Wie breit man im Herbst den Schissrand am Hinterreifen trägt …

Modeberatung zum Angstrand

Die Geschichte des Schissrands ist eine dieser Geschichten voller Missverständnisse. So hat zum Beispiel seine Breite natürlich etwas mit der gefahrenen Schräglage zu tun, sie hat jedoch viel mehr mit Geometrie zu tun

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Auf den Rasten gefahren, auf der Verkleidung gefahren, aber nicht den ganzen Rand gefahren. Merkwürdig. 3 Bilder
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Nehmen wir uns so kurz vor der Motorradmesse Eicma in Mailand Zeit, über das missverstandenste aller Motorradmodethemen zu sprechen: den Angstrand. Praktisch jeder Motorradfahrer kennt die Diskussionen darüber in dem Forum, das die Funktion des Stammtisches früherer Zeiten übernommen hat; praktisch jeder kennt das kradistische Ritual des Beschnüffelns ohne Schnüffeln: am Treff erstmal auf den Hinterreifen gucken. Danach sprechen wir. Jeder Fahrer erfährt, dass die Breite des Angstrands von der benutzten Schräglage abhängt. Praktisch kein Fahrer weiß jedoch, dass die Tragbreite seines Randes viel stärker von der Geometrie des Reifenquerschnitts abhängt als von jeder Fahrweise.

Fashion Victims

Zum ersten Mal fiel mir ein ungewöhnlicher Angstrand-Effekt damals auf Aprilias Shiver 750 auf. Einmal von der Bergstation Stuttgart-Degerloch ins Tal gefahren, neuer Reifen komplett benutzt. Das ist bei mir als eher ängstlichem Fahrer ungewöhnlich, das braucht eher Zeit, Muße und vielleicht einen Schnaps. Ich schob es auf die gute Ergonomie der Shiver. Als sich jedoch die Shiver über die Randkante des Reifens hinaus neigte, was zu einem erschreckenden Laufbild führte, war klar, dass Ergonomie nicht die einzige Erklärung sein konnte. Es musste eine geometrische Erklärung geben.

Derart auf geometrische Grundsätze der Motorradreifenmode sensibilisiert fielen mir schnell weitere eindeutige Beispiele auf. Ryan Farquhar etwa gewinnt auf seinen Renn-Kawasakis regelmäßig die Supertwin-Klasse bei den Straßenrennen der TT. Am Ende bleiben auf den fetten 190er-Slicks auf jeder Seite zweieinhalb Zentimeter breite unbenutzte "Chicken Stripes", wie der Engländer sagt. An der Schräglage liegt's bei Ryan nicht. Er ist zudem durchaus modebewusst: "Ich weiß, dass das scheiße aussieht", gibt er zu Protokoll, "aber es funktioniert halt."