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Leise Enttäuschung über die Eicma. Was habt ihr erwartet?

Klartext: Das alte Lied vom Neuen

Klartext Clemens Gleich
Klartext

Im vergangenen Jahr hat es gekracht mit Neuheiten, weil man die wegen Euro 4 vorziehen musste. Daher knallt es in diesem Jahr etwas weniger. Echte Zukunft wird sowieso nicht auf Motorradmessen wie der Eicma gezeigt

Dieses Jahr hat der Messeveranstalter der Eicma aus vollen Rohren mit Einladungen und Akkreditierungen geschossen. Viele Stars und Sternchen der motorisierten Zweiradszene waren da, Berühmtheiten mit Motorradinteresse wie Keanu Reeves, und vor allem jeder Multiplikator [1], der hinwollte oder den die Eicma wollte. Es wimmelte vor Weiterverteilern, die sich „Blogger“, „Vlogger“, „Influencer“ oder einfach altbacken „Redakteur“ nannten. Wer den Messerummel aus seinen Filterblasen halten wollte, hatte schlechte Karten. Das zeigte eine merkwürdige Kehrseite der Eicma: Es zieht sich im Nachgang eine leise Enttäuschung durch die Fachmedien aller „-ogger“-Arten, die mich suchen lässt, was denn an dieser Messe schlimmer war als an den Vorgängern.

CASE-Studien

Die jungen Multiplikator-Menschen suchten auf der Messe offensichtlich die Zukunft. Dass sie die dort fanden, bemerkten sie nicht. Was auf der Eicma 2017 gezeigt wird [2], kommt fast alles innerhalb von 18 Monaten zu den Händlern. Sie waren jedoch beeinflusst von der großen Diskussion außerhalb der Motorradszene, in der es ständig um „CASE“-Autos geht. Die Abkürzung steht bei Daimler für „Connected, Autonomous, Shared & Service, Electric Drive“, bei BMW [3] steht derselbe Raddatsch in der anderen Reihenfolge „ACES“. Profaner: selbstfahrende, hochvernetzte, elektrische Autos mit entsprechenden Geschäftsmodellen. Dass die Autoindustrie nach über 100 Jahren gerade auf völlig neue Geschäftsarten geiert, versteht jeder. Aber keiner der CASE-Buchstaben ergibt eben derzeit ein Motorrad, das ein realer oder auch nur realistischer Markt relevant nachfragt.

Gut zu erkennen ist das an Yamahas schicker Studie „Motoroid“, einem Motorrad, das wie Hondas Studie vor einiger Zeit selbst balancierend dem Besitzer folgen kann, damit er es nicht schieben muss. Es hat einen Elektroantrieb und Yamaha hat sich sehr löblich auf die Dinge konzentriert, die Motorradfahren interessant machen, statt nutzlose App-Ideen in den Raum zu werfen. Trotzdem erzeugte die Studie unter den ja sehr konservativen Motorradfahrern eher Ablehnung. Wie soll es da weniger schicken, weniger teuer entwickelten Projekten gehen?

Es standen auch die Modelle von Energica [4] auf der Messe. Für die gilt, was seit der Markteinführung galt: Fährt schön, abzüglich des sehr hohen Fahrzeuggewichts, Schnelllader ein Superpluspunkt, Preis extrem hoch. Das ist der beste elektrische Motorrad-Roadster, den es gibt. Etwas Besseres ist derzeit nicht in Sicht, weder ökonomisch noch technisch, und dass sich dieser gezwängte Kompromiss für über 30.000 Euro kaum verkauft, wundert niemanden. Der Grund bleibt der Akku. Tesla kündigte dieser Tage an, einen neuen Roadster zu bauen [5], mit einer 200-kWh-Batterie. Die würde alleine über 1200 kg wiegen, das ist in etwa die Masse eines Kompaktwagens. Dazu kommt das eigentliche Auto. Dem Autopublikum ist das egal. Der Motorradfahrerszene nicht. Schon heute besteht die häufigste Verletzung beim Motorradfahren darin, dass sich ein Führerscheinanfänger eine viel zu schwere Maschine, von der ihm alle alten Hasen genau deswegen abrieten, auf die unteren Extremitäten wirft. Ich warte in Sachen Elektro weiter auf den ersten stimmigen Kurzreichweiten-Roadster (Hallo, Harley Livewire [6]!) und gut in sich geschlossene Sportkonzepte mit elektrischen Trialern, Hallen-Supermotos und Naturschutzgebiet-Enduros.

