Die Schotterpässe der Alpen sind fahrerisch banal.

Klartext: Abenteuer in Banalien

Die 4x4-Fahrer lieben die Alpen mit ihren Schotterpisten, und zwar nicht, weil sie anspruchsvoll wären, sondern eben, weil sie es gerade nicht sind. Hier probiert man in tollem Panorame losen Untergrund aus

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VW Golf Alltrack 5 Bilder

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Ein Camping-Platz mitten in den Westalpen. Neben den üblichen Aktivurlaubern in VW-Bussen steht dort eine bemerkenswerte Überzahl klobiger Offroader vom Kaliber Land Rover Defender mit khakifarbenen Dachzelten. Ohne Asphalt fahren erlebt offenbar gerade einen Boom. Auf den (asphaltierten) Straßen trifft man hunderte Meter lange Geländewagen-Konvois, die ihrem Hobby gemeinsam frönen wollen. Viele Schotterpässe haben die Zeichen der Zeit erkannt und fordern (wieder) Maut von ihren Gästen. Das funktioniert, weil es dort oben meistens wunderschön ist, aber banal zu fahren.

“Banal“ verwendet der Schreiber meistens zur Abwertung. Ich verwende es zur Abwertung der daheim erzählten Schwierigkeit dieser Schotterpisten in den Alpen. Die sind nämlich praktisch ausnahmslos nicht schwer zu fahren, auch wenn dein Kumpel dir nach seiner Rückkehr Geschichten erzählt, als sei er durch das Darién-Hindernis gefahren. Ich bin dort gerne und öfter und bleibe dabei: Die Schwierigkeit bei Trockenheit liegt so niedrig, dass Anfänger dort problemlos ihre ersten Erfahrungen mit losem Untergrund sammeln können, was sie stets gerne tun. Nur alleine sollte man nicht sein, damit einem jemand bei etwaigen Reifenpannen zur Seite steht.

Kaum einer mag schwieriges Gelände

Die Einfachheit arbeitet für diese Strecken. Wenn Autofahrer wirklich schwierige Geländestücke bewältigen sollen, dann fallen sofort fast 100 Prozent von ihnen in den Bereich „Das gefällt mir jetzt eher nicht“. Da spielt ja auch das Geld mit: Wirklich materialschonend kann man einen Kiessteilhang halt nicht hochfahren. Nur ein kleiner Rest wird süchtig danach. Bei Motorradfahrern ist es noch ärger. Wer im Auto einen Fehler macht, der bezahlt meistens nur mit dem Geldbeutel. Selbst ein aufs-Dach-legen tut erst weh, wenn der Hügel sehr hoch und steil war, rein durch die materialzermürbende Wiederholung des aufs-Dach-legens in der Hügelhinab-Rollbewegung entlang der Fahrzeuglängsachse. Beim Motorrad reicht schon eine dumme Landung der Maschine auf dem Bein zum Verlust sämtlicher Sehnen und Bänder rund um das Knie – vor allem bei den beliebten fetten Reiseeimern im Gelände.

Gib derselben Kontrollgruppe jedoch einen Feldweg, und Glück wird sich in den Mundwinkeln breitmachen. DAS haben sie sich vorgestellt: In recht gefahrlosem Umfeld mit einer Fahrbahnoberfläche experimentieren, die tendenziell wenig, stark fluktuierenden Grip bietet. Das könnte der Mensch natürlich sehr schön auch in einem alten BMW 3er erfahren, doch als Werkzeugträger lieben wir es, uns auszurüsten. Und deshalb stehen wir dann am Fuße der banalen Schotterpässe, als wären wir mitten in Mali. Stollenreifen. Treibstoffkanister. Ölkanister. Wasserkanister. Sandbleche. Zwei Meter hoher Ansaugschnorchel mit Zyklon-Abscheider. Bundeswehr-Klappspaten. Selfie-Stick. Klar macht das Spaß.

