Leise Enttäuschung über die Eicma. Was habt ihr erwartet?

Klartext: Das alte Lied vom Neuen

Im vergangenen Jahr hat es gekracht mit Neuheiten, weil man die wegen Euro 4 vorziehen musste. Daher knallt es in diesem Jahr etwas weniger. Echte Zukunft wird sowieso nicht auf Motorradmessen wie der Eicma gezeigt

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Dieses Jahr hat der Messeveranstalter der Eicma aus vollen Rohren mit Einladungen und Akkreditierungen geschossen. Viele Stars und Sternchen der motorisierten Zweiradszene waren da, Berühmtheiten mit Motorradinteresse wie Keanu Reeves, und vor allem jeder Multiplikator, der hinwollte oder den die Eicma wollte. Es wimmelte vor Weiterverteilern, die sich „Blogger“, „Vlogger“, „Influencer“ oder einfach altbacken „Redakteur“ nannten. Wer den Messerummel aus seinen Filterblasen halten wollte, hatte schlechte Karten. Das zeigte eine merkwürdige Kehrseite der Eicma: Es zieht sich im Nachgang eine leise Enttäuschung durch die Fachmedien aller „-ogger“-Arten, die mich suchen lässt, was denn an dieser Messe schlimmer war als an den Vorgängern.

CASE-Studien

Die jungen Multiplikator-Menschen suchten auf der Messe offensichtlich die Zukunft. Dass sie die dort fanden, bemerkten sie nicht. Was auf der Eicma 2017 gezeigt wird, kommt fast alles innerhalb von 18 Monaten zu den Händlern. Sie waren jedoch beeinflusst von der großen Diskussion außerhalb der Motorradszene, in der es ständig um „CASE“-Autos geht. Die Abkürzung steht bei Daimler für „Connected, Autonomous, Shared & Service, Electric Drive“, bei BMW steht derselbe Raddatsch in der anderen Reihenfolge „ACES“. Profaner: selbstfahrende, hochvernetzte, elektrische Autos mit entsprechenden Geschäftsmodellen. Dass die Autoindustrie nach über 100 Jahren gerade auf völlig neue Geschäftsarten geiert, versteht jeder. Aber keiner der CASE-Buchstaben ergibt eben derzeit ein Motorrad, das ein realer oder auch nur realistischer Markt relevant nachfragt.

Gut zu erkennen ist das an Yamahas schicker Studie „Motoroid“, einem Motorrad, das wie Hondas Studie vor einiger Zeit selbst balancierend dem Besitzer folgen kann, damit er es nicht schieben muss. Es hat einen Elektroantrieb und Yamaha hat sich sehr löblich auf die Dinge konzentriert, die Motorradfahren interessant machen, statt nutzlose App-Ideen in den Raum zu werfen. Trotzdem erzeugte die Studie unter den ja sehr konservativen Motorradfahrern eher Ablehnung. Wie soll es da weniger schicken, weniger teuer entwickelten Projekten gehen?

Es standen auch die Modelle von Energica auf der Messe. Für die gilt, was seit der Markteinführung galt: Fährt schön, abzüglich des sehr hohen Fahrzeuggewichts, Schnelllader ein Superpluspunkt, Preis extrem hoch. Das ist der beste elektrische Motorrad-Roadster, den es gibt. Etwas Besseres ist derzeit nicht in Sicht, weder ökonomisch noch technisch, und dass sich dieser gezwängte Kompromiss für über 30.000 Euro kaum verkauft, wundert niemanden. Der Grund bleibt der Akku. Tesla kündigte dieser Tage an, einen neuen Roadster zu bauen, mit einer 200-kWh-Batterie. Die würde alleine über 1200 kg wiegen, das ist in etwa die Masse eines Kompaktwagens. Dazu kommt das eigentliche Auto. Dem Autopublikum ist das egal. Der Motorradfahrerszene nicht. Schon heute besteht die häufigste Verletzung beim Motorradfahren darin, dass sich ein Führerscheinanfänger eine viel zu schwere Maschine, von der ihm alle alten Hasen genau deswegen abrieten, auf die unteren Extremitäten wirft. Ich warte in Sachen Elektro weiter auf den ersten stimmigen Kurzreichweiten-Roadster (Hallo, Harley Livewire!) und gut in sich geschlossene Sportkonzepte mit elektrischen Trialern, Hallen-Supermotos und Naturschutzgebiet-Enduros.