Hotspot Guangzhou

Guangzhou Motorshow 2019

Automessen gelten in Europa als tot. In China dagegen boomen sie. Nicht nur in Peking und Shanghai, sondern gerade auch in der Industriemetropole Guangzhou. Aus der einstigen Regionalmesse ist längst ein Neuheiten-Hotspot für den chinesischen Markt geworden

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  • Wolfgang Hörner, press-inform
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Automessen gelten in Europa als tot. In China dagegen boomen sie. Nicht nur in Peking und Shanghai, sondern gerade auch in der Industriemetropole Guangzhou. Aus der einstigen Regionalmesse ist längst ein Neuheiten-Hotspot für den chinesischen Markt geworden.

Der Eifer der jungen Messehostess auf der Auto Guangzhou ist vorbildlich. Beflissen und mit einem einladenden Lächeln öffnet sie die Fahrertür des kleinen SUV und bittet unmissverständlich darum, Platz zu nehmen. Chen Lu heißt sie, das steht gut erkennbar auf dem Namensschild. Weniger klar ist dagegen, welchen Namen das Auto trägt. Ein Fingerzeig auf das Fahrzeug und die auf englisch gestellte Frage nach dem Typ bleiben jedenfalls ergebnislos.

Schmucklos und etwas willkürlich

Auch der Messestand ist zwar reichlich mit Emblemen und chinesischen Schriftzeichen geschmückt, Modell- und Markenname bleiben für uns aber unleserlich. So bleibt das nette SUV namenlos und fügt sich damit in das übrige Bild des Messestands ein: Schmucklos und etwas willkürlich angeordnet wirkt er wie der Auftritt eines kleinen Importeurs auf der IAA der 1990er-Jahre. Das Pressezentrum ist verwaist, die ausliegenden Broschüren sind ausschließlich auf Chinesisch erhältlich.

Die Auto Guangzhou deshalb für irgendeine chinesische Regionalmesse im Schatten der Ausstellungen von Beijing und Shanghai zu halten, wäre aus vielen Gründen eine massive Fehleinschätzung. So liegen Aussteller- und Besucherzahlen weit über dem Niveau üblicher Regionalveranstaltungen. 900.000 Interessierte kamen im vergangenen Jahr, 2019 peilen die Veranstalter den Sprung über die Ein-Millionen-Grenze an. Zum Vergleich: Die einstige Leitmesse IAA zog in diesem Jahr 560.000 Besucher an. Allerdings profitiert die jährlich stattfindende Messe in Guangzhou von den elf Millionen Einwohnern der Stadt und dem Wohlstand der Region: Hier finden die Innovationen statt, hier wird konsumiert und hier hat das Automobil noch immer einen hohen Stellenwert. Ist es dann gar elektrisch oder stammt von einer Luxusmarke, umso besser.

Weltpremierentaugliche Messe

Die deutschen Premium-Hersteller erkannten die Marktbedeutung der Messe schon vor einigen Jahren. War es anfangs noch so, dass die Konzernzentralen die Auftritte der lokalen Tochtergesellschaften nur unterstützten, mischen sie nun selbst kräftig mit. Sogar Weltpremieren internationaler Hersteller finden inzwischen auf der Auto Guangzhou statt. Gerade wenn ein neues Modell für China besonders wichtig ist und das Timing des späten Novembertermins passt, ist ein Auftritt auf dem hochmodernen Messegelände fast schon Pflicht.

Neuheiten-Hotspot für den chinesischen Markt

Die Weltpremiere des Mercedes-Maybach GLS 600 macht das deutlich. SUV sind auch in China gefragt wie nie, deutsche Marken stehen nach wie vor hoch im Kurs und Maybach-Modelle im Speziellen treffen als luxuriöse Spitzenversionen von S-Klasse und GLS den opulenten Geschmack der Oberschicht. Neben den China-Premieren von EQS, GLB und GLS sowie der Vorstellung der eigens für den chinesischen Markt angebotenen Langversion des AMG A 35 4matic zeigte Denza, ein Joint-Venture von Daimler und dem chinesischen Elektrofahrzeughersteller BYD den „X“. Der wahlweise vollelektrische oder als PHEV erhältliche Siebensitzer kostet umgerechnet rund 40.000 Euro und wird in China über die Mercedes-Händler vertrieben.