Und beim ganzen Vernetzungs-Thema dürfen wir nicht vergessen, dass Motorräder üblicherweise deutlich länger gehalten werden als Alltagsautos, weil sie einfach meistens weniger fahren. Wer in den Neunzigern ein japanisches Motorrad gekauft hat und seitdem Deutschland-übliche Jahreskilometerleistungen fährt, braucht rein technisch-funktional gesehen 2018 kein neues Kraftrad kaufen. Wenn sich nun ein Hersteller auf die dämliche Idee stürzt, sein Fahrzeug müsse ein Smartphone [7] werden, wird er schnell die gewaltigen Unterschiede in den Lebenszeiten kennenlernen, indem seine Idee schon alt aussieht, wenn sie beim Händler ankommt.

Ich denke, wie die Autohersteller haben auch die Motorradhersteller ein gutes Maß an Vernetzungstechnik gefunden, die zu ihren Produkten passt – zum Beispiel können viele moderne Zulieferer-Cockpits das volle Bluetooth-Programm von Telefonieren über Musik bis zur Gegensprechanlage. Es bringt nichts, da auf der Bleeding Edge herumzureiten, weil alle Powersports-Geräte lange in Betrieb bleiben. Ich habe Peinlichkeiten wie die Facebook-App auf der Auto-Mittelkonsole erlebt und bin froh, dass kein Kunde bemerkt hat, mit was er da durch die Gegend fuhr, weil er Facebook natürlich auf seinem Schmatzfon betippelte, während die Hersteller heimlich diese Schande wieder von den Flash-ROMs kratzten.

Wonders of the World

Wenn wir uns von den aktuell herumgeisternden CASE-Auto-Analoga lösen, finde ich die Eicma-Auswahl gar nicht traurig. Yamaha zeigte außer ihrem Motoroiden auch ein sportliches Trapezlenker-Dreirad (“Niken“). Kawasaki hat sich überlegt, was sie mit ihrem Kompressor-Motor aus der H2 tun wollen und bieten ihn nun als Sporttourer H2 SX mit Koffern dem Touring-Publikum an, das damit exakt 130 km/h fahren wird. Immerhin: So schnell wurde vorher nie die Richtgeschwindigkeit bekoffert erreicht. Honda zeigte eine sehr gelungen gestaltete CB 1000 R und eine 125er-Monkey. Ducatis V4-Superbike ist fertig und das laue Publikumsinteresse zeigt leider wieder, dass die Ära der Superbikes vorbei ist. Die schicken Husqvarnas stehen wie seit Jahren da rum. Vielleicht nächstes Jahr mal endlich im Laden, KTM? Apropos: Die 790 Duke war wohl der Messeliebling: Reihen-Zweizylinder in der Art der alten Husqvarna Nuda 900 – goil.

Indian Flattrack Concept. Royal Enfield baut einen eigenen Zweizylinder. Die elektrische Vespa kommt wie die Husqvarnas jetzt aber wirklich nächstes Jahr, wie jedes Jahr. Es gab neue BMW-Reiseenduros, jetzt mit mehr Gewicht ab Werk, damit man das nicht mehr teuer bei Touratech kaufen muss. BMW kastriert ihren Sechszylinder-Bagger für die Version „Grand America“ konsequent auf höchstens 160 km/h. Und schließlich rollt auch die Retrowelle weiter, ohne jetzt weiter für die Werbung machen zu wollen. Da ist eine Menge los.

Nur Eines ist klar

Eigentlich passiert mehr am Motorradmarkt, als man erwarten musste. Denn letztendlich liegt die diesjährige Eicma-Enttäuschung wahrscheinlich schlicht daran, dass im vergangenen Jahr extrem viele neue Motorräder vorgestellt wurden, weil die Hersteller sie aufgrund von Euro 4 vorziehen mussten [8]. Jetzt sind es eben etwa weniger Neuigkeiten. Aber einen wirklichen, krassen, technischen und sozialen Umbruch hat die Motorradszene seit dem Reitwagen noch nie erlebt. Dafür kann die Eicma auch nichts. Sie zeigt diesen Umstand nur jedes Jahr. Ich glaube ja, dass das Powersports-Thema auch einspurig eine Zukunft hat – vor allem, wenn Autos irgendwann doch alleine fahren. Ich wüsste nur nicht, wie konkrete Motorradangebote für, sagen wir: 2030 ausschauen müssen, damit sie eine Kundschaft finden. Nur Eines ist klar: Ein bisschen mehr als halbherzig kopierte Autoentwicklungen müsste es schon sein.


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[3] https://www.heise.de/autos/thema/BMW
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Energica-Eva-3797563.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Tesla-zeigt-Lkw-und-Roadster-3892108.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Erster-Fahreindruck-Harley-Davidson-Livewire-2752681.html
[7] https://www.heise.de/thema/Smartphones
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-Euro-4-fuer-Motorraeder-und-die-Folgen-3312359.html