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Die professionelle Motorradschreiberei wird aussterben

Klartext: Ausschleichen

Klartext Clemens Gleich
Klartext

Die Auftragszahl im Motorradbereich nimmt ab. Es passiert in der Szene auch nichts Weltbewegendes, das sie wie beim Auto neu definieren könnte. Der Nachwuchs der letzten Jahre stellt sich zudem als sehr alt heraus. Die Zukunft gehört der Liebhaberei

Vor kurzem meldete das Motorradmagazin Fastbike Konkurs an. Es war ganz sicher nicht das schlechteste Motorradheft und ganz sicher nicht das letzte, das den Betrieb einstellen wird. Mit allem, was sonst gerade so vor sich geht, das beschrieben werden will, hat sich der Motorradanteil der Arbeit im letzten Jahr stark verringert. Wenn ich die Szene derart intermittierend betrete, macht sie mich meistens melancholisch: so viele Menschen, denen diese Maschinen so nahe am Herzen tuckern, und keiner wird etwas daran ändern, dass sich immer weniger Menschen für Motorräder [1] und Magazine darüber interessieren.

Auch das Auto hat trotz seines nicht völlig verlorenen Status' als Liebling der Deutschen mit erheblichem Gegenwinddruck zu kämpfen – vor allem in der so lange so geliebten Dieselmotorisierung [2]. Doch das Automobil steht gleichzeitig an der Schwelle der vielleicht wichtigsten technologischen Weiterentwicklung seiner Geschichte, einem echten Umbruch, der alles verändert, was wir heute als selbstverständlich ansehen. Nein, ich rede nicht vom Elektroantrieb. Es ist egal, wie die Autos von morgen angetrieben werden, solange wir das günstig in einer Kreislaufwirtschaft schaffen. Ich rede von der Automatisierung. Schon ewig kein spannenderes Thema mehr gehabt. Ich habe den Weinachtsmanndetektor [3] zum Haushunddetektor umgesteckt – nur, um etwas im Thema automatische Bilderkennung zu schwimmen.

Jetzt neu, aber egal

Und bei den Motorrädern? Morgen fahre ich die neue Kawasaki ZX-10 R SE. Sie hat als Neuigkeit ein semiaktives Fahrwerk – eine Technik, die wir schon dutzendfach gesehen haben. Das wird wahrscheinlich sehr gut funktionieren. Die Relevanz hält sich jedoch in sehr engen Schranken. Das Fahrwerk war schon vorher überdurchschnittlich gut. Für das kleine Mehr am Chassis kostet das Motorrad jetzt ab 23.000 Euro. Kaufen wird das kaum jemand, weil Kawa-Händler unterhalb der Riesenflächenunternehmen sich wie viele Japaner-Händler keine Superbikes mehr in den Laden stellen, sodass Superbike-Interessenten sowieso nur BMW [4] kaufen können, wenn sie eine Probefahrt wollen.

Neubärte

Reden wir nicht weiter von der Zehner. Sie dient nur als ein Beispiel unter vielen. Die Stimmung unter Motorradschreibern drückt zuverlässig jeder Opener mit Bezug zum Wirtschaftssystem Motorrad, auch der des darüber Schreibens. "Fünfzehn Jahre Rückwärtsgang", so beschrieb ein Kollege seine Arbeit, als er sie endgültig verließ. Obwohl die Zeichen seit längerem so eindeutig stehen, spürt man die Effekte dieses Jahr deutlicher als zuvor. Zuvor hatte die Szene Hoffnung, dass die Neubärte den lange erwarteten Nachwuchs stellen. Was sie ja taten. Nur eben nicht im erhofften Umfang, nicht im erhofften Alter.

Es gab zwei Sorten von Neubärten. Die jungen Neubärte kauften günstig gebraucht, taten also nichts zu den Bilanzen der Hersteller. Vielleicht vernachlässigte man deshalb den Beleg zur These "mehr Junge machen gerade den Führerschein". Die alten Neubärte kehrten zum Motorradfahren zurück. Wenn wir uns anschauen, wer die schicken BMW nineTs [5] gekauft hat, die hippen Ducati Scrambler [6], dann finden wir anders als in den Broschüren weniger junge Models als vielmehr Motorradfahrer über 50, die solche Motorräder an das erinnerten, was sie dereinst aufs motorisierte Zweirad brachte.