Der Audi-Stand: riesig, aber menschenleer

Wo Mercedes ist, dürfen BMW und Audi nicht fehlen. Doch die Bayern überraschten: Der Auftritt der Münchner war vergleichsweise klein und wirkte extrem statisch, der Stand von Audi war riesig, aber völlig menschenleer. Beide waren ohne Neuheiten nach Guangzhou gekommen. Volkswagen hingegen hatte schon einige Wochen vorher an gleicher Stelle für China als Produktionsstandort kommender elektrischer ID-Modelle benannt. Auf der Messe wurde die marktspezifischen Modelle Touareg PHEV, Tacqua (Schwestermodell des T-Cross) und das große MPV Viloran neu vorgestellt. Mit ID.3 (in China künftig von SAIC gefertigt) und den Konzeptfahrzeugen ID.Roomz und ID.Crozz zeigte Volkswagen, wie entschlossen man sich der Elektro-Herausforderung in China stellen will. Zurückhaltender waren andere europäische Aussteller in Guangzhou: Messepremieren hatten lediglich Peugeot mit dem 2008 (auch als Elektroversion), das Aston-Martin-SUV DBX und Rolls-Royce mit dem Black Badge Cullinan. Eine wahre Flut an Neuheiten brachten indes die vielen chinesischen Hersteller mit.

Das Bild, das sie abgeben, wird zunehmend uneinheitlicher. Das beginnt bereits bei ihren Messeauftritten: Während einige immer noch nach dem Prinzip einer Wirtschaftsgütermesse schmucklos präsentieren, schaffen Marken wie JAC und Lynk & Co. für wahre Besuchererlebnisse. Sie emotionalisieren ihre Produktdarbietungen im Stil von Mini oder Jaguar. Auch nimmt die Zahl jener Hersteller rapide ab, die sich durch ihre übersetzungslose Namensgebung einer Internationalisierung von Haus aus völlig verschließen. So wird im Zweifelsfall lieber noch ein Kunstname gesucht. Seit einigen Jahren dabei: „Weltmeister“.

Innenraumkameras für das WeChat-Streaming

Dass die chinesische Automarke in irgendeiner Weise weltmeisterlich ist, muss bezweifelt werden. Fest steht aber, dass viele Marken ihre Qualitätsdefizite gegenüber den internationalen Herstellern zumindest aufgeholt haben. Die Ergonomie der außerhalb Chinas nicht erhältlichen Fahrzeuge ist zwar oft gewöhnungsbedürftig, doch dem Geschmack der Asiaten geschuldet. Innenraumkameras für das WeChat-Streaming gehören dazu – und übergroße und zum Teil sogar auf dem Lenkrad platzierte Displays wie bei Nio und Byton.

Fast kein chinesischer Hersteller kam ohne stattliche Elektro- und PHEV-Flotte auf der Messe. Dabei stehen sie in der Heimat vor massiven Problemen. Nachdem die chinesischen Behörden die Subventionen für den Kauf von Elektroautos überraschend kürzten, brach der Verkauf der Stromer massiv ein. Weil auch in Asien die Verbrenner deutlich günstiger sind, sanken die E-Modelle wieder in der Gunst der Käufer. Denen bietet man inzwischen eine unglaubliche Designbandbreite. Natürlich gibt es immer noch zahlreiche Modelle, die wie eine Kopie von Maybach, BMW oder Rolls-Royce aussehen. Doch Fahrzeuge wie der kleine Ora R1, der durchdacht gestylte Geely Icon oder die Sportwagen-Studie Nio EP9 zeigen, dass chinesische Marken durchaus eigenständige Ideen entwickeln.