lackierungen „Jet Black/Pure White“ und „Cranberry Red/Aluminium Silver“. Die günstigste Farbvariante Black startet bei 11.900 Euro, die teuerste (zweifarben) liegt bei 12.200 Euro, und es werden jeweils zusätzlich 450 Euro Nebenkosten fällig.

Hier könnte nachdenklich werden, wer sich an die letzte luftgekühlte Bonneville erinnert, die gab es ab 9390 Euro plus Nebenkosten. Das klingt jetzt nach gewaltigem Preissprung, jedoch ist die Bonneville 1200 eigentlich gar nicht die Nachfolgerin der Bonneville 900. Als solche darf die neue Street Twin mit 900 Kubikzentimeter großem Reihenzweizylinder gelten, die nur 8900 Euro kostet, also sogar billiger als die Vorgängerin ist.

Ist die Bonneville T120 ihren Preis wert? Jeden Cent! Der Käufer bekommt ein bildschönes Retro-Bike mit gewaltigem Motor samt moderner Technik und wird ständig von Passanten angesprochen, wie alt der Oldtimer wäre.

Unsere Test-Maschine stammt vom freundlichen Triumph-Händler aus Bonn, Stephan Baldauf, der uns leider noch eine schlechte Nachricht mitgeben musste: Die Bonneville T120 ist zurzeit ausverkauft. Triumph Deutschland hofft auf Nachschub noch vor dem Sommer, aber auch der dürfte rasch vergriffen sein. Bleibt zu anzunehmen, dass die Briten die Produktion des begehrten Modells bald hochschrauben werden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3194034

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Triumph-Bonneville-T100-Black-Die-Entdeckung-der-Langsamkeit-2293768.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Ab-2016-gilt-die-UNECE-R-41-04-fuer-neue-Motorraeder-2850835.html