Die Spaßverderber

Aber dann, auf dem Pass: rote Fiat Puntos fahren vollbesetzt am Expeditions-Tross vorbei, auf dem Weg zum Familienpicknick. Vespa-Piloten in Schlappen winken freundlich. Das erodiert doch das aufgebaute Abenteuer-Gefühl. Im Wagen vor mir fragt Sebastian, warum die selbst auf den ebensten Geradeaus-Passagen angestrengt stehenden GS-Fahrer ihn so düster anblicken, gestikulieren gar. Erst wusste ich es auch nicht. Dann fielen mir die Blicke ein, die mir eine Gruppe neoprenverpackter, angeschirrter Jochen-Schweizer-Abenteurer zuwarf, als sie mich in einer Kaltwasser-Höhle auf der Alb sah.

Klar dämpft es dein Erlebnis, wenn da jemand in Badehose sitzt. Und ich war nicht einmal der Schlimmste. Die anderen beiden trugen mangels Badehose nasse Jeans. Da fehlt doch die Ernsthaftigkeit! Ähnlich ging es wohl den GS-Fahrern, als sie uns in drei Straßenkombis gen Gipfel fahren sahen (immerhin mit Schlechtwegeausstattung). Die Ironie, dass sie selber ein Straßenfahrzeug auf Straßenreifen führten, bemerkten sie nicht. Beim Abenteuer geht es eben hauptsächlich um die persönliche Empfindung.

Da gilt die alte Raserweisheit abgewandelt: Jeder, der mit weniger Ausrüstung fährt als ich, ist ein verantwortungsloser Irrer, und jeder, der mit mehr Ausrüstung fährt als ich, ist eine Weichwurst. Insofern sei die Trial-Läuferin verdammt, die querfeldein bergab alle versägte, obwohl sie außer ein paar Stöcken nichts über Bekleidung hinaus dabei hatte. Die angelsächsische Semantik hilft uns hier: „off-road“ ist schlicht keiner dieser Schotterpässe. Selbst Herr Denzel mit seinem Führer weist die schwierigsten Stücke als „an der Grenze zum Gelände“ aus, bevor Geländeschwierigkeiten kämen. Das sind alles Roads. Ist nur kaum Asphalt drauf. Früher™ sahen die meisten Roads so aus – früher, als Fahrzeuge wie der Fiat Panda oder der Fiat Punto in rot erdacht wurden.

Am lokalen Optimum

Vielleicht hilft ein Gedanke der allerseitigen Entspannung oben auf dem Schotter: Jede Chassis-Bauart bildet einen Kompromiss zwischen den Geschwindigkeiten auf Asphalt und losem Grund. Am einen Ende haben wir den Fußgänger mit maximaler Geländesteigfähigkeit, aber minimaler Asphaltgeschwindigkeit. Am anderen Ende steht in etwa ein F1-Auto mit minimaler Geländesteigfähigkeit, aber maximaler Geschwindigkeit auf glattem Asphalt. Dazwischen gibt es ein dicht mit Modellen besetztes Kontinuum, in dem wir keinem Punkt seine Koordinaten als unsinnig absprechen können.

Ein Defender fährt auf der Autobahn langsam, laut und ineffizient. Dafür kannst im Geröll auf den Pinsel steigen, ohne dass deine Felgen verkratzen und in der riesigen Kabine schlafen. Eine Mercedes E-Klasse chauffiert dich traumhaft die Autobahn entlang, du musst aber im Geröll langsamer fahren, wenn dir deine Felgen was wert sind. Wahrscheinlich gibt es ein lokales Optimum, den idealen Wagen, um die Schotterpässe der Westalpen zu fahren. Ich glaube, es ist der rote Fiat Punto als gammliger Mietwagen. Denn wenn dir das Material egal ist, fährst du jedem Defender-Selbstbesitzer auf egal welcher Road davon.

Programmhinweis: Wir haben in den Alpen einen dreiteiligen Vergleichstest produziert.

Teil 1: VW Golf Variant Alltrack (Test)

Teil 2: Mercedes E 220d All-Terrain (Test)

Teil 3: Opel Insignia Country Tourer (Test)