Klartext: Das alte Lied vom Neuen

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Und beim ganzen Vernetzungs-Thema dürfen wir nicht vergessen, dass Motorräder üblicherweise deutlich länger gehalten werden als Alltagsautos, weil sie einfach meistens weniger fahren. Wer in den Neunzigern ein japanisches Motorrad gekauft hat und seitdem Deutschland-übliche Jahreskilometerleistungen fährt, braucht rein technisch-funktional gesehen 2018 kein neues Kraftrad kaufen. Wenn sich nun ein Hersteller auf die dämliche Idee stürzt, sein Fahrzeug müsse ein Smartphone werden, wird er schnell die gewaltigen Unterschiede in den Lebenszeiten kennenlernen, indem seine Idee schon alt aussieht, wenn sie beim Händler ankommt.

Ich denke, wie die Autohersteller haben auch die Motorradhersteller ein gutes Maß an Vernetzungstechnik gefunden, die zu ihren Produkten passt – zum Beispiel können viele moderne Zulieferer-Cockpits das volle Bluetooth-Programm von Telefonieren über Musik bis zur Gegensprechanlage. Es bringt nichts, da auf der Bleeding Edge herumzureiten, weil alle Powersports-Geräte lange in Betrieb bleiben. Ich habe Peinlichkeiten wie die Facebook-App auf der Auto-Mittelkonsole erlebt und bin froh, dass kein Kunde bemerkt hat, mit was er da durch die Gegend fuhr, weil er Facebook natürlich auf seinem Schmatzfon betippelte, während die Hersteller heimlich diese Schande wieder von den Flash-ROMs kratzten.

Wonders of the World

Wenn wir uns von den aktuell herumgeisternden CASE-Auto-Analoga lösen, finde ich die Eicma-Auswahl gar nicht traurig. Yamaha zeigte außer ihrem Motoroiden auch ein sportliches Trapezlenker-Dreirad (“Niken“). Kawasaki hat sich überlegt, was sie mit ihrem Kompressor-Motor aus der H2 tun wollen und bieten ihn nun als Sporttourer H2 SX mit Koffern dem Touring-Publikum an, das damit exakt 130 km/h fahren wird. Immerhin: So schnell wurde vorher nie die Richtgeschwindigkeit bekoffert erreicht. Honda zeigte eine sehr gelungen gestaltete CB 1000 R und eine 125er-Monkey. Ducatis V4-Superbike ist fertig und das laue Publikumsinteresse zeigt leider wieder, dass die Ära der Superbikes vorbei ist. Die schicken Husqvarnas stehen wie seit Jahren da rum. Vielleicht nächstes Jahr mal endlich im Laden, KTM? Apropos: Die 790 Duke war wohl der Messeliebling: Reihen-Zweizylinder in der Art der alten Husqvarna Nuda 900 – goil.

Indian Flattrack Concept. Royal Enfield baut einen eigenen Zweizylinder. Die elektrische Vespa kommt wie die Husqvarnas jetzt aber wirklich nächstes Jahr, wie jedes Jahr. Es gab neue BMW-Reiseenduros, jetzt mit mehr Gewicht ab Werk, damit man das nicht mehr teuer bei Touratech kaufen muss. BMW kastriert ihren Sechszylinder-Bagger für die Version „Grand America“ konsequent auf höchstens 160 km/h. Und schließlich rollt auch die Retrowelle weiter, ohne jetzt weiter für die Werbung machen zu wollen. Da ist eine Menge los.

Nur Eines ist klar

Eigentlich passiert mehr am Motorradmarkt, als man erwarten musste. Denn letztendlich liegt die diesjährige Eicma-Enttäuschung wahrscheinlich schlicht daran, dass im vergangenen Jahr extrem viele neue Motorräder vorgestellt wurden, weil die Hersteller sie aufgrund von Euro 4 vorziehen mussten. Jetzt sind es eben etwa weniger Neuigkeiten. Aber einen wirklichen, krassen, technischen und sozialen Umbruch hat die Motorradszene seit dem Reitwagen noch nie erlebt. Dafür kann die Eicma auch nichts. Sie zeigt diesen Umstand nur jedes Jahr. Ich glaube ja, dass das Powersports-Thema auch einspurig eine Zukunft hat – vor allem, wenn Autos irgendwann doch alleine fahren. Ich wüsste nur nicht, wie konkrete Motorradangebote für, sagen wir: 2030 ausschauen müssen, damit sie eine Kundschaft finden. Nur Eines ist klar: Ein bisschen mehr als halbherzig kopierte Autoentwicklungen müsste es schon sein. (cgl)