Klartext: Anlage und Umwelt

Lancia ist das beste Autobeispiel Europas für Badge Engineering, weil es derart tragisch ist: Die Firma, die zu ihren Bestzeiten irrlichternd dreinblickende Ingenieure im Keller von den Ketten ließ, damit sie Ikonen wie den Stratos-Vierradkampfjet bauten

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Die moderne Verhaltensforschung findet zu ihrem eigenen Erschrecken immer mehr Hinweise für den anteiligen Einfluss der genetischen Anlage auf das Verhalten, das damit weniger von der Umwelt beeinflusst wird, als die Wissenschaft bisher annahm. Nun kann man natürlich argumentieren "Pah, in fünf Jahren heißt es wieder das Gegenteil!" oder "Aber zuerst hat die Umwelt die Gene beeinflusst!", auf jeden Fall sind das erstmal schlechte Indizien für "Badge Engineering", die Marketing-Schule des Autobaus also, die Markenkäufern fremdmarkige Produkte verkauft, indem sie andere Aufkleber draufmacht. Ein anderer Kontext, eine damit andere Umwelt soll diese zusätzlichen Kunden erschließen.

Etiketteningenieure

Lancia ist das beste Autobeispiel Europas für Badge Engineering, weil es derart tragisch ist: Die Firma, die zu ihren Bestzeiten irrlichternd dreinblickende Ingenieure im Keller von den Ketten ließ, damit sie Ikonen wie den Stratos-Vierradkampfjet bauten, die W...Spindvorlage Fulvia, Walter Röhrls große Liebe 037 oder den Montecarlo, der vielleicht am besten zusammenfasst, was Lancia damals bedeutete: ein lauter Vierzylinder-Mittelmotor rappelte hinter dem Fahrer, die vorderen Bremsen blockierten in jeder Kurve, und als Abhilfe entfernte Lancia nach Jahren der Beschwerden einfach den Bremsservo komplett, sodass die Bremsen nicht mehr blockierten, weil sie nicht mehr bremsten. Und es war einem egal, man wollte trotzdem einen.

Das war vor langer Zeit. Heute steht die Marke Lancia für "einmal Fiat mit krebsartigen Design-Geschwülsten, bitte". Deshalb besteht zumindest Hoffnung für die seit 2009 bestehende Kooperation mit Chrysler, deren Marketing-Auftrag Chryslers "Chief Marketing Officer" Olivier Francois darin sieht, dass Chrysler und Lancia jetzt dieselbe Marke sind, die nur in verschiedenen Märkten anders ausgesprochen wird. Hm. Warum dann nicht gleich überall "Kreisler" sagen? Was das allein an Aufklebern spart! Die geschändete Marke "Lancia" allein (Umwelt) wird da nichts reißen können, es kommt daher zuvorderst darauf an, welche Kreislers unter den Aufklebern stecken (Anlage).

Ihr verdammten Müslifresser

Deshalb ist es sehr erfreulich, dass es den Chrysler 300C als "Lancia Thema" noch in Europa gibt, denn sein Erfolg in den USA liegt daran, dass der Konzern in ihm eine gute, klassische Limousine zu einem fairen Preis anbietet. Zuerst mal: Es gibt bei uns keinen V8. Es wird auch keinen geben. Nur ein V6 sei europäisch, sagt der Firmensprecher in einem gespannten Tonfall, der mich eine statistisch signifikante Häufung von V8-Nachfragen vermuten lässt. Das US Department of Marketing denkt wahrscheinlich, dass wir weicheiernde Müslifresser antiamerikanischen Schaum vor den Mund kriegen, wenn uns ein V8 auch nur angeboten wird. Auch Ford ließ vor einiger Zeit verlauten, dass sie den nächsten Mustang ohne V8 nach Europa bringen möchten. Aber ein Mustang ohne V8 ist doch irgendwie wie ein Burger ohne Rind, das ist an deutschen Grills auch nicht anders als in Kansas. Ich lade jeden benzinblütigen PR-Amerikaner ein, bei uns mal einen V8 von AMG zu fahren – sofortige kulturelle Verständigung.