Gewonnen, aber verloren

Formel 1: Vorentscheidung in Austin

Ferrari hat gewonnen – und doch verloren. Wenn es noch eine winzige Chance auf ein spannendes WM-Finale zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel gegeben hat, ist das mit dem Rennen in Austin endgültig vorbei

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Von
  • Martin Franz
Inhaltsverzeichnis

Ferrari hat gewonnen – und doch verloren. Wenn es noch eine winzige Chance auf ein spannendes WM-Finale zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel gegeben hat, ist das mit dem Rennen in Austin endgültig vorbei. Ferrari hat es nicht geschafft, ein an sich gutes Paket in ebensolche Resultate umzusetzen. Daran haben viele Köpfe Anteil: Entwicklungsabteilung, Teamführung, Strategie und Fahrer haben Fehler gemacht. Fehler, die man sich bei einem Gegner wie Mercedes nicht leisten kann.

Im Prinzip war die Sache schon vor den Rennen in Austin entschieden. Vier Rennen vor Schluss waren noch 100 Punkte in der Fahrer-WM zu vergeben. Vettel lag 67 Punkte hinter Hamilton. Damit war klar, dass Vettel, will er den Titel in diesem Jahr noch gewinnen, in jedem Rennen maximal punkten muss. Nach dem Rennen vom Sonntag beträgt der Rückstand 70 Punkte. Um das einmal zu übersetzen: Selbst wenn Vettel die verbleibenden drei Rennen gewinnt, reicht Hamilton ein(!) siebter Platz, um sich die fünfte WM zu sichern.

Wunder, an das keiner mehr glauben darf

Die Entwicklung in der Formel 1 lässt sich nicht vorhersagen, das wissen der Austin-Sieger Räikkönen und Hamilton nur zu gut aus dem Jahr 2007. Damals war die WM eigentlich schon zu einem Duell zwischen Alonso und Hamilton geworden, die sich erbittert bekämpften. Räikkönen gewann die letzten beiden Rennen und so ganz knapp auch die WM. Doch in diesem Jahr wäre ein WM-Titel für Vettel ein Wunder – eines, an das mit etwas Sinn für Realismus trotz anderslautender Beteuerungen auch bei Ferrari keiner mehr glauben darf.

Marchionne-Tod nur ein Baustein

„Einen Weltmeister-Titel gewinnt oder verliert man nicht im letzten Rennen. Dort wird er entschieden, doch gewonnen oder verloren wird er über eine Saison hinweg.“ Dieses Zitat stammt von Michael Schumacher, der bei Ferrari quälend lange fünf Jahre brauchte, bis alles ineinander griff und so zu gleich mehreren Titeln am Stück führte. Aktuell ist die Scuderia davon weit entfernt. Es mag mit dem Tod von Fiat-Chef Sergio Marchionne zusammenhängen, dass Ferrari nach einem guten Start in die Saison 2018 sich in der entscheidenden Mitte einen Durchhänger leistete. Doch als Erklärung allein reicht dies nicht.

Es gelingt der Ferrari-Führung rund um den mit so großen Hoffnungen gestarteten Maurizio Arrivabene offenkundig nicht, Ruhe in das Team zu bringen. Dabei ist gerade dies der Schlüssel zum Erfolg, auch und insbesondere bei der Scuderia. Dort wird stets ein gewisser Teil der Energie in interne Politik investiert – und dieser Teil ist weitaus größer als bei anderen Teams. Dazu kommt der Druck der italienischen Medien. Nirgendwo wird einer, der gestern noch König war, so schnell skalpiert wie in der Sport-Berichterstattung Italiens.

Skurril auch der Umstand, dass Ferrari nun mit einem auf einen früheren Entwicklungsstand zurückgerüstetem Auto wieder vorn dabei ist. Dass es zu dieser Erkenntnis gleich ein paar Rennen gebraucht hat, wirft auf Team und Entwicklung ein sehr eigenwilliges Licht. Auch wenn es momentan keiner in der Riege der Verantwortlichen hören mag: Personell kann das eigentlich unmöglich ohne Folgen bleiben. Und das in einem Jahr, in dem Ferrari zeitweise eindeutig das schnellste Auto im Feld hatte. Die italienischen Dramen werden in ihrer traurigen Heftigkeit nur von der dortigen Politik übertroffen. 65 Regierungen in 72 Jahren: Die Leidensfähigkeit der Italiener, die stets mit einer gehörigen Portion Lebenslust gepaart ist, sollte in vielerlei Hinsicht öfter gewürdigt werden.

Noble Gesten

Die Strategieabteilung von Ferrari hatte ebenfalls schon hellere Momente als in diesem Jahr mancherorts gezeigt. Ausgerechnet in Monza nahm man Vettel schon im Rennen um den besten Startplatz einen Teil seiner Siegchancen, später Kimi Räikkönen im Rennen selbst über eine verfehlte Reifen-Strategie. Der Hinweis in Austin von der Box an Vettel, Kimi passieren zu lassen, war im Sinne des Einzelergebnisses absolut richtig. Vettel dürfte er mental schwer zu schaffen gemacht haben. Es ist eine noble Geste dem Sport gegenüber, keine Teamorder zu verhängen. Doch die öffentliche Wahrnehmung ist undankbar und erinnert sich schon kurze Zeit später nicht mehr daran.

Des Fahrers Anteil

Sebastian Vettel hat an der aktuellen Entwicklung hin zu diesem WM-Stand ebenfalls einen großen Anteil. Er hat die WM 2017 auch verloren, weil er sein Temperament nicht beherrschen konnte. Dies mag ihn menschlich erscheinen lassen, vermutlich auf einige auch sympathisch, doch es ist nicht der Weg zum Erfolg, wenn der Gegner Lewis Hamilton heißt. Im vergangenen Jahr konnte Vettel sich noch auf ein Auto berufen, dass zwar knapp, aber letztlich eben doch hinter dem Mercedes einzuordnen war. In diesem Jahr zieht dieses Argument oft nicht.

Wie die Karten im nächsten Jahr hinsichtlich der Kräfteverteilung gemischt werden, weiß keiner. Vieles spricht jedoch dafür, dass andere Teams den Titel-Duellanten näher kommen. Sie fahren vielleicht nicht um die WM mit, doch sie können im Titel-Kampf Punkte wegnehmen. Dann gilt es noch mehr als in diesem Jahr, einen kühlen Kopf zu bewahren statt mit selbigem durch die Wand zu wollen. In dieser Hinsicht kann sich Vettel von Hamilton noch eine Menge abschauen: Der holt alle Punkte, die in Reichweite liegen, statt denen hinterherzujagen, die in allzu weiter Ferne funkeln. Das kann mal ein zweiter Platz sein wie in Spa, oder auch nur ein dritter wie gerade eben in Austin. Doch zusammengezählt wird am Ende, und dort sieht es in der Summe mit dieser Taktik einfach besser aus als der Versuch, einzelne Glanzpunkte zu setzen. Der talentierte und eigentlich als sehr lernfähig bekannte Vettel hat diese schmerzhafte Lektion aus der Saison 2017 noch nicht umgesetzt. Es kostet ihn mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit einen weiteren WM-Titel.