Wer sonst soll die Dinger auch bezahlen? Mit 18 kaufst du keine nineT. Die Zahlen des KBA spiegeln das: Obwohl der Bestand an Führerscheinen für Krafträder in den letzten zehn Jahren langsam, aber stetig zunahm, sank im gleichen Zeitraum der Führerscheinbestand im Segment 18 bis 24 Jahre Lebensalter deutlich ab.

Merkwürdig weißbärtiger Nachwuchs

Der viel beredete Nachwuchs-Boom bestand also größtenteils aus alten, zurückkehrenden Hasen. Es ist schön, dass die zurückkamen. Aber ihre Rückkehr zählt nicht genauso wie junger Nachwuchs, nicht nur aus statistischen Gründen, sondern auch, weil gesellschaftliche Änderungen an Generationengrenzen springen. Die alten Hasen lieben das Krad aus ihren alten Gründen. Die neuen Menschen können immer weniger damit anfangen, sich einfach auf ein minimalistisches Fahr-Zeug im besten Wortsinn zu setzen, um damit in erschreckender, berauschender Leichtigkeit auf die Grenze zwischen Leben und Tod zuzubeschleunigen.

Das ist einfach immer weniger das Ding junger Menschen. Selbst die, die zum Motorrad fanden, zeichnen sich im Regelfall durch erheblich geringere Jahresfahrleistungen aus als ihre Vorgänger. Solange die Zivilisation fortschreitet, gilt das für jede neue Generation nur stärker. Dass die Kunst in Film und Videospiel das Motorrad so gern in eine postapokalyptische Welt der zusammengebrochenen Zivilisation setzt, zeugt von einer intuitiv-künstlerischen Sicht auf dasselbe Phänomen. Vielleicht erwarten Sie jetzt, dass ich mit einem lächerlichen Vorschlag ums Eck komme, der in einem fernen Utopia doch eine zivilisierte Chance hätte. Nein. Sorry. Und ein blutiges Ende der Zivilisation halte ich aktuell weder für wahrscheinlich noch wünschenswert.

Kleine, einigermaßen stabile Gruppe: Hardcore-Liebhabern

Das Motorrad als Phänomen wird in seiner Bedeutung weiter schrumpfen. Wir Liebhaber, wir Schreiber, wir Fahrer, wir können jetzt alle unsere Haare ausreißen, uns die Ärsche bis zu den Ohren aufreißen, es wird alles nur marginalen Einfluss auf den Lauf der Geschichte zeitigen. Das Kraftrad wird den Weg des Pferdes gehen, der Vinylplatte, des Fahrradfahrens ohne Helm. Irgendwann bleibt längerfristig eine kleine, einigermaßen stabile Gruppe von Hardcore-Liebhabern. Selbst den Skifahrern könnte es irgendwann genauso gehen.

Ich sehe gerade mein Trainings-Langschwert an der Wand hängen. Es zeigt einen weiteren Fall von Liebhaberei. Das Langschwert konstruierte man damals zu einem einzigen Zweck: Menschen töten. Niemand arbeitete damit im Garten, in der Küche, im Wald oder in der Metzgerei. Die Moderne hat deutlich bessere Werkzeuge zum Menschen töten hervorgebracht. Das Langschwert als Waffe wurde obsolet, was den Weg freimachte zum Langschwert als Sportgerät.

Deshalb springen wir herum und schwingen die Dinger aus purem Spaß an der Freude an der Bewegung. Es gibt keinen anderen Grund mehr. Wenn das Motorrad in fernerer Zukunft auf so einem Liebhaber-Niveau angekommt, finde ich darin nur einen traurigen Punkt: Die professionelle Motorradschreiberei wird auf das dazu passende Niveau zusammengestorben sein. Auch 2018 werde ich also wahrscheinlich wieder weniger über Motorräder schreiben. Aber ich habe mir auch die Zeit freigeschaufelt, wieder mehr zu fahren. Euch allen eine schöne Saison!


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[1] https://www.heise.de/autos/thema/Motorrad.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Kommentar-zum-Diesel-Urteil-3982843.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Der-Frosch-der-Auto-faehrt-3974580.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Weiss-blaue-Geschichte-Die-BMW-Story-Teil-1-3573608.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-neue-Retro-BMW-R-nineT-Racer-3344166.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Ducati-Scrambler-Hashtag-3975865.html